Debatte Nachlass: Ist erben ungerecht?
Unsere Autorin hat ihr Vermögen bewusst Zwecken wie Umverteilung und sozialem Wandel gewidmet. Zudem solle es höher besteuert werden.
A lle Menschen sind sterblich. Wer stirbt, kann nichts mitnehmen; also wird es immer Erbschaften geben. Insofern ist Erben nicht gerecht, sondern unvermeidbar. Aber es macht einen Unterschied, ob ich persönliche Dinge, gegebenenfalls ein Eigenheim, erbe oder ein größeres Vermögen, Unternehmensanteile zum Beispiel. Letzteres ist mir passiert, im zarten Alter von drei Jahren. Damals starb mein Großvater, der mit zwei Partnern unmittelbar nach Kriegsende ein Unternehmen gegründet hatte.
Etwa zu der Zeit, als mein politisches Interesse erwachte, erfuhr ich von dieser Beteiligung. Mir war das nicht ganz geheuer, und ich stellte kritische Fragen. Ein Satz, den ich dann in der Familie oft zu hören bekam, lautete: „Du solltest dem Opa dankbar sein!“ Was mich beschämte, was ich ungerecht fand und auch heute noch ungerecht finde: Die Menschen, die in dem Betrieb arbeiteten, bekamen mit Ausnahme des Führungspersonals weniger Geld als ich, die ich keinen Finger dafür rührte, sondern bloß zufällig als Enkelin meines Großvaters auf die Welt gekommen war.
Eine Mitwirkung an der Firma war für mich nicht vorgesehen. Ich wurde Lehrerin, verdiente mein eigenes Geld – „anständiges Geld“, so empfand ich es im Gegensatz zu dem „unanständigen“, das aus der Firma floss und mir peinlich war.
Als ich mich nach 15 Jahren Schule in einer sehr unerfreulichen Situation befand, quittierte ich den Schuldienst. Das hätte ich ohne die Erbschaft vermutlich nicht gewagt. Jetzt musste ich mich dem Erbe stellen. Mir schwebte vor, eine progressive Stiftung zu gründen. Zum Glück traf ich auf andere Frauen, die ebenfalls geerbt hatten und ähnliche Gedanken hegten. 2001 gründeten wir zu neunt filia.die frauenstiftung. filia will dazu beitragen, dass Frauen und Mädchen selbstbestimmt leben und in Politik und Gesellschaft mehr Einfluss bekommen. Hauptsächlich fördern wir Projekte im Ausland, vorrangig in Ost- und Mitteleuropa, aber auch in Afrika und Asien. Heute ist filia eine mittelgroße Stiftung mit über 50 Stifterinnen und mehreren Angestellten. Sie kann jährlich ca. 200.000 Euro Fördergelder an Frauenprojekte vergeben.
Einkommen aus Arbeit wird stärker besteuert
Meine Firmenanteile habe ich inzwischen verkauft, eine langwierige Prozedur. Den Erlös habe ich nach ökologischen und sozialen Gesichtspunkten angelegt. Aus den Erträgen unterstütze ich eine Reihe von Organisationen, die mir imponieren. Dazu gehören neben filia die Bewegungsstiftung und LobbyControl. Die Bewegungsstiftung fördert Protestbewegungen, die einen sozialen Wandel bewirken wollen. Der Grundgedanke dabei: Alle gesellschaftlichen Fortschritte, ob für die Arbeiter, die Frauen oder die Umwelt, haben ihren Ursprung in sozialen Bewegungen; daher fördert die Bewegungsstiftung Graswurzelinitiativen für eine gerechtere Welt. LobbyControl recherchiert, auf welche Weise große Industrieverbände Einfluss auf die Politik nehmen, und macht dies öffentlich.
Das ist nun mein persönlicher Weg, mit dem Erbe umzugehen. Aber selbst wenn alle Wohlhabenden Stiftungen gründen und großzügig spenden, kann das die Ungerechtigkeit nicht beseitigen. Denn private Initiativen sind letztlich nicht demokratisch legitimiert. Aus meiner Sicht war es ein Fehler, die Vermögensteuer abzuschaffen. Kapitalerträge werden mit 25 Prozent besteuert, bei kleinen Aktienbesitzern ebenso wie bei Millionären. Einkommen aus Arbeit wird progressiv, also letztlich stärker besteuert. Das ist nicht korrekt.
Ungesund für die Gesellschaft
Ich meine, Erben ist okay, wenn es sich um überschaubare persönliche Besitztümer handelt. Das Erben großer Vermögen ist ungesund. Erstens für die Gesellschaft als Ganzes und zweitens für die Person, die erbt.
Jahrgang 1953, arbeitet heute freiberuflich als Grafikerin und lebt in Tübingen. Dort sitzt sie für AL/Grüne im Stadtrat.
Ungesund für die Gesellschaft: Die 400 Milliarden Euro, die jährlich in Deutschland vererbt werden, sind ja nicht gleichmäßig verteilt. Wenige erben sehr viel, und viele erben sehr wenig oder gar nichts. So ballt sich der Reichtum immer mehr. Das ist schädlich für die Demokratie; das widerspricht dem Prinzip der Chancengleichheit; das kann die Gesellschaft spalten. Auch die neue Erbschaftsteuer geht mit großen Erbschaften immer noch sehr schonend um. Der Gesetzgeber sollte sie stärker besteuern und flankierend Maßnahmen gegen Steuerflucht ergreifen.
Für erbende Frauen gibt es spezielle Konflikte
Ungesund für den Einzelnen: Es fühlt sich nicht gut an, wenn ich durch Erbschaft mehr Geld bekomme als durch eigene Arbeit. Es kann lähmend wirken. In Familien mit großem Vermögen herrscht nicht unbedingt freundliche Stimmung, es kann schlimme Zerwürfnisse und jahrelange Prozesse geben. Und wenn es zu einer tieferen Spaltung zwischen Reich und Arm kommt, müssen die Reichen Stacheldraht um ihre Besitztümer ziehen und mit der Angst leben, sie könnten überfallen oder entführt werden. Auch kein schönes Leben.
Für Frauen ist ein großes Erbe oft noch mit speziellen Konflikten verbunden. Sie haben es häufig mit Brüdern, Vettern und Beratern zu tun, die ihnen nichts zutrauen und ihnen Entscheidungen abnehmen wollen. Dies vor Augen, haben wir filia-Gründerinnen noch eine andere Organisation ins Leben gerufen: Pecunia, das Erbinnen-Netzwerk. Hier können sich die Frauen in geschütztem Rahmen über die Lasten und Chancen, die ein großes Erbe mit sich bringt, austauschen. Dass das sehr wertvoll ist, würden alle unterschreiben. Alles andere ist meine persönliche Sicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles