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Debatte über den IndustriestrompreisMacht euch mal ehrlich

Simon Poelchau
Kommentar von Simon Poelchau

Industriestrompreis – kann man machen. Aber warum sollen Unternehmen immer sofort Entlastungen bekommen, wenn es mal nicht so läuft?

Anlagen der BASF in Ludwigshafen Foto: U.J. Alexander/imago

E rinnern Sie sich noch an die EEG-Umlage? Damit wurde bis vor einem Jahr die Förderung der Erneuerbaren finanziert. Die Kosten trugen – fast – alle. Strom­intensive Unternehmen erhielten nämlich Rabatte. Und nun geht es in der ­Diskussion über den Industriestrompreis wieder um eine Extrawurst für die Industrie. Das kann man machen, sollte aber ehrlich dabei sein.

Zur Ehrlichkeit gehört erstens, dass es beim Industriestrompreis nicht um ein Konjunkturprogramm geht. Mit einem Industriestrompreis wäre die derzeitige Wachstumsflaute nicht aufgelöst. Das ist aber auch nicht schlimm. Eine Rezession von 0,3 bis 0,5 Prozent, wie sie Öko­no­m*in­nen für dieses Jahr vorhersagen, ist weit von einer veritablen Krise entfernt und für die Unternehmen verkraftbar. Stattdessen soll der Industriestrompreis dazu dienen, ihnen so lange zu helfen, bis der Ausbau der Erneuerbaren die Strompreise genügend nach unten gedrückt hat. Ob das sinnvoll ist, steht auf einem anderen Blatt. Darüber streiten sich auch Ökonom*innen.

Zur Ehrlichkeit gehört zweitens, dass die Alternativen der Geg­ne­r*in­nen nicht überzeugen. Eine Stromsteuersenkung für alle würde, wenn sie wirklich etwas bringen soll, vermutlich deutlich teurer werden als ein Rabatt für einen begrenzten Empfängerkreis. Und das in Zeiten, in denen der Finanzminister meint, haushaltspolitisch sei schon alles ausgereizt. Und dass überhaupt über die Reaktivierung der Atomkraft laut nachgedacht wird, ist allein schon absurd.

Aller guter Dinge sind bekanntlich drei, und so gehört zur Ehrlichkeit vor allem auch: Mit der Diskussion über den Indus­triestrompreis hat die wirtschaftspolitische Debatte komplett gedreht. Es geht jetzt nur noch um Entlastungen für Unternehmen, aber nicht mehr um Entlastungen für die Menschen. Dabei leiden insbesondere Haushalte mit niedrigem Einkommen weiterhin unter der Inflation. Sie betrug im August 6,1 Prozent und war damit weitaus höher als in Spanien.

Warum Entlastungen für Unternehmen?

Dort konnte sie die Regierung mit Maßnahmen wie der Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel auf 2,4 Prozent drücken. Eine solche Maßnahme würde nicht nur die Ver­brau­che­r*in­nen entlasten, sondern auch konjunkturell etwas bringen. Zum Vergleich: Während die deutsche Wirtschaft letzthin stagnierte, wuchs die spanische um 0,4 Prozent.

Wenn man diese drei grundlegenden Punkte beachtet, kann man gern ehrlich über das Für und Wider eines Industriestrompreises diskutieren. Ansonsten ähnelt es nur einer Neuauflage der Debatte über die Befreiungen von der EEG-Umlage, und man fragt sich unweigerlich, ob Unternehmen immer sofort Entlastungen bekommen sollen, wenn es mal nicht perfekt läuft.

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Simon Poelchau
Redakteur
ist für Ökonomie im taz-Ressort Wirtschaft und Umwelt zuständig.
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9 Kommentare

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  • 6G
    675670 (Profil gelöscht)

    Ich liebe es. Unternehmen dürfen in guten Zeiten nicht zu sehr besteuert werden, weil sich das unternehmerische Risiko sonst nicht lohnt. Wenn das unternehmerische Risiko dann aber mal ein echtes Risiko ist, das die Unternehmen über Rücklagen auffangen müssten, wird das gleich kompensiert (Abwrackprämie, Industriestrompreis, etc.). Also wann können die Unternehmen denn dann angemessen für Infrastruktur/Schulen/Soziales zahlen? Nie?

  • Zur Ehrlichkeit gehört, daß der Wohlstand – auch der Sozialleistungs- und Rentenempfänger - auf Exportüberschüssen beruht. Ohne Exportüberschüsse werden sich die deutschen Bürger in einem Ländervergleich nach Wohlstand weiter unten einordnen müssen. Die Exportüberschüsse werden sinken, weil die Produktion der deutschen Exportschlager Autos und Chemie sich zunehmend außerhalb Deutschlands weiterentwickeln, weil Deutschland mehr für den Import von Energie ausgibt.

    Zu den Lösungsvorschlägen: Da beim Export keine Mehrwertsteuer anfällt, kann eine Senkung der Mehrwertsteuer exportorientierten Unternehmen nicht entlasten. Eine Senkung der Mehrwertsteuer würde den Kommunen nach jetzigem Steuerecht Geld entziehen. Es ist absehbar, daß de Kommunen in den nächsten Jahren einen Einbruch an Gewerbesteuereinnahmen erleiden werden und höhere Kosten für Sozialeistungen und Infrastruktur aufbringen müssen.

