Debatte Söder und das Kreuz-Symbol: Heimat müsst ihr selbst machen

Es gibt Widerstand gegen das bayrische Pseudo-Symbol für Heimat. Doch was muss passieren, damit solche Kämpfe in Zukunft unnötig werden?

Markus Söder berührt mit der Hand ein Kreuz an der Wand

Nein kein Plus, ein Kreuz – für Söder Heimat pur Foto: dpa

Die Frage ist im Kern doch, wer das hier alles verteidigt und wann, und nun sehen wir es gerade an der Kreuzaufhängdebatte des Markus Söder. Der gestaltet seine Heimat und will Kreuze aufhängen in Amtsstuben. Gar nicht so sehr als religiöses Bekenntnis, wie er behauptet, sondern als Zeichen von Heimat. Das ist zwar überwiegend rechtswidrig, aber er kann es machen, denn er gestaltet seine Heimat selbst.

Wir müssen sie ihm wegnehmen, natürlich, doch auf die schöne Art, sodass hinterher noch die Blümchen stehen in Bayern und nichts schlechter geworden ist, sondern manches besser.

Es gibt in der Geschichte politischer Kämpfe zwei unterschiedliche Anspruchshaltungen, die es stets zu betrachten lohnt, wenn es um das Verändern geht. Zum einen den Behauptungsanspruch. Zum andern den Gestaltungsanspruch. Die sogenannte Linke beschäftigt sich gerne mit der Behauptung. Das ist schon mal nicht schlecht. Sie behauptet manchmal und beklagt häufig und bekämpft allerlei – aber dabei geht ihr derzeit etwas verloren, das sie noch nie ganz besessen hat. Es sind die Institutionen.

Bekanntlich verhält es sich so, dass immer derjenige die Kreuze aufhängen kann, der die Hämmer und die Dübel dazu hat, vor allem aber braucht es die Wände. Hier nützt keine Behauptung, nur die blanke Tat und der echte Besitz.

Die Frage ist also: Wenn Markus Söder die Kreuze aufhängt – wer nimmt sie denn dann wieder ab?

Die Frage ist also: Wenn Markus Söder die Kreuze aufhängt – wer nimmt sie denn dann wieder ab? Die Antwort darauf ist einfach: Du und deine Kinder. Aber ihr müsst schon auch. Denn der lange Kampf um die Institutionen geht langsam verloren.

Heimat passiert nicht irgendwie.Heimat ist nicht einfach da.Heimat kann man nicht wegreden.Heimat müsst ihr selber machen.

Heimat, das ist ja eine Erfahrung. Und es ist übrigens richtig, sie von Bayern aus zu denken. Jenseits dogmatischer Vorbehalte gibt es schließlich zunächst überhaupt keinen Grund, etwa gegen ein Heimatministerium zu sein, wenn es in gutem Sinne Heimat bietet. Wer mal in Bayern war oder dort wohnt, weiß, was das – jedenfalls auch – bedeuten kann: regionale Wertstoffketten, intakte Naturräume, florierender Einzelhandel in Fußgängerzonen, hübsche Häuser, die nicht nur zweckdienlich, sondern auch einladend sind – und Leute, die ihren Müll nicht auf die Straße kippen.

Die Bayern haben schon immer gewusst, dass es sich lohnt, daran zu arbeiten. Sie pflanzen deshalb, zum Beispiel, Blumen. Sie reden mit ihren Nachbarn und helfen sich. Was soll, grundsätzlich, gegen eine solche Heimat einzuwenden sein?

Diese Heimat, die ein gutes, regionales Leben verspricht und in den Kommunen häufig auf Solidarität und Hilfsbereitschaft aufbaut, hat sogar eine eigene Regierung. Diese Heimat ist der Grund, warum Markus Söder als Regierungschef überall Kreuze aufhängen kann und alle mitmachen werden.

Die Menschen müssen sich organisieren

Was also soll nun gegen sie einzuwenden sein – wenn sie nicht andere ausschließt? Ihr einziger Fehler ist, dass sie das tut. Das Kreuz ist ein Zeichen davon. Darüber zu schimpfen ist richtig und nützt wenig.

Es ist ja so, dass die großen Befreiungsbewegungen der jüngeren deutschen Geschichte – die sexuelle Befreiung, die ökologische Transformation und der Mauerfall – in die gesellschaftliche Vereinsamung geführt haben. An ihrem Anfang stand das Recht auf Selbstbestimmung. An ihrem Ende, das ist sehr gut, steht der selbst­verständliche Anspruch darauf, als Mensch vom Staat möglichst in Ruhe gelassen und als Frosch beschützt zu werden. Doch gerade in Ostdeutschland sehen wir, auch heimattechnisch betrachtet, was die Nebeneffekte dieser Freiheitsversprechen waren: dass sich die Gesellschaft und die Menschen nach marktwirtschaftlichen Kriterien sortiert haben.

