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Debatte um DemografieLeere Dörfer, volle Städte

Aller Landromantik zum Trotz ziehen immer mehr Menschen in die Stadt. Andernorts droht Verödung. Wie Niedersachsen gegensteuert, diskutiert ein Kongress

Rethem an der Aller ist schön, aber schrumpft. Foto: losch/Wikimedia Commons

HANNOVER taz | Eigentlich ist Rethem wunderschön. Pittoresk steht der Ort mit seinen aktuell 2.314 EinwohnerInnen im Allertal. Am Flussufer liegen Boote, von der Allerbrücke fällt der Blick auf Marienkirche und Windmühle. Im Kern dominieren Fachwerk und uraltes Kopfsteinpflaster: Die Stadtrechte bekam Rethem schon 1353 verliehen - und steht damit auf Platz 95 der kleinsten Städte Deutschlands.

Doch wer die zentrale „Lange Straße“ herunterfährt, kann sich eines gewissen morbiden Eindrucks kaum erwehren: Scheinbar stirbt die Stadt gerade. Ein griechisches Restaurant hat geschlossen, ebenso ein Hotel mit Gasthof. Ein Elektrofachhandel ist verschwunden, dazu Leerstände. Und um die Ecke macht per Räumungsverkauf gerade das Uhren- und Optikerfachgeschäft C.C. Johannsen dicht - nach 180 Jahren vor Ort. Die Konkurrenz aus dem Internet sei groß, der Verdienst gering geworden, klagte die Inhaberin in der lokalen Kreiszeitung.

Verwunderlich ist das nicht: Auch die Zahl der potenziellen KundInnen wird kleiner. In Rethem leben immer weniger Menschen. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der EinwohnerInnen um mehr als vier Prozent gesunken - in der Samtgemeinde mit den umliegenden Dörfern zusammen sind es sogar mehr als fünf Prozent. Damit ist das Städtchen Vorreiter eines landesweiten Trends: Glaubt man einer Studie der landeseigenen N-Bank, wird die Bevölkerung Niedersachsens bis 2035 um ebenfalls fünf Prozent von aktuell knapp acht auf rund sieben Millionen Menschen schrumpfen. Grund dafür sind nicht nur sinkende Geburtenraten - auch die Attraktivität der Großstädte ist ungebrochen: Entgegen dem Trend dürfte Hannover in 20 Jahren 14 Prozent mehr EinwohnerInnen haben als heute; in Braunschweig sollen es 13 Prozent sein.

VerliererInnen sind dagegen ländliche Regionen weitab von Großstädten. Im Harz könnte etwa der Kreis Osterode fast ein Drittel seiner BewohnerInnen verlieren. Dem Kreis Goslar droht ein Bevölkerungsschwund von 23, Lüchow-Dannenberg von 18 Prozent.

Das Zukunftsforum

Nach der letzten regionalen Bevölkerungsprognose von 2010 wird die Einwohnerzahl Niedersachsens bis 2030 von zurzeit 7,8 Millionen Menschen auf rund 7,4 Millionen sinken.

Im Jahr 2060 werden demnach nur noch 6,2 Millionen Menschen in Niedersachsen leben. Das ist ein Rückgang gegenüber der heutigen Einwohnerzahl von 20,7 Prozent.

Um dem Bevölkerungsschwund entgegenzusteuern, hat die niedersächsische Landesregierung ExpertInnen beauftragt, Lösungsansätze und Vorschläge zu erarbeiten.

Um Bildung und Mobilität ging es im vergangenen Jahr, im kommenden Jahr sollen sich die Fachleute den Städten und Dörfern im ländlichen Raum widmen.

Beim Demografie-Kongress forderte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) junge Familien auf, sich für ein Leben auf dem Lande zu interessieren.

Die Städtchen und Dörfern dort stehen vor einer Abwärtsspirale: Einkaufsmöglichkeiten brechen weg, Busse und Bahnen fahren noch seltener, das Kulturangebot wird noch dünner. Deshalb könnten noch mehr Leute die als unattraktiv empfundene Gegend verlassen: „Es entsteht ein Teufelskreis“, warnt N-Bank-Vorstand Sabine Johannsen - das Landesinstitut bewilligt Förderprogramme von Land, Bund und EU und sieht schon heute große Teile Niedersachsen vor „dramatischen“ Schwierigkeiten.

Alarmiert geben sich auch Wirtschaft und Politik: „In den nächsten zehn Jahren werden wir erleben, dass die ersten Unternehmen aufgrund des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels ihre Pforten schließen müssen“, sagt Volker Schmidt, Chef des Arbeitgeberverbands der niedersächsischen Metallindustrie. Auch SPD-Ministerpräsident Stephan Weil hält den Bevölkerungsschwund für die „größte Herausforderung“ an sein Bundesland - und hatte gestern deshalb schon zum zweiten Mal zu einem „Demografiekongress“ (siehe Kasten) nach Hannover geladen.

Dabei liegen viele Konzepte zur Stärkung der Dörfer bereits vor. „ Wichtig sind Arbeitsplätze, gute Verkehrsverbindungen - und schnelles Internet“, sagt Ulrich Harteisen, der an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Göttingen Ressourcenmanagement lehrt. Nötig sei aber auch „soziale Daseinsvorsorge“ wie eine erreichbare medizinische Versorgung, sagt der Professor, der auch beim „Demografiekongress“ sprach. Auch sollte das Engagement von BürgerInnen in Pflege oder Bildung, durch freie Schulen, finanziell stärker unterstützt werden. Vorhanden ist das Geld jedenfalls: Erst Ende Mai genehmigte die EU Niedersachsen 320 Millionen Euro, mit denen bis 2020 der Bevölkerungsschwund auf dem Land abgefedert werden soll.

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3 Kommentare

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  • Ich kann mir auch vorstellen, dass es irgendwann einen Trend in die andere Richtung gibt. Dem Ressourcenmanger (warum ist gerade er Experte, ich dachte eher an SoziologInnen), würde ich hinzufügen, dass es wichtig ist, dass Dörfer ihre Vorteile ausspielen: Ruhe, weniger Stress, gesundes Leben, Kontakt zu Natur, persönlicheres Miteinander. Sinnvoll erscheint mir auch etwa ein erleichtertes ehrenamtliches Engagement, a la "unser Dorf soll schöner werden", alternative Wohnprojekte, sowie natürlich Bürokratieabbau. Alles Dinge, die auf viele junge Menschen anziehend wirken. Setzt man aber nur darauf, die Schwächen gegenüber der Stadt zu reduzieren, wird man verlieren. Da bleiben Dörfer immer unterlegen.

  • Seit 35 Jahren baue ich schon an meinem denkmalgeschützten Fachwerkhaus, um im Alter in Lüchow-Dannenberg meinen Lebensabend zu geniesen. Mittlerweile stehen so viele Gebäude im einst angesagten Touristenort leer und verrotten, dass sich die Frage aufdrängt, ob denn der ganze Lebensentwurf nicht mehr aufgeht.

  • "gute Verkehrsverbindungen"

     

    damit ist hoffentlich der ÖPV gemeint, ansonsten fragt sich auch, warum öffentliche Verwaltung - aber auch die von Firmen und Konzernen - und Einrichtungen der Daseinsvorsorge "zentralisiert" werden oder bleiben müssen.

     

    Es wäre zudem gut, wenn man zur Arbeit auf das "Land" pendeln müsste, denn dann würde Verkehr in die andere Richtung stattfinden, die zu Stoßzeiten ansonsten mit Leerfahrten den Rückweg antritt.