Debatte Überwachung in Deutschland: Völkerrecht im Glasfaserkabel
Die Bundesregierung muss endlich rechtlich gegen die USA vorgehen. Denn die NSA hat gegen das Völkerrecht verstoßen.
I n der Bundesregierung scheint sich ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass die Institutionalisierung rechtlicher Rahmenbedingungen für das Internet dringend geboten ist. So hat Bundesjustizminister Maas unlängst im Anschluss an eine Formulierung aus dem Koalitionsvertrag ein „Völkerrecht des Netzes“ gefordert. Das ist begrüßenswert, geht aber doch etwas zu schnell darüber hinweg, dass das bestehende Völkerrecht des Netzes nicht ganz unentwickelt ist.
Es hält zwar fragmentierte, aber durchaus deutliche Regelungen bereit. Nur wenn diese konsequent in Anspruch genommen werden, um das Vertrauen in die Integrität der kommunikativen Infrastrukturen wiederherzustellen, kann das globale Recht einen Beitrag zum Schutz vor ausgreifenden staatlichen und privaten Überwachungsmechanismen leisten.
Die menschenrechtlichen Vorgaben für das Internetvölkerrecht ergeben sich insbesondere aus dem UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt). Die USA und auch Deutschland haben sich diesem Pakt unterworfen.
Er verbietet in seinem Art. 17 unverhältnismäßige Eingriffe in das Recht auf Privatheit. Das umfasst auch den Schutz globaler Kommunikation jeder Art: das Versenden von E-Mails ebenso wie die Korrespondenz durch Brief, Fax und Telefon.
Kampf um Privatheit
Wie wir seit den Enthüllungen Edward Snowdens wissen, kann von einem wirksamen Schutz dieser Kommunikationsstrukturen nicht die Rede sein. Bereits Ende März dieses Jahres hat denn auch der UN-Menschenrechtsausschuss, der mit der Durchsetzung des UN-Zivilpaktes betraut ist, in seinen abschließenden Bemerkungen zum Menschenrechtsbericht der USA deutliche Worte gefunden: Die unverhältnismäßigen Überwachungsmaßnahmen der NSA sind völkerrechtswidrig.
Die rechtlichen Anforderungen gelten unabhängig von der Nationalität der Betroffenen und sind keinen territorialen Beschränkungen unterworfen. Globale Kommunikation ist weltweit durch die Menschenrechte geschützt. Überwachungspraxen, die in ihren rechtlichen Voraussetzungen nach Staatsangehörigkeiten oder nach Inlands- und Auslandsaufklärung differenzieren, sind unzulässig.
Einschränkungen des Rechts auf Privatheit müssen befristet, auf das unbedingt Nötige beschränkt und im Einzelfall durch richterliche Anordnung vorgesehen sein. Die Staaten müssen wirksame Rechtsbehelfe gegen Überwachungsmaßnahmen einrichten. Diese Vorgaben des UN-Menschenrechtsausschusses sind wichtig. Sie werden bislang aber kaum beachtet.
lehrt Öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht an der Universität Bremen. Der Professor und Rechtswissenschaftler ist geschäftsführender Direktor des Zerp, Zentrum für Europäische Rechtspolitik.
Weder die US-amerikanische noch die deutsche Praxis entspricht ihnen. Auch transnationale Unternehmen wie Google und andere, die in ihrer Datensammelwut den staatlichen Organen kaum nachstehen, beachten die menschenrechtlichen Pflichten regelmäßig nicht hinreichend.
Verbot für Abhöranlagen
Die Partner des „transatlantischen Cyberdialogs“ sind daher dringend daran zu erinnern, dass die Grundlage eines Dialogs mindestens auch die Herrschaft des Rechts sein muss. Um das durchzusetzen, bietet der UN-Zivilpakt bislang ungenutzte Wege.
Der Pakt sieht in Art. 41 vor, dass Mitgliedstaaten gegenüber anderen Mitgliedstaaten eine Staatenbeschwerde einreichen können. Für Deutschland, aber auch andere betroffene Staaten eröffnet dies die Möglichkeit, eine Beschwerde gegen die USA vor dem UN-Menschenrechtsausschuss zu erheben. Denn die USA haben sich diesem Verfahren unterworfen.
Neben dem UN-Zivilpakt sieht auch das völkerrechtliche Diplomatenrecht Rechtsregeln vor, die den Phantasmagorien transnational vernetzter Staatsapparate Grenzen setzen. So verbietet insbesondere das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen, an das die USA und Deutschland gebunden sind, die Stationierung von Abhöranlagen in Botschaftsgebäuden.
Auch hier sind Rechtsmittel verankert, über die die globalen Kommunikationsstrukturen geschützt werden können. So sieht ein Zusatzprotokoll zum Wiener Übereinkommen die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs (IGH) vor. Die USA und Deutschland haben über dieses Protokoll die Gerichtsbarkeit des IGH anerkannt.
Antiamerikanische Strömungen
Nichts hindert die Bundesregierung, über diesen Weg die USA vor dem IGH zu verklagen und so unter anderem zu erzwingen, dass Botschaftsgebäude nicht länger als Abhörstationen missbraucht werden.
Während die aktuellen Forderungen nach einer strafrechtlichen Behandlung der Spionagevorwürfe von den Kernfragen der Überwachung der globalen Kommunikationsströme eher ablenken und zu einer weiteren Eskalation der Situation bis hin zur Freisetzung antiamerikanischer Strömungen führen dürften, bietet eine rechtliche Kanalisierung der Diskussion die Chance, in rechtlich geordneten Verfahren um die Zukunft der globalen Internetverfassung zu ringen.
Natürlich sind beide Rechtswege nicht unproblematisch. So neigt der UN-Ausschuss dazu, strukturelle Gesellschaftsprobleme individualistisch zu deuten und damit die Pointe der Herausforderung des Schutzes der globalen Kommunikationsströme zu verpassen. Und auch beim IGH besteht die Gefahr einer Fehlrahmung, da über das Diplomatenrecht die Frage des Schutzes der globalen Kommunikationsstrukturen nur mittelbar thematisiert werden kann.
Demokratische Selbstvergewisserung
Dennoch würde die Einleitung solcher Verfahren der rechtspolitischen Auseinandersetzung über die Grenzen der Überwachung neue Impulse verleihen. Diese werden angesichts der US-Praktiken und der Position der Bundesregierung zur Telekommunikationsüberwachung dringend benötigt.
Die Alternativen liegen deutlich auf dem Tisch: Entweder wir verlieren uns in transatlantischen Vorwürfen über Spionage und Geheimnisverrat. Oder aber wir widmen uns endlich dem Wesentlichen: der demokratischen Selbstvergewisserung über die Grenzen und Möglichkeiten der Freiheit des Internets.
Diese Diskussion können wir aber nicht im nationalen Rahmen alleine führen. Nur wenn wir die Infrastruktur des globalen Rechts nutzen, werden wir wirksame Sicherungen für unsere Freiheitsräume entwickeln können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin