Debatte der Innenminister: Doch abschieben nach Syrien?
Die Innenminister wollen Straftäter nach Syrien abschieben. Das wird vorerst aber nicht passieren. Die Empörung ist dennoch groß.
![Innenminister stellen sich für ein Foto auf Innenminister stellen sich für ein Foto auf](https://taz.de/picture/3840017/14/Innenministerkonferenz.jpeg)
Bisher gilt nach Syrien ein Abschiebestopp wegen der dortigen Bürgerkriegslage. Die Innenminister, die sich derzeit in Lübeck zu ihrer halbjährlichen Konferenz treffen, einigten sich nun aber laut ihrem Vorsitzenden Hans-Joachim Grote (CDU) auf eine Lockerung: Union und SPD seien sich einig, Abschiebungen gefährlicher Straftäter nach Syrien perspektivisch zu erlauben. „Wir wollen das morgen abschließend beschließen“, sagte Grote am Donnerstag in Lübeck.
Grote verwies aber auch auf Schwierigkeiten. Momentan gebe es in Syrien keine Ansprechpartner. Deswegen gelte der Abschiebestopp weiter. „Aber der Wille, auch Straftäter nach Syrien wie nach Afghanistan abzuschieben, ist da.“ Es sei den BürgerInnen nicht zu vermitteln, dass Menschen, die schwere Straftaten begingen, dennoch den Schutzstatus eines Flüchtlings behielten, so der Innenminister von Schleswig-Holstein.
Abschiebungen nach Syrien derzeit nicht umsetzbar
Tatsächlich wird es vorläufig zu keinen Abschiebungen nach Syrien kommen. Dies scheitert schon an der praktischen Umsetzung. Denn Deutschland unterhält in Syrien schon seit 2012 keine Botschaft mehr. Um die Abschiebungen umzusetzen, müssten die deutschen Behörden anderweitig mit dem syrischen Assad-Regime kooperieren. Wie das geschehen könnte, ist völlig unklar.
Erst Ende November hatte ein Bericht des Auswärtigen Amtes vor der Lage in Syrien gewarnt: Weiterhin gebe es dort keine sicheren Gebiete für RückkehrerInnen. „Immer wieder sind Rückkehrer, insbesondere – aber nicht nur – solche, die als oppositionell oder regimekritisch bekannt sind oder auch nur als solche erachtet werden, erneuter Vertreibung, Sanktionen bzw. Repressionen, bis hin zu unmittelbarer Gefährdung für Leib und Leben ausgesetzt“, heißt es in dem Lagebild, das der taz vorliegt. Es gebe „zahlreiche glaubhafte Berichte über eine systematische, politisch motivierte Sicherheitsüberprüfung jedes Rückkehrwilligen“.
Auch halte eine Verhaftungswelle im Land an und „gefährdet potentiell auch rückkehrwillige Syrer“, so das Auswärtige Amt. Verwiesen wird auf eine Datenbank mit 1,5 Millionen Namen, die vom syrischen Regime mit Haftbefehl gesucht würden. Viele syrische Geflüchtete hätten sich darauf mit korrekten Angaben wiedergefunden. Zudem würden Vereinbarungen zu Rückkehrinitiativen verletzt. Auch eine im September verkündete Generalamnestie für Deserteure bleibe in der Umsetzung „bislang wirkungslos“, konstatiert der Bericht.
Innenminister wollen „differenzierte Betrachtung“
Die Innenminister wollen denn auch den bisherigen Abschiebestopp um ein halbes Jahr, bis Ende Juni 2020, verlängern. Gleichzeitig wird aber die Bundesregierung laut Beschlussvorlage gebeten, bei ihrer künftigen Lagebewertung zu Syrien „mit Blick auf Rückführungsmöglichkeiten für Gefährder und Straftäter, die sich schwerer Straftaten schuldig gemacht haben, eine differenzierte Betrachtung vorzunehmen“.
Herbert Reul (CDU), Innenminister von Nordrhein-Westfalen, verteidigte den Vorstoß. Im Einzelfall und nach sorgfältiger Prüfung müssten bei Schwerkriminellen auch Abschiebungen nach Syrien möglich sein. Gleiches müsse auch für SyrerInnen gelten, die für Urlaube in die Heimat flögen. Zur Umsetzung der Abschiebungen erklärte Reul: „Wenn man einen Weg finden will, findet man auch einen.“
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) äußerte sich kritischer: „Ich bin da sehr skeptisch. Ich habe dem auch nur schweren Herzens zugestimmt, um überhaupt einen Abschiebestopp hinzubekommen.“ Bei Abschiebungen von Straftätern nach Syrien könne es perspektivisch nur um Einzelfälle gehen, „und vor allen Dingen nicht jetzt“, so Pistorius.
Pro Asyl: Auch Straftäter haben Menschenrechte
Pro Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt kritisierte das Vorgehen insgesamt. Er betonte, dass Straftäter zwar ihren Flüchtlingsstatus verlieren könnten – „nicht aber das Recht als Mensch vor Folter und erniedrigender Behandlung geschützt zu sein“. Die Europäische Menschenrechtskonvention gelte auch für sie.
Burkhardt verwies auch auf das Vorgehen gegen afghanische Geflüchtete. Auch dort sei anfangs mit der Abschiebung von schweren Straftätern begonnen worden, um dann Zug um Zug die Abschiebungen auszudehnen. Bayern etwa schiebt inzwischen ohne Einschränkungen nach Afghanistan ab.
Ende 2018 lebten laut Statistischem Bundesamt 745.645 SyrerInnen in Deutschland. Nach Angaben des Bundeskriminalamtes ist der Anteil an Straftaten, bei denen SyrerInnen verdächtigt würden, „deutlich niedriger“ als der bei anderen Zuwanderergruppen. (mit dpa)
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