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Debatte Rassismus in DeutschlandOhne Sicherheit ist alles nichts

Kommentar von Richard Rother

Die Exzesse von Köln haben viele Menschen schockiert. Ohne Aufklärung gibt es keine Prävention – und die hat nichts mit Rassismus zu tun.

Geben auch nicht immer Sicherheit: Polizei in Köln Foto: dpa

S icherheit ist ein hohes Gut. Sich frei bewegen zu können – sei es zur Arbeit oder zur Schule, zur Kirche oder zur Moschee, zum Streik oder zur Demo, zum Badesee oder zur Party – das ist die Basis einer offenen Gesellschaft.

Ohne die Sicherheit, dass Leib und Leben aller Bürgerinnen und Bürger prinzipiell nicht bedroht sind, ist alles, was Linken wichtig ist, nicht denkbar: keine demokratische Teilhabe, keine Bildung für alle, keine soziale Gerechtigkeit, keine Geschlechterpolitik, kein Umweltschutz, nichts.

Deshalb gehen Linke zu Recht auf die Straße, wenn Nazis Minderheiten bedrohen: etwa Alternative wie in Leipzig-Connewitz oder Flüchtlinge. Wenn die Polizei beim Schutz von Minderheiten versagt, sparen Linke nicht mit Kritik. Und den Opfern gilt ihre Empathie.

Man sollte meinen, die beispiellosen sexuellen und kriminellen Übergriffe von Köln, Hamburg und anderswo würden ebensolche Reaktionen hervorrufen. Allein in Köln haben sich mittlerweile mehr als 700 Opfer bei den Strafverfolgungsbehörden gemeldet (Stand Mitte Januar), die in der Silvesternacht angegriffen, bestohlen oder bedrängt worden sind. Einen linken Aufschrei, gar eine Großdemonstration gegen Gewalt, gibt es bislang aber nicht.

Wären die Täter rechte Hooligans gewesen, wäre eine solche Herangehensweise ja auch selbstverständlich, gerade auch in der taz.

Selbst die Demonstration gegen Gewalt und Rassismus, die erfreulicherweise Mitte Januar 7.000 Menschen nach Stuttgart mobiliserte, taugt nicht als Gegenbeweis – sie war lange vor Köln vom DGB initiiert worden.

Verständliche Angst

Woran liegt die geringe linke Demonstrationsbereitschaft gegen die Kölner Gewalt? Liegt es daran, dass diesmal offenbar vor allem Menschen aus der Mitte der Gesellschaft zu Opfern wurden, obwohl auch diese selbstverständlich ein Recht auf körperliche Unversehrtheit genießen? Vielleicht.

Sicher aber hat es etwas mit den Tätern zu tun, die laut Polizei und Zeugenaussagen vor allem aus dem nordafrikanischen Raum stammen. Wer die Gewaltnacht von Köln, bei der ganz normale Passanten und umsteigende Bahnkunden Opfer eines entfesselten Mobs wurden, als solche benennt und mit angemessenem Protest reagiert, könnte, so die Befürchtung, den Rechten und Rassisten in die Hände spielen.

Die Angst ist verständlich, aber sie hilft nicht weiter. Wer solche Gewalttaten künftig verhindern will, muss das, was geschehen ist, schonungslos aufklären. Und dazu gehören ganz sicher Herkunft, Lebensumstände und Motive der Täter, Mittäter und Sympathisanten. Wären die Täter rechte Hooligans gewesen, wäre eine solche Herangehensweise ja auch selbstverständlich, gerade auch in der taz.

Taten von Köln relativiert

Nötig ist darüberhinaus eine Analyse der neuen Dimension der sexuellen Gewalt in Deutschland. Hier machen manche Linke und junge Feministinnen keine besonders gute Figur, den Opfern damit eine merkwürdige Gefühlskälte entgegenbringend. Sexuelle Gewalt sei doch alltäglich, wird argumentiert; und wer sich jetzt darüber aufrege, so ein Vorwurf, tue dies nur, um seinen oder ihren latenten Rassismus endlich ausleben zu können.

So werden die Taten von Köln relativiert, so werden aus Opfern sexueller Gewalt plötzlich rassistische Täterinnen. Ja, es stimmt, sexuelle Gewalt ist alltäglich. Aber solch massive Übergriffe wie in Kön hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben, weder auf dem Oktoberfest noch beim Karneval. Wer etwas anderes behauptet, sollte endlich mal Beispiele nennen.

