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Debatte über die A 100Autobahn im Hinterhof

Auf einer Veranstaltung der SPD waren sich alle einig: Den Weiterbau der A 100 braucht niemand. Konsens ist das bei den Sozialdemokraten aber nicht.

Hier, auf dem 16. Bauabschnitt der A 100, soll der Verkehr bald rollen Foto: IMAGO / Frank Sorge

Berlin taz | Die SPD scheint immerhin im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg gegen den vom Bund und seinem Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) vorangetriebenen Weiterbau der Stadtautobahn A 100 durch Berlin zu sein. Der Kreisverband hatte am Donnerstagabend zu der Informationsveranstaltung „Eine Autobahn durch den Hinterhof?“ geladen, ein Titel, der eine gewisse Kritik an dem Vorhaben durchklingen ließ. Eine Autobahn im eigenen Hinterhof ist schließlich eine ziemliche Horrorvorstellung für so ziemlich jede und jeden.

In der übrigen Berliner SPD ist die Position zum Weiterbau der A 100 freilich nicht so klar: Im Koalitionsvertrag des aktuellen schwarz-roten Senats wurde das Thema lieber ausgeklammert, um Streitereien zu vermeiden. Was die Parteilinke der Berliner SPD Tamara Lüdke, die für den Bezirk Lichtenberg im Abgeordnetenhaus sitzt, schon lange bedauert. Sie ist dagegen, dass mit dem geplanten 17. Bauabschnitt von Treptow bis zur Storkower Straße in Prenzlauer Berg Teile von Friedrichshain und Lichtenberg zerfräst werden. Das ließ sie auch auf der Veranstaltung noch einmal durchblicken. Sie gab aber zu, dass nicht unwesentliche Teile der Landespartei das anders sehen.

Vielleicht auch deswegen wurde die Podiumsdiskussion von der SPD nicht groß beworben. Und der wenig glamouröse Ort – ein kleiner Saal in Friedrichshain, der von der Arbeiterwohlfahrt zur Verfügung gestellt wurde – vermittelte den Eindruck, dass hier halt ein paar rebellische Sozis aus dem ewig widerspenstigen Friedrichshain-Kreuzberg ihr eigenes Süppchen kochen dürfen, wenn sie es unbedingt möchten.

Gut besucht war die Veranstaltung trotzdem. Das Interesse daran, ob die weiteren vier Kilometer Autobahn, die schätzungsweise etwa eine Milliarde Euro kosten würden, wirklich kommen, ist groß. Schade nur, dass niemand von der CDU oder der FDP mit auf dem Podium saß und somit niemand deren Argumente für den Weiterbau referierte, die einen durchaus interessiert hätten. Somit waren sich in der Gesprächsrunde wie im Publikum alle einig: Der angedachte Weiterbau ist aus allerlei Gründen der helle Wahnsinn.

Weert Canzler, Verkehrsforscher vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), kontrastierte Volker Wissings Zahlen und Annahmen mit seinen eigenen. Der Minister gehe von einer weiterhin wachsenden Bevölkerung in Berlin und damit einem höheren Verkehrsaufkommen aus, deswegen sei der Weiterbau vonnöten. Seine Forschung jedoch zeige, so Canzler, dass seit der Corona-Pandemie und dank der Aufwertung des Homeoffice weniger Pendler unterwegs seien und sich das, anders als von Wissing behauptet, wahrscheinlich auch nicht ändern werde. Die Entlastung der Innenstadt durch die Autobahn sei nicht so notwendig, wie Wissing und auch die Berliner CDU es darstellten.

Das Gegenteil von Verkehrswende

Canzler erinnerte auch daran, dass eine Stadtautobahn das ungefähre Gegenteil einer wegen des Klimawandels notwendigen Verkehrswende sei. Es müsse nicht noch mehr städtischer Raum für Autos versiegelt, sondern im Gegenteil massiv entsiegelt werden. Städte wie London, Paris und Seoul hätten dies bereits erkannt und betrieben seit einer Weile eine weniger autofreundliche Politik. „Was macht eine Stadt attraktiver?“, fragte er rhetorisch und beantwortete die Frage gleich selbst: Noch mehr Autos jedenfalls nicht.

Marcel Weber, Geschäftsführer des queeren Clubs Schwuz in Neukölln und Vorstandsmitglied der Berliner Clubcommission, nahm sich einer anderen Thematik an: Durch den Weiterbau der A 100 sind auch bekannte Clubs wie das About Blank und die Wilde Renate existenziell bedroht. Die Autobahn soll schließlich eine Schneise am Ostkreuz ziehen, wo diese ansässig sind. Verdrängung oder zumindest jahrelange Schließung wären die Folge. Weber machte aber auch klar: „Wenn die A 100 nicht weitergebaut wird, ist das Problem nicht gelöst.“ Er verwies auf die Problematik, dass im Falle eines Baustopps der A 100 an derselben Stelle Wohngebiete entstehen könnten – der natürliche Feind von Technoclubs.

Briti Beneke von der Bür­ge­r*in­nen­in­itia­ti­ve A 100, die sich gegen den Weiterbau der Autobahn engagiert, machte klar, dass man derzeit auf das Prinzip Hoffnung setze, aber nicht wisse, ob das am Ende reiche. Den Weiterbau verzögern, irgendwann auch durch das Anrufen von Gerichten, sei derzeit aus Mangel an Alternativen die Strategie. Geleitet vom Wunsch, dass das Bundesverkehrsministerium bald ein weniger autofahrerfreundlicher Chef leiten werde und Kai Wegner – der auch deswegen Regierender Bürgermeister wurde, weil er seinen Wahlkampf erfolgreich auf die Autofahrerlobby ausrichtete – möglichst bald einen anderen Job habe.

Allerdings tickt die Uhr: Im kommenden Jahr sollen die Voruntersuchungen für den 17. Bauabschnitt abgeschlossen sein, 2027 dann das Planfeststellungsverfahren. 2035, davon träumt zumindest Volker Wissing, soll die A 100 fertig sein.

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3 Kommentare

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  • Umgekehrt: wir müssen den Rückbau von obsoleten Autobahnspuren planen, aus Umwelt. und Wohlfahrtsgründen.

    Schade, dass Wegners seltsame Retropositionen noch in Berlin verfangen haben. Weil es noch extrem teuer in die falsche Richtung gehen könnte. Das Geld lieber in Sinnvolles.

  • Ich finde es ja gut, dass die Überschrift gleich deutlich macht, dass es um Nimby-Positionen geht.

    Wenn die Autobahn in 20 Jahren vor allem von selbstfahrenden E-Fahrzeugen oder sonstigem Alternativantrieb als ÖPNV befahren wird, könnte der Bau dieser Autobahn eine Aktion gegen den Klimawandel sein.

    Es ist halt die Frage, wie man die Zukunft plant.

    Versiegelt sind in Friedrichshain die Flächen doch sowieso schon. Da wird ja nun kein Wald gerodet.

    • @rero:

      Es werden aber in 20 Jahren nicht weniger Autos und mehr ÖPNV als jetzt rumfahren, wenn man immer weiter autofreundliche Politik betreibt. Und statt eine jahrelange Großbaustelle aufzumachen und am Ende eine Straße zu haben, müsste man Flächen halt eher entsiegeln. Jetzt noch irgendwas weiter zuzupflastern, wird nie eine Aktion gegen Klimawandel.