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Debatte Leitkultur und IntegrationStereotype bringen nichts

Nicht nur Flüchtlinge müssen integriert werden, auch Teile der deutschen Gesellschaft. Die Komplexität der Probleme muss diskutiert werden.

Einen Gartenzwerg haben auch nicht alle mit deutscher Staatsbürgerschaft Foto: dpa

Das Thema „Integration“ hat seit Jahrzehnten unumstrittene Bedeutung. Es war bezogen auf Arbeitsmigranten. Rasanten Bedeutungszuwachs und Realisierungsdruck hat es durch die in kurzer Zeit zahlenmäßig starke Flüchtlingsbewegung spätestens seit Sommer 2015 erhalten. Gleichzeitig wurde die soziale Integration aller sogenannten ursprünglichen deutschen Bürger wie selbstverständlich vorausgesetzt, was aber so nicht zutrifft.

In einen solchem Themenzuschnitt sind gravierende Fehler eingebaut. Sie betreffen zum einen die sehr unterschiedlichen Integrationschancen und -realisierungen verschiedener Gruppierungen. Zum Zweiten betreffen sie die Qualität der politischen, zivilgesellschaftlichen und medialen Integrationsdebatte, die reich an Stereotypen und arm an angemessener Komplexität ist. Das heißt, sie wird den kommenden Aufgaben in keiner Weise gerecht.

Woran lässt sich dies festmachen? Drei Beispiele. Da ist zum Ersten die immer wieder aufflackernde Forderung nach einer deutschen Leitkultur. Sie wird immer aufgerufen, wenn es irritierende Ereignisse gibt, etwa islamistische Religionsausübung von Muslimen, die schlimmen Übergriffe von männlichen jungen Flüchtlingen in Schwimmbädern und so weiter. Allerdings gibt es nirgends eine Übereinkunft darüber, was Leitkultur denn sein kann, außer der nicht verhandelbaren Anwendung deutscher Sprache, ohne die keine Verständigung in der Arbeitswelt oder im öffentlichen Raum möglich ist.

Zum Zweiten gibt es die stereotypen politischen Aufforderungen: „Die sollen sich integrieren …“ Dazu gehören aber hinreichende Angebote, angefangen bei zur Verfügung stehenden Sprachkursen für Flüchtlinge, an denen es augenfällig fehlt. Ebenso fehlen die rechtlichen Voraussetzungen für den Beginn von Arbeitsaufnahmen auch mit niedriger Einstiegsschwelle. Wenn dies aus rechtlichen Gründen noch nicht möglich ist, dann sollten Sprüche wie „Die sollen sich integrieren …“ auch unterlassen werden. Sie sind nichts weiter als politische Drohgebärden gegenüber Migranten und Flüchtlingen und Beruhigungspillen für die Mehrheitsgesellschaft und all jene, die sich selbst desintegriert fühlen. Sie suggerieren, die aktuellen und zukünftigen Probleme seien ausschließlich aufseiten von Migranten und Flüchtlingen zu lokalisieren.

Ein drittes Beispiel sind die offen oder verdeckt erhobenen rigiden Assimilationsaufforderungen an Migranten und Flüchtlinge. Damit sind Übernahmen verallgemeinerbarer deutscher Gewohnheiten gemeint, die es in dieser differenzierten Gesellschaft aber gar nicht mehr gibt. Es geht um die identitätsverletzende Aufgabe von kulturell eingewobenen und gerade in fremder Umgebung sicherheitsspendenden Gewissheiten. Hier werden autoritäre Versuchungen zur homogenisierten Gesellschaft sichtbar, für die rechtspopulistische Bewegungen bereitstehen. Diese Aufforderungen führen gerade nicht zur Neugier auf die Teilnahme und Teilhabe im öffentlichen Raum – sondern im Gegenteil zu Rückzug und Abschottung.

Bild: Universität Bielefeld
Wilhelm Heitmeyer

geboren 1945 in Nettelstedt, ist Autor zahlreicher Bücher und Studien. Von 1996 bis 2013 war er Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld. Seit 2013 ist er dort Senior Research Professor. Er war vor seiner Hochschullehrerkarriere als Schriftsetzer in der Druckindustrie und kurzzeitig als Hauptschullehrer tätig. Bis zu seinem Austritt wegen der Asylpolitik seiner Partei 1992 war er Mitglied der SPD.

In solchen immer wiederkehrenden Stereotypen wird deutlich, dass die politischen und medialen Eliten die Charakteristik dieser modernen, hochdifferenzierten und multikulturellen Gesellschaft entweder nicht begriffen haben oder nicht wahrnehmen wollen. Denn dazu gehören wenigstens zwei zentrale Strukturelemente. Erstens gibt es basale Grundnormen, die nicht verhandelbar sind. Dies sind die Gleichwertigkeit sowie die psychische und physische Unversehrtheit aller Menschen, die im Gemeinwesen leben. Zweitens ist jede moderne Gesellschaft eine Konfliktgesellschaft, weil sonst kein geregelter sozialer Wandel möglich wäre, um über Lebensstile, Umgangsformen, Ausübung religiöser Gewohnheiten zu streiten, um nicht Gefahr zu laufen, in höchst brenzlige Entweder-oder-Konflikte zwischen Gruppen zu geraten.

Dabei sind alle Gesellschaften und ihre Institutionen dazu aufgerufen, ihre Grundnormen, das heißt notwendige Verhaltensformen – die auch sanktioniert werden – immer wieder öffentlich zu verdeutlichen; sei es durch Gesetze oder öffentliche Debatten. Aber sie müssen dann der Differenziertheit dieser Problemlagen gerecht werden, um nicht die aktuellen Kämpfe um eine Verschiebung in Richtung homogenisierender Lebensvorstellungen offen oder verdeckt zu unterstützen.

Mein Vorschlag ist, nach drei zentralen Bereichen zu unterscheiden, die gesellschaftliche Teilbereiche abbilden, und zwei Ebenen zu benennen, die objektive Gelegenheitsstrukturen und jeweils subjektive Anerkennungsquellen abbilden.

Der erste Bereich ist selbstverständlich der ökonomische, um über Zugänge zum Arbeits- und Wohnungsmarkt die eigene Unabhängigkeit zu erarbeiten sowie gleichzeitig Anerkennung zu erwerben und zu genießen.

Der zweite Bereich bezieht sich auf die politische Mitwirkung, das heißt, bei öffentlichen Angelegenheiten als Einzelner oder als Gruppe eine Stimme zu haben, wenn es etwa um Solidarität, Gerechtigkeit und Fairness geht – und wahrgenommen zu werden. Erst dadurch entsteht moralische Anerkennung, um wichtiger Teil eines Gemeinwesens zu sein oder zu werden.

Drittens geht es um Sicherung der individuellen und kollektiven Identität der eigenen religiösen oder ethnischen Gemeinschaften. Dies signalisiert dann auch emotionale Anerkennung.

Integrationsverweigerungen oder Desintegrationserfahrungen mitsamt dazugehörenden Anerkennungsdefiziten führen zu Rückzügen und Gegnerschaften zwischen Gruppen – mitsamt der Gefahr ungeregelter Konflikte

Es sind also Kopplungen objektiver Bedingungen und Gelegenheitsstrukturen mit subjektiven Anerkennungen der sozialen Umgebung nötig, um der Komplexität von Integrationsprozessen gerecht werden zu können.

Integrationsverweigerungen oder Desintegrationserfahrungen mitsamt dazugehörenden Anerkennungsdefiziten führen zu Rückzügen und Gegnerschaften zwischen Gruppen – mitsamt der Gefahr ungeregelter Konflikte.

Was bedeutet das für die politischen und zivilgesellschaftlichen Anstrengungen sowie sensible mediale Begleitungen?

Wir haben nicht ein Integrationsproblem, sondern ein dreifaches mit unterschiedlichem Gewicht. Das gewichtigste und schwierigste ist offenkundig die Bereitstellung von Gelegenheitsstrukturen und Anerkennungsmöglichkeiten für Flüchtlinge. Hinzu kommen immer noch Integrationsprobleme bei schon länger anwesenden jungen Migranten. Schließlich – und das wird leichtfertig übersehen – sind auch Teilgruppen der ursprünglichen deutschen Bevölkerung im Sinne dieses Integrationskonzepts nicht integriert und empfinden Anerkennungsdefizite.

Dass dies zum Teil dramatische Folgen hat, ist unübersehbar. Zu besichtigen ist es an den Erfolgen rechtspopulistischer Bewegungen und Parteien, die Angst vor sozialer Desintegration, die Benennung kultureller Überfremdung sowie die Denationalisierung von Politik („Brüssel“) durch die Flüchtlingsbewegung mit einem emotional ausbeutbaren Signalereignis wie „Köln“ zusammenbinden. Dadurch wird eine Wucht entfaltet, die bisher geltende Normalitäten aggressiv verschiebt und allmählich „neue“, zum Teil feindselige Normalitäten erzeugt. Das Fatale muss man immer wieder betonen: Alles, was als normal gilt, kann man nicht mehr problematisieren.