Und was geschah in Köln, wo mittlerweile mehr als 330 Anzeigen wegen Sexualdelikten eingingen? Innerhalb weniger Stunden wurden an einem Ort in aller Öffentlichkeit zahlreiche Frauen Opfer von Männern, von denen sie oft in Gruppen umringt, beleidigt, belästigt, betatscht, bedroht, bestohlen und zum Teil vergewaltigt. Taten, die die Opfer an Leib und Seele nachhaltig verletzen; Taten, die bislang vom Tahir-Platz in Kairo bekannt waren, nicht aber von Plätzen in europäischen Städten.

Mangelnde Hilfe

Gern wird eingeworfen, die genaue Zahl der Täter von Köln kenne man noch nicht, und nur wenige Tatverdächtige – mit unterschiedlichem Aufenthaltsstatus – seien gefasst; man könne also nichts Bewertendes sagen, und vielleicht sei es nur eine kleine Gruppe gewesen. Gegen letztere Vermutung sprechen die hohe Zahl der Taten und Zeugenaussagen.

Außerdem gilt: Juristisch mag es relevant sein, wer genau welche Tat begannen hat – und leider wird sich das in vielen Fällen nicht gerichtsfest beweisen lassen. Moralisch aber hat sich jeder mitschuldig gemacht, der dabei war und nicht eingegriffen oder versucht hat, Hilfe zu holen. Völlig unglaubwürdig ist, dass nur wenige der rund 1.000 anwesenden Männer etwas von den Taten mitbekommen haben sollen.

Die Taten von Köln haben die allermeisten Menschen in Deutschland – mit und ohne Migrationshintergrund – schockiert. Sie fragen sich, wie es dazu kommen konnte und warum die Kölner Polizeit versagt hat. Weder konnte sie Opfer schützen noch Täter dingfest machen. Und noch am Tag nach den Exzessen hat sie versucht, alles zu vertuschen.

Mangelnde Transparenz

Das ist höchst bedenklich, denn die verantwortlichen Polizisten mussten sich gute Chancen ausgerechnet haben, die Taten trotz der monströsen Zahl verheimlichen zu können – so wie es der schwedischen Polizei gelungen war, zahlreiche sexuelle Übergriffe nach dem Kölner Muster auf einem Technofestival unter den Teppich zu kehren. Das war im Sommer 2014. Und die Folge dieses Vertuschens war, dass beim folgenden Festival in diesem Jahr die Besucher völlig ahnungslos anreisten – und wieder zahlreiche Frauen und Mädchen Opfer wurden. Ein ungeheuerlicher Vorgang.

Er zeigt, dass mangelnde Transparenz eine wirksame Prävention verhindert. Darum muss es nun gehen: zu verhindern, dass Köln jemals wieder geschieht. Erfreulicherweise stehen die Chancen dafür gut, auch wenn im Gedränge kleine entschlossene Gruppen nie ganz unter Kontrolle zu bekommen sind. Aber jetzt sind die Menschen und die Polizei alarmiert; sie werden solchen Tätern nie wieder so einen riesigen Raum lassen wie in Köln.

Ohne Transparenz wäre dies nicht möglich – eine offene Gesellschaft braucht eine offene Diskussion, gerade auch über Fehlentwicklungen und Gefahren. Und natürlich braucht sie wirksame Gegenwehr gegen jede Form von menschenverachtender Gewalt: egal ob gegen Flüchtlinge oder Einheimische, Homo- oder Hetereosexuelle, Juden, Moslems oder Christen. Ein Recht auf Sicherheit haben alle.

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Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Geboren 1969 in Ost-Berlin. Studium an der FU Berlin. Bei der taz seit 1999, zunächst im Berliner Lokalteil. Schwerpunkte sind Verkehrs- und Unternehmenspolitik.
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9 Kommentare

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  • Ohne Sicherheit ist alles nichts. Aber was ist Sicherheit ohne alles?

     

    Derzeit tun viele Leute so, als ginge es ums nackte Überleben. Das ist so richtig wie es falsch ist.

     

    Kriminalität gab es schon immer. Selbst zwischen 1933 und 1945 wurde gemordet in Deutschland. Und es war keineswegs nur der Staat, der Menschen umgebracht hat. Es gäbe überhaupt gar keine Polizei, wenn erst die "Nordafrikaner" die Gewalt nach Deutschland gebracht hätten. Wer also meint, er müsse gerade jetzt dagegen auf die Straße gehen, dass Menschen bestohlen und Frauen sexuell belästigt oder vergewaltigt werden, muss mir erklären, wieso er damit so lange gewartet hat.

