Debatte Sexualisierte Gewalt: Vertrauensbonus neu definieren

Die Aktion #MeToo sorgt dafür, dass gewisse Männer beleidigt sind. Das wiederum macht die Diskussion unmöglich.

Eine Frau tippt #MeToo ins Handy

Wieso waren diese Dimensionen bisher nicht klar? Foto: dpa

„Blas' mir einen!“ sagte er zu ihr. Der Kollege, den ich gern mag. Er wischte die Theke in der Bar, in der wir zusammen arbeiteten. Es war spät, die Gäste waren schon weg, wir machten Feierabend und waren unter uns. Die Kollegin rauchte und aschte dabei auf die Theke. Der Kollege, der wischte, war beleidigt. Er musste nochmal drüber wischen. Also wollte er, dass sie ihm einen bläst. Zur Strafe.

„Suck my dick, habe ich ihr gesagt“, erzählt mir ein Mann, den ich früher mochte. Er ist Australier, wohnt seit paar Jahren in Berlin. Er berichtete von einer Frau, die er „Schatz“ nannte. Die Frau konte das nicht leiden. Der Mann war beleidigt, also sollte sie ihm einen blasen. Zur Strafe. Ich erklärte ihm, dass er so was nicht sagen kann. Er sagte: „Du weißt, dass ich es nicht so meine.“ Ich wusste, wie er es meinte. Was man eben so umgangssprachlich sagt.

Aber Worte wie diese sind Produkte einer verinnerlichten, tief verwurzelten Vergewaltigungskultur. Jemanden oral zu befriedigen ist eine schöne Sache, wenn es einvernehmlich geschieht. Sobald Oralverkehr zur Gegenleistung wird, oder zur Bestrafung, die dazu dient, einen anderen Menschen zu degradieren, ist er nicht mehr einvernehmlich. Es ist eine Vergewaltigung.

Seit Bekanntwerden der systematischen Misshandlungen und Vergewaltigungen von Harvey Weinstein wird sexualisierte Gewalt auch in Deutschland wieder laut diskutiert. Auch männliche Kollegen schreiben Beitrage darüber, und stellen die Dimensionen der Frauenfeindlichkeit in ihrer engsten Umgebung bloß.

Schutzmechanismen

Diese Woche haben Betroffene von sexualisierter Gewalt angefangen verbunden mit dem Hashtag #MeToo ihre traumatischen Erfahrungen zu teilen. Das Ziel war: „Wenn alle Frauen, die sexualisierter Gewalt ausgesetzt wurden, diesen Hashtag posten, können wir Menschen ein Gefühl von dem Ausmaß dieses Problems geben.“

Menschen aller Geschlechter haben ihre Erfahrungen aufgeschrieben. Dass sich erst alle einzeln dazu äußern müssen, damit die Dimensionen klar werden, zeigt die Schutzmechanismen für die Täter*innen. Wieso waren diese Dimensionen bisher nicht klar?

Den Vertrauensbonus genießen in der Regel die stärksten: Am neuen Sexualstrafrecht wurde immer wieder kritisiert, dass es es Frauen leichter machen würde, Männer zu diffamieren. Von Frauen, die Gewalt ausgesetzt waren, und sich erst Jahre später dazu äußern, wurden Beweise verlangt.

Zum Beispiel von Dylan Farrow, Woody Allens Adoptivtochter, die er als Kind misshandelt hatte. Als sie mit einem offenen Brief die Öffentlichkeit darüber informierte, glaubten ihr nur wenige. Die Taten lagen Jahre zurück und sie hatte keine Beweise. Aber sexueller Missbrauch ist verwirrend für Kinder: Sie halten ihn für Liebe und Aufmerksamkeit. Erst im Erwachsenenalter wird klar, dass Gewalt verübt wurde.

Opferrolle

Es ist wichtig, öffentlich über systematische Gewalt zu reden. Die Aktion #MeToo sorgt dafür, dass gewisse Männer beleidigt sind. Sie fühlen sich entweder angegriffen oder unter Generalverdacht gestellt. Das wiederum macht die Diskussion unmöglich.

Der Mann, der eine besondere Behandlung erwartet, und davon ausgeht, dass ihm die Welt noch mehr Freundlichkeit und Gefälligkeit schuldet, begibt sich in die Opferrolle und versucht so seine privilegierte Position zu verbergen.

Sich von der Benachteiligung anderer benachteiligt zu fühlen, können nur Überlegene: Sie mögen es nicht, dass ihnen Räume verschlossen bleiben. Dass bestimmte Erfahrungen an Eigenschaften gekoppelt sein sollen, die sie nicht haben, macht sie wütend. Weil sie ausgeschlossen sind – und bestimmte Räume qua Geburt nicht betreten dürfen. Ihnen bleibt nur eine Option: Zuzuhören und zu glauben, was die erzählen, die diese Räume betreten dürfen.

Wir müssen in all ihren Arten Gewalt bekämpfen. Dafür müssen wir aber zuerst über die wahren Ursachen sprechen. Es reicht nicht, einen #MeToo-Post zu schreiben. Wir müssen auch dem Kollegen sagen, dass er die Fresse halten soll, wenn er sexistisch redet. Vor allem Männer müssen das tun.

Die Welt zu retten kann nicht nur den Nichtmännern überlassen werden. Und da wir seit der #MeToo-Aktion die Dimension vom Ausmaß des Problems kennen, müssen wir endlich anfangen, Betroffenen zu glauben. Wir müssen den Sinn des Vertrauensbonus neu definieren.

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