Debatte Menschen und Autos: Die Zombie-Technologie
Die aktuelle Debatte über manipulierte Abgaswerte und die Folgen zeigt: Die Autoindustrie steuerte von Anfang an in eine Sackgasse.
A bgaswerte, Dieselmotoren und kriminelle Manipulationen der deutschen Automobilkonzerne sind – entgegen dem lauten medialen Echo – nicht das Problem. Das Problem heißt „Personenkraftwagen“, euphemistisch lackiert „Automobil“.
So langsam merkt jeder, dass es mit dem „Selbstbeweglichen“ so eine Sache ist. Von Schnellstraßen durchpflügte Städte werden ebenso unbewohnbar wie Orte entlang der Autobahnen. Das Problemvolumen, das der Autoverkehr verursacht, wächst so dynamisch wie die Kollateralschäden – von volkswirtschaftlichen Kosten bis zu privaten Gesundheitsschäden und ökologischen Folgen.
Es wird deutlich, dass die Pkw-Technologie von Anfang an in eine wirtschaftliche, technische und soziale Sackgasse steuerte, was man in der anfänglichen Euphorie lange nicht merken wollte oder durfte. Die Sackgasse ist das erst verkannte, dann verleugnete und zuletzt mit allerlei Palliativmittelchen und halbgaren „Lösungsvorschlägen“ für noch abwendbar gehaltene Endziel aller Zombie-Technologien. Das gilt ebenso für die Energieerzeugung mit Kernkraftwerken, die Gentechnologie oder das industrielle Agrar-Business.
Automobil, Autostabil
Seit 1975, als knapp 20 Millionen Pkws auf deutschen Straßen noch mehr schlecht als recht zirkulierten, hat sich die Zahl der Autos auf weit über 40 Millionen mehr als verdoppelt. Das Automobil rast in den Stillstand, wenn nicht mehr nur jede oder jeder Zweite, sondern alle ein Auto „stabil“ besitzen, denn mit dem Fahren wird es dann schwieriger. Die volkswirtschaftlichen Kosten der automobilen Unfälle von heute betragen knapp 40 Milliarden Euro pro Jahr.
Das Auto versprach Mobilität und Freiheit für alle, die Atomtechnologie das Perpetuum mobile bei der Energieerzeugung – zumindest bis der Traum vom „schnellen Brüter“ und vom „Superphönix“ platzte. Zombie-Technologien benötigen mangels rationaler Grundlagen Anleihen aus der antiken Mythologie zu ihrer Rechtfertigung. Phönix wanderte nach der römischen Version des Mythos durch die Welt und musste sich alle 500 oder 1.500 Jahre selbst verbrennen, um danach aus der Asche wiederauferstehen zu können.
Natürlich gibt es zu Zombie-Technologien immer auch Alternativen oder wenigstens wirksame Bremssysteme. Für die Energieerzeugung durch Atomkraftwerke gab es nach der Selbstverbrennung des Systems in Japan einen Moment des Innehaltens und einen ersten zaghaften Bremsversuch.
Für die Automobilproduktion ist, vom individuellen Ausstieg aus dem Treck der Geisterfahrer abgesehen, nicht einmal ein erster Schritt absehbar, den automobilen Irrsinn wenigstens zu bremsen. Im Gegenteil, Autoindustrie, Politik und Gewerkschaften wollen, dass der Wagen rollt und rollt und rollt.
273 Tage im Stau stehen
Alternativen? Noch vor 40 Jahren, als es erst halb so viele Autos gab wie heute, hätte ein Umbau des irrationalen Mobilitätssystems bei gehöriger politischer Aufklärung und kollektiver Anstrengung eine Chance gehabt. Man hätte nur die Hälfte der Autobahntrassen schließen und umrüsten müssen auf ein effizientes und schnelles Eisenbahnsystem für den Transport von Personen und Gütern.
Ehemalige Autobahnausfahrten wären so zu Elektrobus- und Straßenbahnhöfen sowie Taxiständen geworden, mit garantiertem Anschluss in die Innenstädte und ins Umland. In Städten und Dörfern wären sukzessive nur noch Polizei, Feuerwehr, Notärzte und Behindertentransporte mit Autos unterwegs. Parkhäuser umgebaut, Autoarbeiter umgeschult und so weiter.
Eine Utopie? Sicher für die Riege unserer Verkehrsminister von Georg Leber (SPD) über Matthias Wissmann (CDU) bis zum Riesenstaatsmann Alexander Dobrindt (CSU). Der spätere Bundeskanzler Konrad Adenauer war zumindest sprachlich nahe dran an einer Alternative, als er 1932 als Oberbürgermeister bei der Eröffnung der Autostraße Köln–Bonn von einer „Kraftwagenbahn“ sprach.
Für Apologeten des „Selbstbeweglichen“ gibt es ein Tabu: Stau, vom Philosophen Walther Ch. Zimmerli zu „mobilitätsinduzierter Immobilität“ aufgemotzt. Statistisch hat jeder Bundesbürger die Chance, 6.570 Stunden seines Lebens – das sind 273 volle Tage – im selbstbeweglichen Stillstand zu verbringen. Eine BMW-Studie bezifferte 1995 den jährlichen Verlust durch Staus im Straßenverkehr auf 200 Milliarden Mark oder 6.000 Mark pro Arbeitnehmer.
Drohungen dominieren
Gegenüber der Dimension der sozialen, gesundheitlichen und ökologischen Schäden und der Kosten des automobilen Verkehrs sind die Debatten über Abgaswerte, Elektroantrieb und „intelligente“ Autobahnen lächerlich. Die finanziellen und ökologischen Kosten der Rohstoffgewinnung für Elektroautos übertreffen den Nutzen um ein Vielfaches. Und die Chancen, mit einem Bordcomputer „am Stau vorbei“ fahren zu können, sind spätestens dann vorbei, wenn alle mit der Wunderwaffe ausgestattet sind.
Die ganzen Debatten um „intelligente“ Lösungen für das Automobil gleichen dem Geschrei von Kindern, die sich im stockdunklen Wald verlaufen haben. Wo es wissenschaftlich um die Bekämpfung der Folgen des Verkehrs geht „in einer Welt, in der die Menschen sich mit dem Motor bewaffnet begegnen“ (so der ehemalige Verkehrsminister Leber), dominieren Drohungen.
Besessen von der Rettung des automobilen Wesens, drohte Leber der Bevölkerung 1985, zukünftig solle jeder von seinem Wohnort aus „maximal zehn Kilometer bis zur nächsten Autobahn zurückzulegen haben“. Das gelang nicht, obwohl der ADAC schon 1950 mit einer „blutigen Revolution“ im Namen des „kraftfahrfreundlichen deutschen Volkes“ gedroht hatte, falls die Regierung weiterhin „die nichtdeutsche Erfindung der Schienenbahn“ dem Auto bevorzuge.
Ein paar Jahre später ging Eugen Diesel (1889–1970), ein Sohn des Dieselmotor-Erfinders, ins Grundsätzliche: „Wir sind nun einmal – sehen wir es getrost biologisch – durch eine Symbiose mit dem Automobil zu Lebewesen geworden, die auf Räder gesetzt sind.“ Läuft es mit der Gentechnologie so rund wie mit anderen Zombie-Technologien, arbeitet der Körper demnächst mit Diesel statt mit Blut.
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