Debatte Rechtspopulismus: Wehret den Anfängern!
Der Rechtspopulismus ist in Deutschland parlamentarisch angekommen. Anderswo gehört er längst zum Inventar. Und wird selten verstanden.
E s gibt Wahlergebnisse, die grosso modo erwartbar sind und dann doch Schockwellen schicken. Man kann so etwas das Wahlabend-Paradoxon nennen: alles wie erwartet, und dann doch ein Erdbeben. Klar, es gab auch ein paar Überraschungen: Die Union schwächer als angenommen, Linke, Grüne und FDP ein wenig besser. Aber sonst?
Wir Österreicher sind nun versucht, euch Deutschen zuzurufen: Willkommen in unseren neunziger Jahren!
Jetzt hat die Bundesrepublik also auch einen aggressiven Rechtspopulismus, hat Extremisten im Parlament, hat eine Radau-Fraktion, die auf der Klaviatur der Aufmerksamkeitsökonomie spielen wird – und steckt auch in den Dilemmata, die andernorts schon zur Routine geworden sind.
Das sah man am Montag bereits, aber eigentlich auch schon im Wahlkampf. Eine Partei erreicht laut vorläufigem Endergebnis 12,6 Prozent der Wählerstimmen, aber so zirka 90 Prozent der Aufmerksamkeit. Im Wahlkampf platzierte sie geschickt ihre Provokationen, und jeder redete über sie. Je mehr man sich über sie erregte, umso mehr Airtime hatte sie im Fernsehen. Viele, viele Talkminuten – aber es geht dabei auch nicht nur um Minuten- und Stundenzählerei, sondern um ein Gesamtarrangement.
Die Partei wirkt gruselig, aber dieses Gruseln löst im Publikum auch so etwas wie eine Angstlust aus, den wohligen Schauer, ein Erschrecken, das fesselt. Die AfD ist so etwas wie ein schwerer Verkehrsunfall, bei dem man nicht wegschauen kann. Aber genau das ist eben die Kommunikationsstrategie des Radikalismus: Du musst uns deine Aufmerksamkeit schenken, du kannst gar nicht wegsehen!
Durchgeknallte Vollhonks
Das ging auf, obwohl die AfD in einer Hinsicht ein extremer Sonderfall unter den erfolgreichen Rechts-außen-Formationen ist: Sie ist de facto eine Partei ohne Anführer, ohne elektrisierende Zentralfigur. Österreich hatte Jörg Haider, anderswo heißen die Figuren Geert Wilders, Marine Le Pen, Donald Trump; auch Silvio Berlusconi zählte zu diesem Reigen. Manche charismatisch, andere einfach Exzentriker, die Dritten durchgeknallte Vollhonks.
Dagegen die AfD: an der Spitze schwer zerstritten, angeführt von talentlosen Narren, die sich gegenseitig regelmäßig zu erwürgen versuchen. Alexander Gauland, Frauke Petry, Alice Weidel – Lachnummern, die wahrscheinlich nicht einmal die Wähler und Wählerinnen der AfD kennen (Frau Petry hat sich mittlerweile bereits von der Fraktion verabschiedet). Sie haben gewonnen, ohne eine zentrale Identifikationsfigur zu haben, ja ohne überhaupt ein irgendwie – und sei es in ihrem Sinne – brauchbares Personal zu haben.
Manche Fehler im Umgang mit den Radikalen sind unvermeidbar – wie etwa der oben genannte Fehler, dass man ihnen zu viel Aufmerksamkeit zukommen lässt. Denn es sagt sich natürlich leicht, dass man die rechte Radaupartei am besten ignorieren sollte. Aber es gibt ein paar grundsätzliche Fehler und Fallen, in die jetzt alle tappen werden.
Der größte Fehler besteht in dem Glauben, die AfD habe wegen der Flüchtlings- und Migrationspolitik gewonnen. Das verkennt völlig die wesentlichen Energien, die solche Parteien stark machen. Denn entscheidender ist etwas ganz anderes: das Gefühl eines Teils der Bevölkerung, gar nicht wahrgenommen zu werden. Die Wut, dass es „da oben“ ein Establishment gäbe, das sich um die normalen Leute nicht schere. Das hat etwas mit Kränkung und dem Gefühl einer allgemeinen kulturellen Abgehängtheit zu tun, es hat mit dem Gefühl zu tun, dass man nicht ausreichend respektvoll behandelt wird, dass man nicht geachtet wird, dass man von einem imaginierten Establishment einfach ignoriert wird.
Wie alle psychopolitisch mächtigen Gefühle sind diese Emotionen wahr – im Sinne von berechtigt – und unwahr zugleich. Die Quellen des Verdrusses sind bestimmt nicht völlig unverständlich, aber ihr Umschlagen in blinde Wut und aggressiven Hass ist bei vielen an der Grenze zum Pathologischen. Parteien wie die AfD gewinnen nicht, weil ihre Wähler gern weniger Ausländer im Land hätten (oder gar keine). Sie gewinnen, weil Menschen so frustriert sind, dass sie das System auf den Knien sehen wollen.
Gar nicht erst ignorieren
Hat man einmal erkannt, dass es weniger um Fragen wie „die Ausländer“ oder „die Flüchtlinge“, sondern mehr um das Gefühl geht, grundlegend nicht respektiert zu werden, droht der zweite große Fehler. Das ist der Glaube, den simple linke Gemüter hegen, mit Sozialpolitik oder linker Wirtschaftspolitik könnten den Rechten ihre Wähler wieder abspenstig gemacht werden. Die Idee geht so: In Wirklichkeit sind die Wähler der Rechten sozial Abgehängte, die in materieller Not leben oder zumindest in Abstiegsangst und die man mit dem losen Versprechen auf „Wohlstand für alle“ und Umverteilung zurückgewinnen könnte.
Das ist aber eine etwas pausbäckige Vorstellung: die Vorstellung, dass Menschen entsprechend ihren ökonomischen Interessen handeln und eben links wählen würden, wenn sie ihre ökonomischen Interessen vertreten sähen. Da es für sie aber kein Angebot gibt, laufen sie den rechten Rattenfängern nach. Das ist natürlich viel zu simpel gedacht.
Die Wähler der Rechten sind zu einem erheblichen Teil tatsächlich „wirklich rechts“, sie haben mit dem gesamten Identitätsangebot der Progressiven nichts am Hut, sie sind autoritär und lebenskulturell extrem konservativ, sie sind zerfressen von Angst und Hoffnungslosigkeit und sind daher für eine Botschaft der Hoffnung und des Optimismus nicht so einfach zu gewinnen.
Man könnte sogar sagen: Sie wollen sie nicht hören. Sie leiden nicht unter Paranoia – sie genießen sie geradezu. Zu glauben, man könnte hier mit rationalen Botschaften durchdringen, wenn es in Wirklichkeit um Identitäten, Werte, tiefe kulturelle Entfremdungen geht, ist ein rationalistischer Aberglaube.
Man wird jetzt auf absehbare Zeit, zumindest für die anbrechende Legislaturperiode, akzeptieren müssen, dass die Feinde der Demokratie im Bundestag angelangt sind. Die Feinde der Demokratie muss man bekämpfen; an ihre Botschaften anpassen darf man sich nicht. Und um sie gut bekämpfen zu können, muss man die Gründe ihres Erfolgs verstehen.
Empfohlener externer Inhalt
Lesen Sie mehr zur Bundestagswahl 2017 in unserem Schwerpunkt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Frauenfeindlichkeit
Vor dem Familiengericht sind nicht alle gleich