Der Anspruch also, als Mensch in Ruhe gelassen zu werden, führte auch in die Isolation, weil er positiv beantwortet wurde: Der Staat ist auf dem Rückzug. Er lässt den Menschen in Ruhe. Zurück bleibt der Mensch, der sich organisieren muss, aber das Organisieren verlernt hat.

Natürlich gibt es in unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen auch unterschiedliche Bezüge zu Organisation, zu Einheit und Institution. Die gesellschaftliche Linke, die der Institution oft mit Skepsis begegnet, hatte es seltener nötig, sich zu organisieren, auch weil sie, jedenfalls in den letzten Jahrzehnten, meist selbst aus dem Bürgertum stammte.

Institutionen besetzen gegen die Rechte

Die gesellschaftliche Rechte dagegen hat, umso mehr in den entlegenen Regionen dieser Re­pu­blik, lange die Notwendigkeit erkannt, sich zu organisieren. Sie tut das auch. Es begann mit der Selbstorganisation. Nun ist sie in den Institutionen angekommen.

So ist ein neuer Kampf um die Institutionen im Gange. Die Autoritären scheinen ihn zu gewinnen. Das Kreuz in Bayern ist nur eine Lautverschiebung in diesem Kräftemessen. In Polen, in Ungarn und in Österreich wurde dieser Kampf bereits verloren.

Im März dieses Jahres ließ der Innenminister in Österreich, der rechte FPÖ-Politiker Herbert Kickl, das ihm selbst unterstellte Bundesamt für Verfassungsschutz durchsuchen. Am Ende des Tages kassierten die Ermittler zahlreiche ­Dokumente ein aus der Abteilung Rechts­extremismus. Diese Abteilung hatte zuvor auch die Verbindungen von Rechtsextremen und FPÖ im Visier. Der rechte Minister ließ also Daten über die Verquickungen des eigenen Milieus beschlagnahmen. Seine konservativen Regierungspartner schauten dabei zu.

Wenn Rechtsextreme und Rechtspopulisten kommen, um die Wahrheit aus den Schubladen zu entfernen, wenn sie dazu Institutionen benutzen können, dann liegt die Zukunft einer Gesellschaft in der Hand dieser Institutionen, in ihrer demokratischen Verfasstheit und übrigens auch in ihrem Potenzial, zivilen Ungehorsam zu leisten, wenn es darauf ankommt.

Für die dogmatische und undogmatische Linke, auch für die Liberalen sieht es dabei nicht gut aus. Sie haben vergessen, Soldaten zu werden und Polizisten. Sie dachten, es reicht, Ansprüche zu formulieren. So wandern die Waffen in die Hände der anderen. Die außerparlamentarische Rechte dringt in die Institutionen vor. Die Frage lautet nun, wer sie verteidigt.

Ein Zerrbild der Gesellschaft

Spätestens an dieser Stelle sollten wir uns fragen, wie es eigentlich um unsere Institutionen bestellt ist. Wäre das deutsche Innenministerium, das es nicht für nötig erachtet, am Girls Day teilzunehmen, gewappnet für eine solche Übernahme? Wäre die Bundeswehr gewappnet für eine solche Übernahme? Und wie steht es eigentlich um die Binnenvielfalt innerhalb der Polizeibehörden in Deutschland? Sind sie ein Abbild dieses Landes oder ein Zerrbild?

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Um die Frage ungemütlicher zu stellen: Sind denn eigentlich diejenigen, die sich, sagen wir, als links bezeichnen und die historisch an der Institutionenkritik und dem Freiheitsversprechen gewachsen sind, sind die eher daran beteiligt. Ein Abbild dieser Gesellschaft zu gestalten – oder ein Zerrbild zu verstärken?

Welche Kraft die Kontrolle über die Institu­tio­nen ausüben kann, hat Bayern übrigens verstanden. Dort werden gezielt im Rahmen einer Strukturplanung große Landesbehörden in kleinen Orten angesiedelt. Das schafft Arbeitsplätze und Stabilität. Von diesem Sinn für die Institu­tio­nen lässt sich lernen.

Die Wahrheit ist: Eure Kinder müssen Beam­tinnen werden, Soldaten und Polizistinnen, und sie müssen Dinge tun, von denen wir einmal dachten, es täte sie jemand für uns. Wir, sage ich, die wir für eine Heimat kämpfen, in der wir nicht kämpfen müssen, müssen dieses Deutschland besetzen.

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