Debatte Urheberrecht: Copy&Paste machen das Leben schön
Angesichts der Guttenberg-Debatte hätten die Kulturpessimisten es endlich raffen können: Das Netz ist kein "rechtsfreier Raum", in dem "geraubt" wird. Doch leider: Fehlanzeige.
E igentlich sollten die Kulturpessimisten nach der Guttenberg-Debatte es doch endlich mal verstanden haben: Wer sich für eine Reform des Urheberrechts ausspricht, will das Urheberrecht mitnichten abschaffen, sondern: reformieren. Fitmachen fürs digitale Zeitalter. Der real existierenden "Copy & Paste" Welt realistisch begegnen.
Doch Konservative und Holzmedien werden nicht müde zu behaupten, die Internetaktivisten und die Piratenpartei hätten sich eine Abschaffung des Urheberrechts auf die Fahnen geschrieben. Und: Guttenberg hätte doch genau das gemacht, was diese Piraten immer fordern: Alles markieren, kopieren, einfügen. So wäre sie eben, die "Copy & Paste Generation". Was ist es, das diese Kulturpessimisten dazu treibt, solche Lügen weiterhin zu verbreiten? Wieso glauben sie, Kopieren sei vergleichbar mit einem Raubüberfall? Ist es Vorsatz? Oder ist es Dummheit, mangelnde Information?
Für das zweite spricht einiges. Zynisch betrachtet, hatten die Konservativen mit den Aspekten des Urheberrechts im digitalen Zeitalter bislang ja nur dahingehend zu tun, dass sie darüber beraten mussten, ob man "Raubkopierern" das Internet kappen, es der Verwerterindustrie leichter machen soll, zivilrechtlich gegen sie vorzugehen – oder ob man doch gleich Netzsperren gegen den “Ideenklau” im "rechtsfreien Raum Internet" einrichten sollte.
Zumindest Ulf Poschardt sollte sich mit Urheberrecht auskennen. Immerhin arbeitet er bei einer Zeitung. Das hielt den Springer-Feuilletonisten aber nicht davon ab, mit dem Argument "Sampling – eine Kulturtechnik, die zu Guttenberg passt" Äpfel mit Birnen zu vergleichen und zu postulieren, Guttenbergs Wissenschaftsbetrug käme bei der Jugend von heute gut an. "Der Jay-Z der bürgerlichen Politik: Beim jüngeren Publikum wird die Erregung über Guttenbergs Umgang mit Zitaten die Zuneigung eher verstärken, hat es sich doch in Zeiten des Copy and Paste daran gewöhnt, einen Teil seiner Schul- und Unileistungen durch virtuose Quellenrecherche zu perfektionieren". In ein ähnliches Horn stieß Khue Pham auf Zeit Online und verstieg sich zu der Analyse: "Guttenberg war ein Pirat".
Was für ein Unsinn! Axolotl Reloaded – dummes Gerede ohne Substanz. Vor einem Jahr, als die Feuilletons eher hilflos mit Helene Hegemans Roman Axolotl Roadkill, für den Hegemann per Copy & Paste aus Weblogs "recherchiert" hatte, umgehen mussten, dominierte die Sichtweise "so macht die Internetgeneration das eben". In der taz wurde Hegemanns Arbeitsweise mit einer Aktion "wir haben abgeschrieben" aufgegriffen. Gravierender wiederholte sich die Geschichte mit Guttenbergs Wissenschaftsbetrug. Und wieder wurde von der "Copy & Paste" Generation gesprochen.
JULIA SEELIGER ist Redakteurin bei taz.de.
Andreas Popp, stellvertretender Vorsitzender der Piratenpartei, hat in dem Beitrag "Warum Guttenberg kein Pirat ist" den Knackpunkt genüsslich auseinanderdifferenziert. "Ohne Zitation hat sich Guttenberg einer Urheberrechtsverletzung schuldig gemacht. Da wir Piraten das Urheberrecht ja eh blöd finden, sollten wir Guttenbergs Aktion dann nicht gut finden? Die Antwort lautet hier: Nein! (…) Das, was Guttenberg hier getan hat, hat nichts mit Filesharing zu tun und auch nichts mit dem gewünschten akademischen »Remix«, es ist schlicht und ergreifend Betrug". Popp schreibt in seinem Beitrag auch sehr genau auf, dass ein Unterschied zwischen privater Nutzung und einer Veröffentlichung besteht.
Witzig ist das langsam nicht mehr, wie ohne Sinn und Verstand die guten Forderungen in der Netzpolitik lächerlich gemacht werden. Das ausgeklügelte Creative-Commons-Lizenzsystem ist das Gegenteil von Regellosigkeit. Die von unzähligen Urhebern gemachte Wikipedia – so gut wie, vielfach besser als Offline-Lexika. Und auch die von vielen als "Monstrum" gescholtene Kulturflatrate ist so unrealisierbar nicht, hat sie doch ein analoges Vorbild: das pauschale Vergüten. Seit Jahrzehnten zahlt der Verbraucher auf Leermedien und Kopiergeräte eine Abgabe, die in einen Topf kommen – der wird über die Gema und die VG Wort an die Kreativen verteilt. Eine Transformation der Idee ins digitale Zeitalter steht noch aus.
Dabei muss es aber verhältnismäßig zugehen. Es ist richtig, darauf hinzuweisen, dass ein Song in den heutigen paradiesischen Zeiten der unendlichen Kopierbarkeit weniger kosten muss als noch zu den Zeiten, da die Platten-Presswerke und die Logistik mitbezahlt werden mussten. Auch ist wenig gegen neue Geschäftsmodelle jenseits von großen Verwertungsgesellschaften, Verlagen und Musik-Labels einzuwenden. Dass diese etwas gegen ein offenes, verbraucherfreundliches Urheberrecht haben, ist wenig überraschend – sie wollen ja ihre Besitzstände wahren. Und wollen klagen, abmahnen, sperren. Im Zeitungsbereich soll ein "Leistungsschutzrecht" die Pfründe der Etablierten sichern, vereinbart im schwarz-gelben Koalitionsvertrag.
Dass sich die Piratenpartei und all die Aktivisten, die sich seit Jahren für ein verbraucherfreundliches Urheberrecht im digitalen Zeitalter einsetzen, gegen die Wünsche der Besitzstandswahrer wehren, ist richtig. Damit wollen sie noch lange keine "digitale Anarchie" und auch nicht einen "rechtsfreien Raum Internet", so wie die konservative Propaganda gern behauptet.
Das Internet ist nicht böse und rechtsfrei – im Gegenteil. Schon heute ist der Verbraucher beim Einkauf im Netz stärker geschützt als offline. Digitalisierung und Vernetzung ermöglichen auch, das Urheberrecht sogar noch besser zu schützen als in der Vergangenheit. Zitate zieren nicht nur, sie sind auch unbedingt nötig, wenn der Urheber dies will. Der Link ist die neue Fußnote, der Urheber im Netz nur einen Klick entfernt. Respektieren wir ihn! Denn "Copy & Paste" machen das Leben schöner. Schneller Zugang zu Wissen – auch für Herrn Guttenberg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!