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Debatte Mensch und AutoFrische Luft für freie Bürger

Kommentar von Stefan Kühl

Mehr als 10.000 Menschen sterben jährlich infolge der hohen Abgasbelastung. Die Politik reagiert mit Verschleierungsmaßnahmen.

Die hohe Abgasbelastung führt zu Asthma, Herzinfarkten und Schlaganfällen Foto: dpa

D ass allein in Deutschland jährlich Tausende von Menschen nur durch die vom Automobilverkehr verursachte Feinstaub- und Stickoxidbelastung sterben, ist unter Experten seit Langem bekannt. Neue Berechnungen, die vor Kurzem in der Fachzeitschrift Nature veröffentlich wurden, zeigen, dass allein die Stickoxide aus Autoabgasen im Bundesgebiet jährlich für über 10.000 Todesfälle verantwortlich sind. Das Ergebnis der Vergiftung durch Autoabgase aber ist ein tausendfacher, unspektakulärer, schleichender und einsamer Tod durch Asthma, Herzinfarkt und Schlaganfall und findet deshalb in der Öffentlichkeit weitaus weniger Beachtung, als wenn ein Dutzend Menschen durch das Attentat eines islamistischen Terroristen oder eines rechtsextremen Einzeltäters zu Tode kommen.

Erst die Klagen vor Verwaltungs- und Strafgerichten haben überhaupt dazu geführt, dass das „stille Massensterben“ aufgrund des Automobilverkehrs zu einem öffentlichen Thema geworden ist. Die Klagen der Deutschen Umwelthilfe vor Verwaltungsgerichten haben überhaupt erst deutlich gemacht, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Grenzwerte für Stickoxide in deutschen Großstädten systematisch überschritten werden.

Gleichzeitig haben die US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden herausgearbeitet, dass die immer weiter professionalisierte Manipulation der Labortests für Abgaswerte inzwischen den Straftatbestand des Betrugs erfüllen. Plötzlich musste auch den Letzten klar werden, weswegen die Luft in den Städten immer schlechter wird, während gleichzeitig die Automobilindustrie immer neue Rekorde bei der Abgasreinigung vermeldet.

Durch die Skandalisierung dieser Gesetzesverstöße sah die Politik sich gezwungen, zu reagieren. Was als politische Maßnahmen – wie in solchen Fällen üblich – in den Sommerferien vorgestellt werden wird, ist nicht schwer vorherzusagen: Es wird eine Verbesserung des öffentlichen Nahverkehrs und der Infrastruktur für E-Mobilität angekündigt, und ein paar zusätzliche Millionen werden dafür freigegeben.

Stefan Kühl

ist Professor für Soziologie an der Universität Bielefeld und arbeitet als Organisationsberater für Unternehmen, Verwaltungen und Ministerien.

Die 2009 eingeführte staatliche Abwrackprämie wird reaktiviert, und Autofahrern, die ihre alten Autos durch neue ersetzen, wird ein steuerfinanzierter Kaufanreiz in Aussicht gestellt. Die Autoindustrie wird zu Maßnahmen zur Senkung des Ausstoßes von Stickoxiden über Software-Updates (selbst-)verpflichtet.

Dann gibt man dem verkehrspolitischen Paket einen peppigen Namen wie „Bündnis für bessere Luft“, „Frische Luft für freie Bürger“ oder „Tief Einatmen jetzt“ und suggeriert, dass sich durch diese Maßnahmen die Schadstoffemissionen in den nächsten vier, fünf Jahren halbieren ließen – darauf hoffend, dass sich dann niemand mehr an dieses Versprechen erinnert.

Umgekehrte Kopplung

In der Politikwissenschaft wird diese Strategie als „umgekehrte Kopplung“ bezeichnet. Je weniger Unternehmen, Stadtverwaltungen oder Ministerien den Ansprüchen genügen, die sie sich selbst gesetzt haben, so die Beobachtung des schwedischen Organisationsforschers Nils Brunsson, desto stärker werden diese Ansprüche in der Außendarstellung hervorgekehrt.

Der Beschluss einer Regierung, den Straßenverkehr in einer Großstadt in 10 Jahren um 30 Prozent zu reduzieren, macht es leichter, Akzeptanz für den Umstand zu schaffen, dass der Straßenverkehr faktisch immer mehr zunimmt.

Erst Klagen vor Gerichten haben dazu geführt, dass das stille Massensterben zum Thema wurde

Die Selbstproklamation einer Stadt zur „Radlhauptstadt“ kaschiert, dass es den Kommunalpolitikern bei keiner relevanten Straße gelingt, eine Vorrangregelung für Fahrradfahrer gegenüber Autofahrern durchzusetzen. Die Werbung für neue Dieselfahrzeuge mit dem Verweis auf die Erfüllung der „neuen“ Euro-6-Norm erleichtert der Automobilindustrie den Verkauf von Personenkraftwagen – was die Tatsache verbirgt, dass die Fahrzeuge, die inzwischen größer sind als so mancher Schützenpanzer im Zweiten Weltkrieg, die Grenzwerte lediglich im Prüflabor einhalten.

Die von der Automobilindustrie inzwischen fast schon routinemäßig versprochenen Software-Updates suggerieren, dass diese einen eigenständigen Beitrag zur Lösung des Abgasproblems in den Innenstädten leistet. Und das, obwohl fast alle Experten darauf hinweisen, dass diese Updates – die etwas Ähnliches sind wie das umweltpolitische Pendant zum alten alchemistischen Trick der Umwandlung von Blei in Gold – nicht sicherstellen werden, dass Autos auch auf der Straße die Grenzwerte einhalten werden.