     

    Ich denke, ich kenne die Antwort. Deutschland ist nicht nur Export- sondern auch Verdrängungs-Weltmeister. Man hat sich sicher fühlen wollen. Bisher hat das geklappt. Nun ist es nicht mehr so leicht möglich. Die Bild hat ja berichtet.

     

    Leider demonstrieren Leute hierzulande nie für sondern immer gegen etwas. In dem Fall gegen "Nordafrikaner". Die Demonstranten, denke ich, haben a) das Bedürfnis, sich abzugrenzen ("Wir sind die Guten!"), und b) den Wunsch, sinnlos Selbstjustiz zu üben ("Alle Nordafrikaner raus aus Schland oder rein in den Knast!"). Beides finde ich halbwegs dämlich, weil Kriminalität, Schuld überhaupt immer konkret ist. Auch auf der Opferseite.

     

    Akzeptieren könnte ich vermutlich nur eine einzige Demo-Forderung. Die, dass die Staatsgewalt sich endlich auf den Weg ins 21. Jahrhundert macht. Darauf, dass sich Täter per Internet organisieren um gemeinsam kriminell zu werden, war die Polizei schlicht nicht vorbereitet. Dagegen könnte man gut protestieren. Allerdings habe ich von so einer Zielstellung bisher noch nichts gehört - und hier auch nichts gelesen. Die Bürger sind wohl noch ein wenig weiter zurück im Denken als ihre Polizei.

  • Danke Richard Rother! Dieser Kommentar lässt mich wieder an die taz glauben. Die schockierende Ablenkungskampagne der letzten Tage hat viel kaputt gemacht.

  • Ja wir brauchen eine offene Diskussion. Und jeder muss darauf Achten soetwas zu verhindern. Aber ein freiheitlicher Staat kann nicht die Sicherheit geben, dass so was nicht passiert. Es ist eine schmale Balance zwischen Freiheit und Sicherheit. Aber Weder totale Überwachung noch der Ausbau der selbigen hätten dies Verhindert oder tun es in Zukunft. Genausowenig wie es uns hilft das geschehene einfach hinzunehmen und den Opfern die Schuld zu geben. Prävention durch Zivilcourage und Integration (nicht nur Fremder auch Fremdenfeindlicher und sonstiger Risikogruppen) ist in meinen Augen der Richtige Weg wenn wir unser Sicherheits und Freiheitsniveau bewahren wollen. Es darf auch nicht sein, dass wir ein Grundsatz des Rechtstaates aufgeben wie es oft im Rahmen von "ein Nein reicht" gefordert wird. Ein freiheitlicher Rechtsstaat braucht die Unschuldsvermutung als letzte Bastion gegen Staatliche Willkür.

  • Ein wohltuend klarer und ausgewogener Artikel!

  • Wird nicht schon genug gegen Ausländer demonstriert? Müssen jetzt auch noch Linke auf die Straße?

     

    Wann endlich geht eine Analyse mal in die Ursachen? Da sind Nordwestafrikaner aus "sicheren Herkunftsländern"; in Marokko und Algerien ist jedenfalls kein Krieg. Menschen von da haben bei uns keinerlei Perspektive; sie dürfen nicht arbeiten, kriegen keine Sprach-, keine Integrationskurse, keine eigene Wohnung. Einzige Perspektive: Kleinkriminalität. Was die allerdings schon wissen, bevor die sich hierhin aufmachen. Algerien und Marokko aber tun sich schwer, solche Leute zurückzunehmen: Weist uns erst mal nach, daß der wirklich Marokkaner ist. Und so bleiben sie eben hier.

     

    Und für diese Menschen gibt es in der Türkei keine Visumspflicht mehr. Heißt, die können einfach in einen Billichflieger nach Istanbul, und sich von dort aus in die Reihe der Flüchtlinge auf der Balkanroute einsortieren. Ein Problem, das uns Erdogan mutwillig geschaffen hat.

  • Das hat er wohl richtig und gut beschrieben, der Richard-Rother. Jeder Mensch hat zum gucken 2 Augen mitgekriegt. Die Gewalt der einen zu beklagen, die der anderen zu ignorieren ist nun mal nicht so schlau.

  • Eine konsequente Analyse. Patriarchat nervt eben immer, in jedweder Variante.

  • Der Artikel spricht mir aus der Seele. Ein willkommener Kontrast zu den sonst auf taz.de veröffentlichten Artikeln zum Thema.

  • Auch Selbstverständliches muss ab und zu mal gesagt werden, auch und gerade in der taz.

    Wichtig wäre noch:

    Das Wort NIE in "zu verhindern, dass Köln NIE wieder geschieht" streichen ;-)