    Ein Industriestrompreis wäre tatsächlich nur sinnvoll, wenn absehbar wäre, daß der Strompreis sich in den nächsten Jahren wieder internationalen Vergleichswerten annäheren könnte. Da Deutschland geografische bedingt bzgl. Sonne und Wind gegenüber andern Regionen benachteiligt ist und die Reservekraftwerke mit Erdgas und später noch teurerem Wasserstoffgas laufen sollen, ist es auf dieser Basis schlicht unmöglich, daß Deutschland zu international wettbewerbsfähigen Energiepreisen zurückkehrt. Dazu müßten in den nächsten 20 Jahren noch etliche Solar- und Windenergieanlagen sowie Speicher, Gaskraftwerke und zugehörige Verkabelungen finanziert werden. Die Materialpreise steigen. Viele Anlagen müssen alle 20 Jahre erneuert werden. Keine Chance, die Energieintensiven Betriebe in Deutschland müßten letztlich so oder so verlagert werden. Lieber früher als später.

    • @Donald Duck:

      Welche Auswirkungen hat die Verlagerung aus DE weg ?



      Welche Branchen, wieviele Arbeitnehmer, wieviele abhängige Unternehmen,... sind davon betroffen? Zu welchen Bedingungen sind die Produkte dann verfügbar, welche Abhängigkeiten entstehen ?

      Stark Energieabhängige Unternehmen haben idR ein Energiemanagementsystem, um die laufenden Kosten zu senken und sie haben einen Energieeinkauf, der für niedrigste Energiepreise sorgt.

      In meinem Unternehmen haben wir z.B. den Arbeitsstrompreis bis 2028 auf unter 5 ct/kWh mit unserem Lieferanten festgelegt.

      Von den hohen Strompreisen sind insbesondere Kleinunternehmen mit hohen Energieverbräuchen betroffen, z.B Bäckereien. Hier ist Hilfe erforderlich.

      Und schliesslich brauchen wir keinen Brückenstrompreis, sondern einen dauerhaft niedrigen Strompreis für alle, wie z.B in Schweden unter 10 ct/ kWh.



      Mit dem Strommarktdesign wird uns das aber nicht gelingen.

  • Abgesehen davon, dass die Debatte stark an die Befreiungen von der EEG-Umlage erinnert, die auch zunächst nur zur Unterstützung von Unternehmen eingeführt wurde, die im internationalen Wettbewerb standen, dann aber beliebig ausgeweitet wurde, bis auch ÖPNV-Betriebe in ihren Genuss kamen, wäre es für die notwendigen Effizientzsteigerungen in der Industrie auch besser, den Strompreis gerade nicht zu subventionieren: Teurer Strom spornt zu Einsparungen an, die im Zuge der Energiewende dringend erforderlich sind, und auf diesen Effekt zu verzichten halte ich für keine gute Idee ! So können Effizienz-Technologien entstehen, die dann auch weltweit in der Energtiewende Einsatz finden können und so auch der schwächelnden Exportwirtschaft was Gutes tun ...

  • Hallo?!? Die Arbeitsplätze gehen doch sonst flöten, so heißt es doch. Lassen Sie uns pro aktiv und solidarisch mit Spendendosen für die Manager*innen und Chef*innen von Haustür zu Haustür ziehen! Und für die Deutsche Autoindustrie™ fleißig SUVs und Verbrenner kaufen gehen. Wie, ach, das machen ja schon viele. Wie auch immer - Retten Sie die Arbeitsplätze (und die Bilanzen)!1elf

    • @Uranus:

      Sehe ich genauso - man kann das auch koppeln und gleich mehrere Probleme bewältigen. Es gibt doch zu wenig Lehrer an den Schulen. Statt Unterrichtsausfall gibt es dann xxx (irgendein knackiger Begriff wie Wirtschaftsförderstunde). Die Kinder gehen von Haus zu Haus, singen was in Einkaufszonen oder werden als wandelnde Werbemännchen eingesetzt und spenden dann den Erlös an einen Großkonzern ihrer Wahl.

      Das bringt arme und reiche Kinder mental zusammen und macht klar, wie wichtig der Erhalt von Konzernen ist. Vor dem Markt sind wir alle gleich.

      • @Niemals:

        Vor dem Markt sind eben nicht alle gleich, manche haben eben viel mehr Geld oder Eigentum, diese kümmern teurere Preise nicht.



        Bei anderen z.B. mittelständigen Unternehmen, Handwerksfirmen, und die ärmeren Schichten bis hin zum Gutbürgertum hingegen schon.

      • @Niemals:

        "Vor dem Markt sind wir alle gleich."



        Ja, wow, das hätte kein*e Politiker*in der Spaßpartei besser ausdrücken können! :-D

  • Ich würde eher EIN grundlegendes Problem sehen, nämlich Unklarheit darüber, was Politik entscheiden muss und was Wissenschaft beratend klarstellen kann. Ob der Industriestrompreis sinnvoll ist, ist ja nicht einmal eine vollständige Frage: Kann er helfen, ein bestimmtes Ziel zu erreichen? Das ist eine Frage, die Politik an Wissenschaft stellen kann, wenn die Politik denn das Ziel bestimmt hat. Die Wissenschaft wird das mit einem „Nein, und zudem ...“ oder einem „Ja, aber ...“ beantworten.



    Im konkreten Fall kann vielleicht das Ziel erreicht werden, bestimmte Industrien in Deutschland zu halten – ganz ausgemacht ist das aber nicht – und zudem wird Geld fehlen bei den Bedürftigen, wird der Marktmechanismus unterlaufen, werden wichtige Projekte also ggf. eher zurückgeworfen als vorangetrieben. Da soll unser Wirtschaftsminister dann klar zu Stellung nehmen, ob die Risiken die Chancen aufwiegen. Wenn ja, soll er das erklären, wenn nein, lässt man es eben bleiben und verliert womöglich Industrie und Arbeitsplätze. Erklären könnte er vermutlich beides, denn das ist ja seine größte Stärke.