Bisher wird die Bedeutung von unterschiedlichen Anerkennungsquellen für die drei genannten Teilgruppen dieser Gesellschaft von politischen, intellektuellen und medialen Eliten schlicht unterschätzt. Von einer Kultur der Anerkennung ist ohnehin keine Rede. Aber gerade diese subjektive Seite von Integration ist von größter Bedeutung für die Anerkennung der genannten gesellschaftlichen Grundnormen. Zwischen der Anerkennung der eigenen Gruppe und der Anerkennung von Grundnormen und anderen Gruppen besteht ein Wechselverhältnis. Dies ist allerdings höchst störanfällig.

Es ist dringend notwendig, die Komplexität der Probleme auf die Tagesordnung zu setzen, statt stereotyp die alten Formeln zur Beschwichtigung von rabiat auftretenden Gruppen zu wiederholen. Diese Formeln sind inzwischen hohl und führen zu neuen Verhöhnungen demokratischer Politik. Zumal die Kristallisationspunkte von Konflikten in Städten und den ohnehin schon belasteten Stadtteilen absehbar sind.

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15 Kommentare

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  • Wie ist Zuwanderung und Integration schmackhaft zu machen, wenn sich hier Lebende selbst als schon extegriert wahrnehmen. Es ist wie mit dem Kind, was in einer Familie mit der Angst lebt, an den Rand geschoben zu sein und Familie bekommt Zuwachs.

    Wer möchte behaupten, dass ein nicht geringer Teil der Bevölkerung sich keine große Sorgen um die Zukunft macht, Richtung Stabilität der Renten, Abflauen der Wirtschaft, Arbeitsplatzsicherheit, Zusammenhalt in den Familien selbst. "Wir sind eine Gemeinschaft von Individuen", ist doch längst gestorben. Oder hat es das je gegeben ?

    Flüchtlinge wären in noch größerer Zahl kein Problem, wenn doch die von Geburt an "Integrierten" sich als integriert begreifen könnten.

    Was den geistigen einschließlich medialen Eliten abgeht ist, dass umso abhängiger sich ein Mensch begreift, desto mehr wünscht er sich die Kommune und schlimmstenfalls stellt diese der Nationalismus/ Faschismus. Das heißt, den Menschen ist es wurscht, welche Hautfarbe, Religion und Weltbild, wenn sie sich selbst in der Gesellschaft aufgehoben fühlen. So begreifen sie alles Fremde als Bedrohung.

  • Ein schwer erträglicher Text, apodiktisches Geraune. Mag vielleicht inhaltlich schon passen, aber dieser passivische style lässt die Argumentation zu bedeutungsschwangeren Andeutungen vorkommen: „ Es wird dieses und jenes, Gelegenheitsstrukturen, blabla“.

    Klartext Kollege, wer macht was wann wo und warum?!

    Oder traut er sich nicht? Dann sollte er besser gar nix sagen.

    • @Ruhig Blut:

      Wie jetzt? Schreiben Sie doch "Klartext", wenn Sie diesen Text "scher erträglich" finden, geschätzteR RUHIG BLUT. Aber bitte nicht nur über das "Geraune" Wilhelm Heitmeyers, sondern über die Dinge, die Ihrer Ansicht nach "inhaltlich schon passen". Oder trauen Sie sich etwa nicht - weil Sie's selber nicht besser können? Dann sollten Sie womöglich "besser gar nix sagen".

      • @mowgli:

        Ach bla Mowgli. Soll ich jetzt versuchen, kryptische Allgemeinplätze zu interpretieren, und auf das antworten, was es mglw. bedeuten könnte? Was soll der Quatsch?

         

        Ich halte es für sehr wichtig, die Dinge in ihrer tatsächlichen Komplexität darzustellen, ggf. zu abstrahieren, um größere Zusammenhänge zu beschreiben. Ich habe auch wirklich kein Problem damit, wenn Leute eine, dem Betrachtungsgegenstand angemessene, Fachterminologie verwenden. Das heißt auch, dass mir antiintellektuelle Polemik echt zuwider ist. Aber inhaltslose Schaumschlägerei ist genauso eine Krankheit.

        Vgl. dazu die schöne Kritik von Sibylle Tönnies an Habermas: http://www.deutschlandfunk.de/des-kaisers-neue-kleider-keine-hommage.1184.de.html?dram:article_id=185330

         

        „Es sind also Kopplungen objektiver Bedingungen und Gelegenheitsstrukturen mit subjektiven Anerkennungen der sozialen Umgebung nötig“. Ja, ich hab schon eine Idee was das meinen könnte, aber wer weiß, vielleicht isses auch was ganz anderes. Er sagt ja eben nicht, was er damit meint. Diese Uneindeutigkeit zieht sich durch den Text.

