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Debatte MaliDeutsche im „Musterland“

Kommentar von Charlotte Wiedemann

In Mali gibt es jetzt jede Menge Soldaten, aber keine Sicherheit. Die Deutschen profitieren dort allein davon, keine Franzosen zu sein.

Bundeswehrsoldaten bilden in Mali Pioniere für die Armee aus. Bild: dpa

H at eine Lüge 40 Jahre lang überlebt, dann ist sie als Wahrheit zu betrachten. Das war eine Regel im mittelalterlichen Mali-Reich. Bei uns geht das schneller. Lassen wir das hässliche Wort Lüge beiseite, sagen wir: Eine unbewiesene Annahme wird zur unbezweifelbaren Gewissheit, wenn sie in den repetitiven Sprechblasen von Politik und Medien Heimat gefunden hat.

Auf diese Weise wurde Mali früher einmal zur Modell-Demokratie ausgerufen; neuerdings gab es dort eine Modell-Intervention, fix, sauber, erfolgreich. Je weniger man über ein Land weiß, desto plausibler erscheint die Annahme: Soldaten werden die Dinge richten; mehr Soldaten richten mehr. (Und warum sollen Deutsche nicht dabei sein?)

Ein paar Worte also zunächst über die Lage in Nordmali, ein Jahr nach Beginn der französischen Intervention. Aus einem Bericht des UN-Generalsekretärs vom 2. Januar: Die Sicherheitsbedingungen hätten sich unlängst „beträchtlich verschlechtert“, anhaltende Sprengstoffattentate seien der Beweis, „dass sich die terroristischen und andere Gruppen reorganisiert haben und dass sie von Neuem in der Lage sind, Operationen durchzuführen“. Ähnlich fällt die Lagebeurteilung des französischen Chefs der taktischen Operationen in der Stadt Gao aus: Seit einem Jahr seien die großen dschihadistischen Gruppen von der Bildfläche verschwunden, um sich in kleinere Einheiten umzuwandeln.

Selbstmordattentate, zuvor in Mali unbekannt, richten sich nun gegen Checkpoints, Streitkräfte oder militärisch genutzte Gebäude. Im Dezember entdeckten die Franzosen ein gewaltiges Lager mit fünf Tonnen Ammoniumnitrat zur Sprengstoffherstellung; kurz zuvor fanden sie in der Wüste ein Trainingslager, das eben noch benutzt worden war.

Der Terror im Norden nimmt zu

Gewiss: Die Intervention hat die Zivilbevölkerung vom Druck eines islamistischen Sittenterrors befreit. Doch ist an dessen Stelle ein Viel-Fronten-Szenario getreten. Weil sich die Franzosen der Tuareg-Miliz MNLA als Gehilfen gegen die Dschihadisten bedienten, werden bekannte MNLA-Leute nun von al-Qaida-nahen Kräften liquidiert. Die Tuareg-Sezessionisten nehmen das zum Anlass, eine Kasernierung ihrer Kombattanten zu verweigern, die in einem vorläufigen Friedensabkommen mit der malischen Regierung vereinbart worden war.

Diesen nicht funktionierenden Friedensprozess sollen wiederum die Blauhelme der UN-Mission Minusma überwachen. Von denen sind erst 5.400 Mann eingetroffen, doppelt so viele waren vorgesehen. Die vorhandenen Truppen sind viel damit beschäftigt, ihre eigene Sicherheit zu organisieren und auf fehlende Ausrüstung zu warten.

Wegen der anhaltenden Unsicherheit verweigern viele Staatsdiener trotz finanzieller Anreize die Rückkehr auf ihre Posten im Norden. Da ist es kaum verwunderlich, dass auch die meisten Flüchtlinge – etwa 400.000 – bisher nicht heimgekehrt sind; von ihnen leben rund 160.000 in Lagern der Nachbarländer.

Die Tuareg in diesen Lagern haben berechtigterweise Angst vor Ressentiments, die sich in Mali durch die französische Begünstigungspolitik gegenüber der Tuareg-Miliz verstärkt haben. Es handelt sich hier also um einen hochkomplexen, verschlungenen Prozess, in dem ausländische Soldaten zwar kurzfristig Erleichterung bewirken können, aber zugleich neue Probleme schaffen – und alte verschärfen.

Die neuen Probleme der Tuareg

Warum das so ist, kann man im Fall Mali leicht benennen: Eine Intervention ist kein Akt von Solidarität ohne politische Interessen. Und selbst wenn es so wäre, ist der Beitrag des Militärischen zur Lösung komplexer Probleme sehr begrenzt. Zum Ersteren: Frankreich hatte vor der Intervention bereits eine Mitschuld an der Eskalation und am Zusammenbruch des Staates in Nordmali. Denn die Tuareg-Miliz MNLA wurde vom früheren Präsidenten Sarkozy aus geostrategischem Kalkül ermuntert, Nordmali einzunehmen – sie tat dies dann mit Plünderungen und Vergewaltigungen.

Vor wenigen Tagen sagte ein ehemals hochrangiger MNLA-Mann in einem Aufsehen erregenden Interview: „Frankreich hat uns grünes Licht gegeben für die Unabhängigkeit Azawads.“ Hama Ag Mahmoud war vor seiner Abkehr von der MNLA der Quasi-Außenminister im einseitig proklamierten Separatstaat Azawad. Er blickt zugleich auf eine Karriere im malischen Staat zurück, wo er Minister und Chef der Handelskammer war. Kurz: Das ist nicht irgendwer.

Was der Tuareg-Senior sagt, ist von Enttäuschung gefärbt, weil Paris die MNLA zwischenzeitlich fallen ließ. Aber er hat in einem entscheidenden Punkt recht: Das Primat des Militärischen macht die Bevölkerung zum Statisten. Der Krieg gegen die Dschihadisten sei politisch und nur an der Basis zu gewinnen, sagt Hama Ag Mahmoud. „Ohne die volle und umfassende Mitarbeit der Bevölkerungen wird alles völlig ineffektiv bleiben.“

Durch sein Taktieren in der Tuareg-Frage hat Frankreich in jüngster Zeit in Mali Misstrauen, teils sogar Feindseligkeit auf sich gezogen. Gerade jetzt in Mali die deutsch-französische Militärfreundschaft befruchten zu wollen, ist eine Idee, die von wenig Kenntnis des Milieus beschwert ist.

Bevölkerung wird zum Statisten

Die Deutschen profitieren in Mali davon, keine Franzosen zu sein: Nicht so arrogant, nicht so verschlagen, nicht auf Rohstoffe erpicht – und dass sie kein Französisch sprechen, unterstreicht ihre Harmlosigkeit, so die Sicht der malischen Straße.

Die Zeit, da auf diesen Straßen „Papa Hollande“ gerufen wurde, ist zum Glück vorbei. Ein Versuch des neuen malischen Präsidenten, ohne jegliche Information der Öffentlichkeit einen Militärpakt mit Frankreich zu schließen, stieß zumindest bei politisch gebildeten Maliern auf heftige Kritik.

Eines der protestierenden Bündnisse wird von einem jungen Anwalt angeführt, dem Sohn des Justizministers. Ein anderer Kritiker, der für sein Engagement bekannte Ökonom Abdoulaye Niang, sagte: Keine afrikanische Nation, die Verantwortung für sich selbst übernehme, könne heutzutage einen bilateralen Vertrag mit Frankreich schließen.

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