Debatte Wohnungspolitik: Alle Macht den Mietern
Regeln wie die Mietpreisbremse bringen so gut wie nichts, solange die Kontrolle fehlt. Ein radikaler Perspektivwechsel muss her.
Es gibt Dinge, die einen richtig wütend machen. Etwa wenn der Vermieter schreibt, dass das Haus, in dem man wohnt, verkauft worden ist. Ein paar schlichte Sätze, den Rest kann man sich denken – zumindest als Mieter in einer der Boomstädte München, Berlin, Hamburg, Düsseldorf oder Leipzig. Wenn man Glück hat, wird die Miete nur verdoppelt, nachdem man die genauso lärmige wie ungewollte Luxussanierung überstanden hat. Falls man überhaupt bleiben darf.
Wie das läuft, kann man gerade in dem Dokumentarfilm „Stadt als Beute“ im Kino sehen, in dem sich Investoren über das „funny thing“ billige Wohnung kaputtlachen.
In Berlin-Mitte, so hört man, wurden einer Frau kürzlich 70.000 Euro geboten, damit sie aus ihrer günstigen Einzimmerwohnung auszieht. Als Mieter fragt man sich nicht mehr: Wie schaffe ich es zu bleiben? Sondern nur noch: Wie viel kann ich selbst aus dem Immobilienboom rausschlagen? Um dann in eine kleinere, schlechter gelegene Butze zu ziehen, für die man dennoch mehr zahlen muss. Das Zuhause aber ist weg, weil ein dahergelaufener Investor es verwerten will. Dabei ist die Wohnung doch unverletzlich – behauptet zumindest das Grundgesetz.
Doch der Wohnungsmarkt ist ein rechtsfreier Raum. Zwar ist es gut möglich, dass die Polizei mit mehreren Hundertschaften anrückt, um eine Zwangsräumung durchzusetzen. Aber hat jemand schon mal davon gehört, dass die Polizei kommt, um einen Mieter gegen rabiate Hauseigentümer in Schutz zu nehmen?
Mietpreisbremse ist ein Witz
Immerhin, so könnte man meinen, hat die Politik das Problem erkannt. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) will jetzt die Mietpreisbremse nachbessern, weil er gemerkt hat, was Kritiker bereits bei der Einführung vor einem Jahr gesagt haben: Hört sich gut an, ist aber ein schlechter Witz.
Eigentümer dürfen bei einer Neuvermietung „nur“ noch 10 Prozent mehr verlangen als die ortsübliche Vergleichsmiete, die wiederum nicht alle, sondern solche Verträge widerspiegelt, die in den vergangenen vier Jahren neu abgeschlossen oder verteuert wurden. Die angebliche Bremse ist somit eine legitimierte Preisspirale – die bei Neubauten, nach Modernisierung, bei Wohnungen, die vorher schon teurer waren und in allen Gebieten, wo der Wohnungsmarkt angeblich nicht angespannt ist, nicht mal gilt.
Obendrauf kommt: Staatliche Kontrolle fehlt völlig! Das ist so, als käme ein Verkehrspolitiker auf die Idee, Autorasern Einhalt zu gebieten, indem er ihnen nur noch erlaubt, 10 Prozent schneller als alle anderen zu fahren, selbst dafür jede Menge Ausnahmen zulässt und dann auf Radarfallen verzichtet.
Künftig will der Justizminister den Hausbesitzern vorschreiben, dass sie die Höhe der Vormiete nicht mehr verschweigen dürfen. Netter Versuch! Man hört schon das Kichern der Kapitalisten. Denn Wohnungsinteressenten können dann entscheiden, ob sie den Rechtsverstoß des Vermieters akzeptieren, und vielleicht später dagegen zu klagen. (Viel Spaß, für den Fall, dass sie mal was von diesem Vermieter wollen!) Oder sie müssen sich eine andere Wohnung suchen. Die Macht, den Hauseigentümer auf einen Verzicht des Rechtsbruchs zu drängen, haben sie nicht.
Denn der Wohnungsmarkt ist völlig durchgedreht. Neoliberale Propagandisten erzählen zwar weiter das Märchen von Angebot und Nachfrage, die angeblich den Preis regeln. Doch der dafür notwendige „vollkommene Markt“, das lernt man im ersten Semester als Wirtschaftsstudent, setzt einiges voraus: Kunden dürfen weder räumliche noch zeitliche Präferenzen haben, die angebotenen Güter müssen identisch sein usw. Das mag im Aktienhandel zutreffen. Auf dem Wohnungsmarkt ist das Gegenteil der Fall. Daher hat der Anbieter einer der wenigen freien Wohnungen gegenüber der Schlange der Suchenden faktisch ein temporäres Monopol. Sprich: Er kann sich alles erlauben.
Und er muss es auch. Denn in Großstädten wie München und Berlin wird für Mietshäuser beim Verkauf teils mehr als das 30-fache der Jahresmiete als Kaufpreis verlangt – und gezahlt. So was rentiert sich nur, wenn auf exorbitante Einnahmeerhöhung spekuliert wird. Also Mieten rauf. Oder Umwandlung in Eigentumswohnungen. Altmieter müssen raus, damit das Geschäft lohnt.
Genossenschaften fördern
Was also tun? Fördermilliarden für Privatinvestoren leeren nur das Staatssäckel und füllen die Kassen der Spekulanten. Obergrenzen für Mieterhöhungen oder Modernisierungsumlagen führen dazu, dass das Maximum ausgereizt wird. Kommunaler Wohnungsbau ist unumgänglich, nützt aber auch nichts, wenn nach der nächsten Wahl wieder Privatisierungsfetischisten an die Macht kommen. Raed Saleh, Fraktionschef der SPD in Berlin, hat kürzlich eine Maximalrendite für Investoren vorgeschlagen. Klingt sympathisch, nützt aber auch nichts, wenn niemand kontrolliert.
Dauerhaft würde nur eins helfen: ein radikaler Perspektivwechsel. Die Politik muss sich denjenigen zuwenden, um die es geht: den Mietern. Sie sind die Einzigen, die tatsächlich ein Interesse an niedrigen Mieten haben – und sie garantierten können, wenn sie denn Einfluss haben.
Beispiele dafür gibt es mitten in Berlin: Häuser mit Quadratmetermieten von 4,50 Euro, 3,50 Euro, ja sogar nur 2,50 Euro – langfristig garantiert. Die meisten davon wurden Anfang der 80er und 90er Jahre besetzt, dann legalisiert und von kleinen, bewohnerorientierten Genossenschaften oder Projekten wie dem Mietshäusersyndikat übernommen. Die Mieten dort sind fast schon obszön niedrig. Doch pervers sind nur die bis zu 15 Euro, die in der Nachbarschaft verlangt werden. Die Differenz zwischen den beiden Mietenniveaus hat einen Namen: Sie ist der Preis der Spekulation.
Müssen wir also wieder Häuser besetzen? Dafür fehlt es schon am massiven Leerstand. Aber Mietermacht lässt sich auch anders herstellen. Dafür müsste der Staat nicht einmal Geld in die Hand nehmen. Schon ein gesetzlich garantiertes, umfassendes Vorkaufsrecht für Mietergemeinschaften würde Wunder bewirken. Erst wenn die Häuser von denen, die drin wohnen, kontrolliert werden, wird Spekulanten das Lachen vergehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
SPD-Linker Sebastian Roloff
„Die Debatte über die Kanzlerkandidatur kommt zur Unzeit“
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los