        Und ich habe den Eindruck, dass dahinter Absicht steckt. Dass der Autor hier Eisen anfasst (Politik gegenüber ethnischen Minderheiten, ein sehr umstrittenes Thema), die ihm dann doch zu heiß sind, weshalb er sich in unverbindliches Geschwurbel flüchtet. So kann man vermeiden, sich angreifbar zu machen.

         

        Ach und noch was, Mowgli: Wenn Sie glauben ich traue mich nicht, mich zu irgendner Ansicht zu äußern, dann fragen Sie nur. Bedauerlicherweise gehören Sie aber zu den Leuten, die hier zwar gerne und regelmäßig Leute aus dem Off angiften, sich aber kaum je einer Diskussion stellen. Und zugleich immer wieder über die rauen Umgangsformen jammern und ihre eigene Sensibilität betonen. Eine sehr unsympathische Mischung.

  • 'Gleichzeitig wurde die soziale Integration aller sogenannten ursprünglichen deutschen Bürger wie selbstverständlich vorausgesetzt, was aber so nicht zutrifft.'

     

    'In solchen immer wiederkehrenden Stereotypen wird deutlich, dass die politischen und medialen Eliten die Charakteristik dieser modernen, hochdifferenzierten und multikulturellen Gesellschaft entweder nicht begriffen haben oder nicht wahrnehmen wollen.'

     

    Viele von uns linksorientierten Menschen unterliegen krassen Irrtümern. Denn leider ist es so, dass die Mehrheit der in Deutschland lebenden Menschen sich keine weitere Zuwanderer nach Deutschland wünscht. Diese Menschen gehen davon aus, dass die Integrationspflicht alleine bei den Zuwanderern liegt und die multikulturelle Gesellschaft macht ihnen Angst, weshalb sie ein Großteil von ihnen auch ablehnt.

    • @Nikolai Nikitin:

      Meiner Wahrnehmung und meiner Meinung nach haben Sie mit Ihrer Analyse recht: die Mehrheit möchte keine (weitere) Zuwanderung, sie lehnt "Multikulti" ab und macht - sozusagen als eine Art Schutzschild, das zum einen die (weitere) Zuwanderung abwehren soll, das zum anderen jedoch auch als Schutz gegen den Vorwurf, fremdenfeindlich, gar rassistisch, und "deutschtümelnd" zu sein, dient - die nachvollziehbare Forderung nach Integration zu ihrem Massstab, wohl wissend, dass es so wenig wie irgend möglich Integrationsangebote geben wird. - Hier kommt dann der jahrzehntelang erhobene Hinweis der konservativen Parteien "Deutschland ist kein Einwanderungsland" in's Spiel.

       

      Allerdings, wer sich als Deutsche und Deutscher zum deutschen Grundgesetz bekannt hat, steht in der Pflicht zu sagen, wie dies zusammen passen kann: einerseits Grundgesetz (GG) und Verfassungspatriotismus, andererseits "Nein" zum Grundgesetz-Artikel 16, Asylrecht.

       

      Wenn wir beginnen, aus dem GG das herauszunehmen, was uns nicht gefällt, beginnen wir, das GG auszuhöhlen und es letztendlich dem Reisswolf zu überantworten.

       

      Wir müssten gesamtgesellschaftlich miteinander reden. Nur, wer organisiert und moderiert dies?

       

      Die Parteien, deren Auftrag dies wäre, kommen aus ihrem "Stellungskrieg" nicht heraus. Bliebe der Bundespräsident; Herr Gauck ist jedoch in seinen letzten Amtsmonaten. Vielleicht nutzt er die Chance einer "Abschiedsrede", um eine Diskussion anzustossen, die von einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger weiter und auch zu Ende geführt werden müsste.

      • @Der Allgäuer:

        Die Väter des GG haben ganz bewusst nur einen Kernbestand des GG geschützt, nämlich die "freiheitlich-demokratische Grundordnung". Alles andere - auch das Asylrecht - ist politisch verhandelbar und ist ja auch in der Vergangenheit verhandelt worden. Sonst haben wir keine Demokratie mehr, sondern eine GG-Diktatur, und das war nicht die Intention der Verfassungsväter.

