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Debatte über Enteigungen in BerlinBerlin hat die Macht

Laut dem Zwischenbericht der Enteignungskommission darf das Land Grundstücke vergesellschaften. Das Thema Mieten wird wieder Wahlkampfthema.

Große Demo, große Mehrheit beim Volksentscheid: Berlin will und kann wohl auch enteignen Foto: dpa

Berlin taz/dpa | Mitten im aufkommenden Wahlkampf erhält die Debatte um eine mögliche Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen neuen Schwung. Am Freitag sind erste Details des Zwischenberichts der vom Senat eingesetzen Ex­per­t*in­nen­kom­mis­si­on bekannt geworden. Aus dem gut zehnseitigen Schreiben, das der taz vorliegt, geht hervor, dass das 13-köpfige Gremium klar eine Gesetzgebungskompetenz des Landes sieht.

Laut Grundgesetz falle die Vergesellschaftung von Grund und Boden zwar unter die sogenannte konkurrierende Gesetzgebung. Da der Bund davon aber bisher keinen Gebrauch gemacht habe, könne das Land Berlin eine Vergesellschaftung von Grundstücken selbst regeln, heißt es in dem Papier, über das zuerst die Berliner Morgenpost berichtet hatte. Nach dieser juristischen Interpretation wäre der rot-grün-rote Senat also in der Lage, selbst ein Gesetz zu verfassen, das das Abgeordnetenhaus verabschieden könnte.

Genau dafür hatte sich eine große Mehrheit der Ber­li­ne­r*in­nen am 26. September 2021 in einem entsprechenden Volksentscheid ausgesprochen – der anders als die Wahlen am selben Tag auch nicht wegen Unregelmäßigkeiten wiederholt werden muss. Danach sollen Unternehmen, die mehr als 3.000 Wohnungen besitzen, enteignet werden.

Im Wahlkampf 2021 hatten die Linkspartei und Teile der Grünen dieses Ziel unterstützt; die SPD war dagegen. In den Koalitionsverhandlungen einigte man sich darauf, eine Ex­per­t*in­nen­kom­mis­si­on einzusetzen, die unter Leitung der früheren Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) die zahlreichen juristischen Fragen klären soll. Ein Abschlussbericht wird für April erwartet.

Am 12. Februar muss in Berlin die Wahl zum Abgeordnetenhaus wiederholt werden, nachdem das Landesverfassungsgericht die Abstimmung vom 26. September 2021 für ungültig erklärt hatte. Im damaligen Wahlkampf hatte die Enteignungs- und Mietenfrage eine zentrale Rolle gespielt. Dies werde sich nun wiederholen, hatte Kultursenator Klaus Lederer (Linke) der taz bereits vor zwei Wochen gesagt: „Diese Wahl wird wieder eine Mietenwahl.“

Allerdings zeigt der Zwischenbericht auch viele Meinungsverschiedenheiten in anderen Fragen auf. Als „verfassungsrechtlich problematisch“ stufen die Fachleute etwa ein mögliches Gesetz zur Vergesellschaftung der Wohnungsunternehmen selbst ein.

Doch schon am Mittwoch war eine weitere frohe Botschaft in Sachen Enteignung bekannt geworden. Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) hatte auf einer Diskussionsveranstaltung der Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen verkündet: Die Vergesellschaftung von Wohnraum sei möglicherweise „haushaltsneutral und Schuldenbremsen-konform“ durchzuführen. Wesener sprach sich dafür aus, die Entschädigungssumme nicht auf der Grundlage des spekulativen Marktwertes zu berechnen, sondern nach dem Ertragswert zu gehen. Die alte Berechnung des Senats, die von Kosten für die Enteignung von 30 Milliarden Euro ausging, sei „nicht mehr up to date“.

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13 Kommentare

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  • "Wesener sprach sich dafür aus, die Entschädigungssumme nicht auf der Grundlage des spekulativen Marktwertes zu berechnen ..."

    ROFL. Den Wert werden die Gerichte entscheiden. Und das Urteil wird sicherlich nicht auf der Basis dessen fallen, was Wesener präferiert.

  • Denkspiel: Enteignung von Deutsche Wohnen & Co.



    1) Die Mietpreise steigen nicht weiter - gut!



    2) Berlin ist noch viel mehr verschuldet - egal?



    3) Berlin erhöht Steuern und andere Kosten - wird so kommen!



    4) Alle Berliner zahlen somit die Mehrkosten der "Mietpreisbremse durch Kauf".



    5) Die Objekte vergammeln, da Berlin kein Geld hat um alles zu renovieren.

    6) Irgendwann in 10-15 Jahren kommt wieder eine geistreiche RRG-Regierung auf die Idee, es zu privatisieren.

    Wer keinen Flughafen hinkriegt und auch keine Wahl organisieren kann, wer in Schulden eh fast schon ertrinkt, dem traue ich nicht zu, so viele Mietwohnungen in Schuss zu halten, ohne dass die Schulden explodieren.

