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Debatte Rechter Diskurs und die LinkeHeimat, Volk und Elite

Kommentar von Georg Seeßlen

Drei Begriffe, die man früher von links denken konnte. Das geht nicht mehr. Es wäre die Unterwerfung unter rechte Deutungen.

Heimat ist der Ort, an dem man ohne Angst und ohne Gewalt gemeinsam leben kann Foto: photocase/lube

D rei Begriffe sind in den Polemiken zwischen den Rechtspopulisten und der Mainstream-Kultur wieder aufgetaucht, die vordem fast schon überwunden oder doch nicht wirklich mehr entscheidend schienen: Das Volk, in dessen Namen die Pegida, der Front National, ein Donald Trump und viele andere zu sprechen vorgeben, die Heimat, die man als weiche Form der Identität neben den harten von Nation, Religion und Ideologie genießen soll, und die Elite, der man Manipulation, Lüge und Eigennutz vorwirft, jedenfalls wo man sie als „linksliberal“ und „politisch korrekt“ adressiert.

Alle Begriffe konnten einst von links her begriffen werden: Das Volk als die Masse der Lohnarbeiter und politisch-kulturell Machtlosen gegen die herrschenden Eliten, die sich auf deren Kosten eine eigene luxuriöse und arrogante Kultur der Unterschiede und Unterscheidungen gönnt und deren Hauptinteresse scheint, unter sich zu bleiben, die eigene Macht zu mehren. Die Heimat als Utopie eines menschenwürdigen, freien Lebens für alle. Die Elite, die sich als Avantgarde im Kampf um die Verbesserung der Welt legitimieren kann, die sich aber immer wieder durch Korruption, Gewalt und falsches Bewusstsein auch als historisches Hemmnis und Instrument von Unterdrückung und Entfremdung erweist.

Andersherum war Demokratie auch ein Projekt, das Volk zum politischen Subjekt, zum wahren Souverän zu machen. Das demokratische Staatsvolk ist die Gesamtheit jener Menschen, die über das eigene Schicksal zumindest mitbestimmen kann. Umgekehrt kann man freilich auch sagen: Durch das Projekt der Demokratie wird das Volk mitverantwortlich an den Umständen, in denen die Menschen leben. Regieren heißt in der Demokratie den Widerspruch zwischen Volk und Elite so zu bearbeiten, dass er dem allgemeinen Glück nicht im Wege steht.

Die repräsentative Demokratie war nämlich nie ein Projekt, die Eliten abzuschaffen, sie war im Gegenteil von ihren Anfängen an dazu konstruiert, die „oppulent few“, die Menschen mit Besitz (an Land, Menschen und Maschinen) gegen die Ansprüche der Besitzlosen zu verteidigen. So formulierte es der achte Präsident der Vereinigten Staaten, jener James Madison, der sein Land im Britisch-Amerikanischen Krieg zwischen 1812 und 1815 auf dem Weg zum Home of the Brave and Land of the Free führte.

Demokratie als Projekt sozialer Entwicklung

Die Angst, die Demokratie könne von der Gewalt der Besitzlosen zerstört werden und daher automatisch die Keime zu einer Tyrannei entfalten, geht freilich viel tiefer zurück, bis in die antike Staatslehre. Warum, fragte Aristoteles zum Beispiel, sollten die Besitzlosen ihre von der Demokratie gewährten Rechte nicht in erster Linie dazu nutzen, einen mehr oder weniger gerechten Teil des Besitzes zu erlangen und damit ein unentwegtes Chaos anzurichten?

Damit wurde Demokratie schließlich zu einem Projekt der dynamischen sozialen Entwicklung, das die Spannung zwischen den Besitzenden und den Nichtbesitzenden nicht allein durch pure Herrschaft bearbeiten würde, sondern durch die Gewährung von Freiheiten (auch die zum sozialen Aufstieg), Beschränkung von Privilegien und die Maßnahmen zum Ausgleich (das Volk hat zumindest Anteil am wachsenden Wohlstand, insbesondere solange man ein ökonomisches Wachstum generieren kann, durch das möglich ist, die Armen zu weniger Reichen zu machen, ohne den wirklichen Reichen ein Opfer aufzuerlegen).

Heimat ist, nach Ernst Bloch, erst möglich auf der Grundlage einer wirklichen Demokratie

„Heimat“ entsteht für Menschen nicht als Widerspruch zum „Fremden“, sondern als jener Ort, an dem man ohne Angst und ohne Gewalt gemeinsam leben kann, weil die Beziehung zwischen Volk und Elite offen und harmonisch geregelt sind. Heimat ist, nach Ernst Bloch, erst möglich auf der Grundlage einer wirklichen Demokratie. Doch wenn es den utopischen Begriff der Heimat nicht mehr geben kann, dann hat der nos­talgische leichtes Spiel, und auf seinem Boden wächst der faschistische heran.

Wenn es die Aufgabe einer demokratischen Regierung ist, die Interessen der Eliten ebenso zu vertreten wie die des Volkes, so gibt es wohl zwei Möglichkeiten, nämlich entweder für einen sozialen und materiellen Ausgleich zu sorgen (der skandinavische Weg, den man einst als dritte Möglichkeit zwischen Kapitalismus und Sozialismus bewunderte) oder aber für ein wirtschaftliches Wachstum („um jeden Preis“), der auch uns, dem Volk, eine stetige Verbesserung in Aussicht stellt. Der große „Verrat“ der europäischen Sozialdemokratie bestand darin, sich von der ersten Möglichkeit auf die zweite zu schlagen.