Das angedrohte Fahrverbot für Dieselautos in Innenstädten, das allein schon durch die Reduzierung des Autoverkehrs messbare Effekte mit sich bringen würde, war lediglich die Begleitmusik für diese Symbolpolitik. Die Androhung des Fahrverbots sollte signalisieren, dass die Politik die Probleme ernst nimmt, um dann stolz Maßnahmenkataloge präsentieren zu können, die dieses Verbot überflüssig machen.

Der Benziner als Umweltfreund

Der Effekt dieser Diskussion ist paradox – durch die Konzentration der Debatte auf Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge erscheinen plötzlich nicht nur Elektroautos, sondern auch neuere Dieselautos und sogar benzinbetriebene Fahrzeuge als umweltfreundliche Alternativen. Dabei ist nicht nur bekannt, dass Dieselautos der neueren Generation im Straßenbetrieb teilweise deutlich mehr Schadstoffe ausstoßen als Dieselautos der älteren Generation und dass Autos mit Benzinmotoren durch ihren hohen Kohlendioxid-Ausstoß maßgeblichen Anteil am Klimawandel haben, sondern dass auch Elektroautos schon allein durch die Produktion und das Aufladen der Batterien eine erhebliche Umweltbelastung darstellen.

Die jetzt verkündeten verkehrspolitischen Maßnahmenpakete werden keine Verbesserungen bringen. Im Gegenteil – in einigen Jahren wird man überrascht feststellen, dass die ambitionierten Klimaziele wieder einmal verfehlt wurden, dass noch mehr und noch größere Autos in den Städten fahren, dass weitere Zehntausende von Menschen an Stickoxiden und Feinstaub gestorben sind.

Das kann man dann aber zum Anlass dafür nehmen, künftig noch ambitioniertere Ziele zu formulieren.

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3 Kommentare

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  • Die gegenwärtigen Debatten offenbaren, daß es in den Kreisen der Verantwortlichen, insbesonder auch innerhalb der Politik, nach wie vor viele gibt, die das Leben von Autos und das Leben von Aktienkursen für wesentlich wertvoller halten als das Leben von Menschen, speziell solcher, die nicht das nötige Geld haben, um sich aus eigener Kraft (Wohnortwahl usw.) halbwegs zu schützen.

  • Wenn man weiß, dass die AdBlue Technologie funktioniert, nur leider etwas mehr von diesem billigen Zusatzstoff benötigt würde, was ein häufigeres Nachfüllen erfordert, dann kann man das zögerliche entfernen der Betrugssoftware nicht mehr verstehen. Im Maximalfall wäre eine leicht zugänglicher Einfüllöffnung nötig. Es liegt also nicht am Fehlen einer funktionierenden Technologie, sondern an der Entscheidung lieber zu betrügen, als pro Auto Materialkosten von ca 70€ auszugeben. Das ist eine Schande. Es wird aber nicht besser dadurch, dass man jetzt alle Menschen zum Kauf eines Neuwagens bringt. Das wäre letztendlich eine Belohnung der Betrüger, sondern, dass die Ümrüstung für jedermann kostenfrei durchgeführt wird.

  • Ob man es glaubt oder nicht? die Fahrzeugindustrie ist bereits seit etlichen Jahren in der Lage extrem Schadstoffarme Fahrzeuge zu bauen. Warum sollten sie es aber denn auch tun?

    Es würde viel Geld kosten alle Fertigungsprozesse dementsprechend umzurüsten, die Fahrzeuge müssten auf einigen Komfort verzichten und würden Kleiner werden.

    Die bis Dato gebauten Luxuskarossen wären von heute auf morgen nicht mehr zu verkaufen, da aber sehr stark auf Halde produziert wird, wäre das ein absolutes NO Go!

     

    Die Politik steht bekanntlich hinter den Autobauern, es bleibt ihnen aber auch kaum etwas anderes übrig, da die Lobby genau weis, wo jeder Politiker seine Leichen im Keller hat und somit erpressbar ist.

     

    Ich arbeite seit etwa 40 Jahren mit der Fahrzeugentwicklung und versuche täglich nach zu vollziehen, warum man der Kundschaft immer wieder diese Alten Kamellen mit neuem Kleid auftischt, anstatt der bereits bekannten fast Schadstoffneutralen Antriebstechniken den Vorzug zu geben.

    Anfang der Achtziger Jahre gab es bereits eine Vielzahl von technischen Innovationen, mit denen man sehr viel Umweltgifte aus den Abgasen heraushalten konnte, bzw. erst überhaupt nicht entstehen zu lassen. Genauso gab es bereits Mitte der Achtziger Jahre die Möglichkeit starke Motoren so Sparsam zu machen, dass eine Limousine weniger als drei Liter Kraftstoff verbraucht hätte, diese Patente wurden aber von der Mineralölindustrie erworben und man hörte nie wieder etwas davon!

     

    Es gab einen Erfinder, der einen funktionierenden Motor entwickelt hat, der nicht größer als ein Schuhkarton war, aber eine Leistung von 50 PS/ 36 KW erzeugte. Dem Erfinder wurde der Einbau in ein Handelsüblichen PKW von mehreren Herstellern untersagt, so dass er seinen Motor nur im Ausland anbieten konnte. So wurde dieser Motor über einige Jahre von der Entwicklungshilfe als Wasserpumpenmotor eingesetzt.

     

    Hier in D wird alles von der Autolobby kontrolliert und Notfalls ausgemustert, nur keine Konkurrenz entstehen lassen!!!