    Aber macht ruhig was ihr wollt, Hauptsache andere Bundesländer müssen für euren Pfusch nicht noch mehr bezahlen, als sie es mit dem Länderfinanzausgleich eh schon tun.

    • @Rudi Hamm:

      Auf den Punkt gebracht!

  • Welchen Problem genau läßt sich jetzt eigentlich lösen, indem man Unternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen enteignet ?



    Zumal es ja für ein Unternehmen nicht schwer ist, Unternehmensteile auszugliedern.



    Und was ist, wenn einem Unternehmen aus einem anderen Bundesland mehr als 3000 Wohnungen gehören ? Kann das dann auch überhaupt enteignet werden, wenn eine Enteignung im Bundesland, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat, gar nicht zulässig ist.



    Und wirklich lustig wird es dann, wenn Unternehmen aus dem Ausland enteignet werden sollen.

  • "Enteignungskommission", wenn ich das schon höre!



    Das ist keine Enteignung, das ist vor allem ne UMEIGNUNG!

    Und wer bitte soll denn sont ent- und umeignen außer der staat und der souverän???!!! Er tut es ja auch schon in zig fällen!!!



    Diese ganze diskuision ist teilweise so scheiheilig und so was von inkompetent.



    Kein wunder das das neoliberlae narrativ der autporitöären obsiegt, wenn die masse unfähig ist sich ihrer eigenen sprache und geschichte zu bemächtigen!!!

    unsere meisten politiker sind leider trotz aufklärung immer noch opfer und mittäter ihrer eigenen desaströsen geschichte. die aufklärung hat viele noch lange nicht erreicht!



    Gefangen sind wir dadurch alle, in ihren Blasen der unvollständigen und begrenzten realität, gezwungen in kleinkarierten bekümmerten krämerseelen zu hausen, während die möglichkeiten der verbesserung mit 200km/h an ihnen vorbeiziehen.

    Moral, Geld, Eigentum ... das sind keine dinge die vom himmel gefallen sind!!!



    Der unwillen diese syteme gemäß den sozialen ansprüchen und der wissenschaftlichen Möglichkeiten zu reformieren, ist nichts weiter als blindheit, angst und reaktionäre ausbeutung!!!

  • Da immer mehr Menschen, vor allem Familien, aus den Städten wegziehen müsste sich die Wohnungssituation eigentlich entspannen. www.tagesschau.de/...ssstaedte-101.html



    Aber der feuchte Traum von Enteignung lebt weiter ....

    • @Günter Witte:

      Wo haben Sie sich den die Zahlen für Berlin erträumt.

      "Bis zum Jahr 2040 nimmt die Bevölkerung in Berlin um rund 187.000 Personen zu, das sind etwa 5 Prozent." www.stadtentwicklu...bnisse/index.shtml

      Die bereits jetzt leer stehenden Wohnungen finden sie im weiteren Umland von Berlin ( www.landatlas.de/wohnen/leerstand.html )

      Berlin saugt alles auf aus dem Umland. Fachkräfte, Firmen, Arbeitnehmer. Daas wird Berlin nie stemmen. Bereits jetzt geht der Bau von Wohnungen zurück. Der Soziale Wohnungsbau steht still ( www.rbb24.de/polit...rung-antraege.html ).

      Berlin ist zu gierig, will zu viel Gewerbe und kommt mit dem Wohnungsbau nicht nach.



      Von den groben Fehlern der kommunalen Stadtplanug will man nun mit Enteignungsgedöns ablenken.

  • Das die Vergesellschaftung an sich geht, bestreiten ja wirklich nur noch die allerletzten Hinterbänkler von FDP & AfD. Jeder, der mehr als drei Jota juristischen Sachverstands hat, weiß, dass die Ausübung eines durch die Verfassung eingeräumten Rechts nicht verfassungswidrig sein kann.

    Deutlich problematischer sind da die Versprechen nach einer "Haushaltsneutralität" oder gar dem symbolischen Entschädigungspreis, die sich die Initiative in ihr Gefälligkeitsgutachten schreiben ließ.

    Dass ein symbolischer Entschädigungswert gezahlt werden darf, ist wohl genauso Wunschdenken, wie die angebliche Verfassungswidrigkeit der Vergesellschaftung an sich. Sie ließ sich in dem Gutachten ja nur deshalb begründen, weil die Interessen der Mieter einseitig über die Interessen der Vermieter gestellt wurden. Das Grundgesetz ist aber von seinem Wesen her auf Ausgleich widerstreitender Interessen und nicht die absolute Dominanz eines Interesses über das andere ausgelegt.

    Daher müssen die grundgesetzliche Eigentumsgarantie in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden. Dies erfolgt dann eben über eine Entschädigung, die deutlich über einem "symbolischen Wert" liegen wird.