Der Schwenk der Sozialdemokratie (und damit ist nicht allein eine Art von Partei gemeint, sondern auch eine Form der politischen Haltung) ins neoliberale Lager bedeutet neben der wirtschaftlichen immer auch eine politische Reaktion.

Rassistisches Konstrukt

So konnte in der jüngsten Verschärfung des Widerspruchs der Begriff Volk ebenso wie der der Elite nach rechts wandern. Und dort wird unter Volk etwas ganz anderes verstanden, nämlich ein nationalistisches und rassistisches Konstrukt. Und auch unter „Elite“ versteht man rechts etwas vollkommen anderes als in der demokratischen Kritik, nämlich keineswegs die Ausbeuter, die Machthaber und die Unterdrücker, sondern im Gegenteil ein unordentliches politisch-kulturelles Milieu, das nach der Meinung der Rechten das eigene Volk verrät mit der tätigen Hilfe von Intellektuellen und Kritikern, das sich als was Besseres vorkommt, nur weil es tolerant, rechtsstaatlich und „faktisch“ argumentiert.

Das Etablierte erscheint nun als nichts anderes denn als das „Fremde“, das dem Volk aufgezwungen wurde, und die Heimat liegt nicht mehr in der Verwirklichung, sondern im Gegenteil in der Abschaffung der Demokratie als jener Kultur, die Fremdes, Queeres und Intellektuelles zulässt. So folgt erschreckenderweise auf den ersten Verrat der Sozialdemokratie in Europa ein zweiter auf der einst linken Seite politischer Diskurse, nämlich der, sich den nach rechts gewanderten Begriffen „Volk“, „Heimat“ und „Elite“ wieder anzudienen. Als wäre wirklich nichts zu lernen gewesen.

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6 Kommentare

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  • James Madison war nicht der achte, sondern der vierte Präsident der vereinigten Staaten nach George Washington, John Adams und Thomas Jefferson.

  • Ich denke es werden gerade Dinge vollständig falsch gemacht.

    Man darf sich die Begriffe nicht wegnehmen lassen.

    Nationalismus und Heimat sind in der Bevölkerung nunmal nicht negativ besetzt. Die meisten Leute stellen sich darunter etwas anderes vor als es ist

     

    Dazu einfach mal Trotzki aus dem Übergangsprogram:

    "Wenn ein Kleinbauer oder Arbeiter von der Verteidigung des Vaterlandes

    spricht, denkt er dabei an die Verteidigung seines Hauses, seiner

    Familie und der Familien anderer gegen Invasion, gegen Bomben, gegen

    Giftgase."

     

    Und dieses Bedürfnis zur Verteidigung ist völlig gerechtfertigt. Und das gilt eben auch für die anderen Begriffe.

    Heimat ist etwas was das von vielen als Menschenrecht verstanden wird, das wo man sich wohl und geborgen fühlt. Jeder hat eine Heimat und möchte das diese auch erhalten bleibt

     

    Und die Begriffe von Volk und Elite sind eigentlich Begriffe das Klassenkampfes. Begriffe die in der Analyse der gesellschaftlichen Situation schlichtweg richtig sind.

    Ja es gibt eine herrschende Klasse, ja es gibt eine Elite und ja deren Interessen sind nicht unter einen Hut zu bringen. Die einen wollen den totalen Markt, und die anderen Sicherheit und in Ruhe leben

    Das nicht anzusprechen weil es ja angeblich antisemitisch oder in irgend einer anderen Weise nicht korrekt ist bedeutet die Realität zu leugnen und das zu leugnen was die Menschen eigentlich umtreibt

     

    Die Sozialdemokratie mag die Menschen immer wieder verraten haben aber die politische Linke hat sich in weiten Teilen von ihnen entfernt. Ich weiß nicht was weniger schlimm ist

    • @Oskar:

      Danke für den guten und wichtigen Kommentar!

       

      Und auch für das Zitat von Trotzki, das zeigt, wie weit sich die politische Linke mit ihrer Sprache von den Menschen entfernt hat.

  • Wer wissen will, worin die Krise der Linken besteht, muss nur diesen Artikel lesen:

     

    Er ist völlig abgekoppelt von der Lebensrealität der meisten Menschen. Eine abgehobene Diskussion um die Bedeutung von Worten, die die Mehrheit sowieso anders benutzt. Wer kennt schon die Definition von Ernst Bloch?

     

    Gleichzeitig drückt man sich vor einem Diskurs, statt die eigene Deutung in den Diskurs einzubringen und zu verteidigen.

    Und schuld sind natürlich die anderen, z.B. die Sozialdemokratie.

     

    Hoffentlich kann sich die Linke bald aus ihrer Erstarrung lösen.

  • Ihr Rat ist es also, umgedeutete Begriffe aufzugeben anstatt um die Deutungshoheit zu ringen und die positive, menschliche Deutung derselben klar zu transportieren.

     

    Ich denke, das ist ein Kardinalfehler der Linken. Genauso wie die Aufgabe unserer Flagge, die nur deswegen ein Hr. Höcke überhaupt für seine Zwecke nutzen kann.

    • @Co-Bold:

      Es ist aber nicht unsere Flagge. Es ist das Symbol der Staates von Ackerman und Merkel und nicht das der hier lebenden Menschen.

      Dazu kommt:

      Wer sich als Links versteht der sollte sich nicht nationalistisch selbst definieren