    Ob der Wechsel auf das Ertragswertverfahren hier eine deutliche Reduktion der Beträge bringt, ist auch eher von Wunschdenken als reeller Ahnung geprägt. Grundlage des Ertragswertverfahrens ist der Preis von Grund und Boden (zum aktuellen Marktwert) und die erzielbaren Mieten. Liegen die tatsächlich erzielten Mieten darunter, werden Zuschläge vorgenommen. Auf Basis dieser erzielbaren Mieten wird dann der Ertragswert berechnet. Dieser dürfte dann nicht allzu weit vom Marktwert entfernt sein. Der Marktwert orientiert sich immer am Ertragswert einer Immobilie. Ansonsten unterstellte man der Wirtschaft (!) Idiotie hinsichtlich der Preisgestaltung.

    Tldr: Die Vergesellschaftung ist legal, wird aber extrem teuer.

    • @Kriebs:

      Nein, teuer wird die Rekommunalisierung von Wohnungen nicht unbedingt. Auch eine "symbolische" Entschädigung von einem Euro pro Wohnung ist theoretisch möglich.

      Es müssen alle Beteiligten dies nur als "gerecht" empfinden. Siehe auch Art. 14 Absatz 3 GG:

      www.gesetze-im-int....de/gg/art_14.html

      Müssen nur wollen :-)

      • @Goldi:

        Zu den Beteiligten zählen aber vor allem die Enteigneten. Die werden eine symbolische Entschädigung kaum als gerecht empfinden.

        Das Märchen vom günstigen Entschädigungspreis ist vergleichbar mit den Versprechungen des Brexit-Lagers:

        Theoretisch denkbar, praktisch aber vollkommen ausgeschlossen.

        Um es mit den Worten von Prof. Harald Lesch zu sagen:

        "Nicht alles was ich mir theoretisch vorstellen kann, wird praktisch real. Ich kann mir einen fliegenden Elefanten ohne Probleme vorstellen, real wird er aber nie werden."

        So ist es auch mit der symbolischen oder auch nur günstigen Entschädigung: Nur weil ich einen Juristen finde, der mir ein bezahltes Gefälligkeitsgutachten schreibt, heißt das noch lange nicht, dass diese Wunschkonzert auch real wird.

        Ich finde zu einer vollständigen Entscheidung der Berlinerinnen und Berliner gehört, dass man dem Wahlvolk reinen Wein einschenkt und ihnen mitteilt, dass die "haushaltsneutrale" Finanzierung der Enteignung für die Allermeisten steigende Mieten bedeutet.

  • "Die alte Berechnung des Senats, die von Kosten für die Enteignung von 30 Milliarden Euro ausging, sei „nicht mehr up to date“."

    Es muss endlich Schluss sein mit diesen profitgeilen Immobilienhaien.

    • @Herry Kane:

      Genau Herbert,



      baue eine Mietwohnung und vermiete sie zu fairen Preisen, dann gibt es einen "profitgeilen Immobilienhai" weniger.



      Wundere dich aber nicht, dass es so teuer wird, dass dein Mietpreis selbst bei "nur Kostendeckung" schon als "profitgeil" bezeichnet wird.

  • Das die Vergesellschaftung an sich geht, bestreiten ja wirklich nur noch die allerletzten Hinterbänkler von FDP & AfD. Jeder, der mehr als drei Jota juristischen Sachverstands hat, weiß, dass die Ausübung eines durch die Verfassung eingeräumten Rechts nicht verfassungswidrig sein kann.

    Deutlich problematischer sind da die Versprechen nach einer "Haushaltsneutralität" oder gar dem symbolischen Entschädigungspreis, die sich die Initiative in ihr Gefälligkeitsgutachten schreiben ließ.

    Dass ein symbolischer Entschädigungswert gezahlt werden darf, ist wohl genauso Wunschdenken, wie die angebliche Verfassungswidrigkeit der Vergesellschaftung an sich. Sie ließ sich in dem Gutachten ja nur deshalb begründen, weil die Interessen der Mieter einseitig über die Interessen der Vermieter gestellt wurden. Das Grundgesetz ist aber von seinem Wesen her auf Ausgleich widerstreitender Interessen und nicht die absolute Dominanz eines Interesses über das andere ausgelegt.

    Daher müssen die grundgesetzliche Eigentumsgarantie in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden. Dies erfolgt dann eben über eine Entschädigung, die deutlich über einem "symbolischen Wert" liegen wird.

    Ob der Wechsel auf das Ertragswertverfahren hier eine deutliche Reduktion der Beträge bringt, ist auch eher von Wunschdenken als reeller Ahnung geprägt. Grundlage des Ertragswertverfahrens ist der Preis von Grund und Boden (zum aktuellen Marktwert) und die erzielbaren Mieten. Liegen die tatsächlich erzielten Mieten darunter, werden Zuschläge vorgenommen. Auf Basis dieser erzielbaren Mieten wird dann der Ertragswert berechnet. Dieser dürfte dann nicht allzu weit vom Marktwert entfernt sein. Der Marktwert orientiert sich immer am Ertragswert einer Immobilie. Ansonsten unterstellte man der Wirtschaft (!) Idiotie hinsichtlich der Preisgestaltung.

    Tldr: Die Vergesellschaftung ist legal, wird aber extrem teuer.