    • @Nikolai Nikitin:

      Ja doch! Das ist schon richtig, es gibt solche Menschen. Aber dieser Text ist längst schon ein Stück weiter. Er bleibt nicht bei der Feststellung stehen. Er macht einen Vorschlag, wie das Problem zu lösen ist. Und dieser Vorschlag ist durchaus plausibel.

       

      Politische, intellektuelle und mediale Eliten müssen die Bedeutung von unterschiedlichen Anerkennungsquellen für alle Teilgruppen dieser Gesellschaft erkennen und akzeptieren. Sie müssen, im wahrsten Wortsinn, aufhören ehr-geizig zu sein. Integration kann nur gelingen, wo es keine Sonderrechte gibt und niemand "gleicher" ist. Die Anerkennung gesellschaftlicher Grundnormen kann nur der erfolgreich einfordern von seinen Mitmenschen, der nicht nur selber bereit ist, diese Grundnormen zu respektiert, sondern zugleich jedem seiner Mitmenschen respektvoll begegnet.

       

      Nein, das bedeutet gerade nicht, dass alle gleich sein müssen. Es bedeutet, dass alle Menschen als gleichWERTIG angesehen werden, unabhängig von Fähigkeiten, Eigenarten oder Überzeugungen - sofern sie denn bereit sind, ihrerseits Respekt zu zeigen. Nicht nur denen gegenüber, die ihnen einen Vorteil verschaffen oder Ärger machen können, sondern allen und jedem gegenüber.

       

      Das Wechselverhältnis zwischen der Anerkennung der eigenen Gruppe und der Anerkennung von Grundnormen und anderen Gruppen ist höchst störanfällig. Unsere Eliten müssen endlich aufhören, so zu tun, als wäre Deutschland ein Erbhof, und anfangen, sich selbst als Gleiche unter Gleichen zu betrachten. Ein erster Schritt wäre es, nicht immer so zu tun als müssten sie auf Schritt und Tritt Angst um ihr Leben haben. Bei Staatsbesuchen Gullydeckel fest zu schweißen und den Leuten das Verlassen ihrer Häuser zu verbieten, ist kontraproduktiv und albern.

    • @Nikolai Nikitin:

      Ein wichtigen Punkt haben sie da: Die Annerkennung der Zuwanderer kann nur dann stattfinden, wenn die Zuwanderung selbst mit dem Willen und nicht gegen den Willen von Teilen der Bevölkerung stattfindet.

      • @Tim Schweizer:

        Ist das so? Muss staatliches Handeln immer meinem Willen oder dem einer vermeintlichem Mehrheit entsprechen? Sicher nicht! Die Väter und Mütter des Grundgesetzes und des modernen deutschen Parlamentarismus haben sich bewusst für eine Form der repräsentativen Demokratie entschieden, in der die Regierung das Recht, manchmal sogar die Pflicht hat, unpopuläre, d.h. gegen den Volkswillen der Mehrheit, gerichtete Entscheidungen durchzusetzen. Dies muss der Bürger bis zu einem bestimmten Grad hinnehmen und akzeptieren, bei der nächsten Wahl kann er sich dann ja als Alternative (für Deutschland) aufstellen lassen, um alles wieder rückgängig zu machen. Bis dahin aber ist es allein Aufgabe der gewählten Regierung, die Politik zu bestimmen. Allerdings sollte sie diese mehr offensiv und nachvollziehbar gegenüber dem Bürger kommunizieren. Die Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge war hier ein absolut abschreckendes Beispiel, da es nicht einmal innerhalb des Bundestages auch nur den Ansatz einer Diskussion, sei es über das ob oder das wie, die Folgen und gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen, gegeben hat. Da ist es nur natürlich, dass sich das Volk mehrheitlich übergangen gefühlt hat. Daraus aber jetzt das Recht auf absolute Opposition oder gar Widerstand abzuleiten ist schlichtweg falsch.

        • @Cerberus:

          Man kann es ja probieren aber es funktioniert dann einfach nicht. Die Integratino scheitert und wird deshalb auch weiter scheitern. So wie in Frankreich, Großbritannien, Schweden und anderswo. Weder die Migranten noch die autochthone Bevölkerung will sich bzw. will andere integrieren. Ich habe grundsätzlich nichts gegen Asyl und Einwanderung mit Verantwortund und Augenmaß aber so unkontrolliert wie das die Linken forciert haben macht es mich immer mehr zur Gegnerin dieser Politik.

        • @Cerberus:

          Was, wenn die gewählte Regierung, die unsere Politik bestimmen darf, diese nur deswegen nicht "offensiv und nachvollziehbar [...] kommunizieren" kann gegenüber dem Bürger, weil es da nichts zu kommunizieren gibt? Zumindest nichts, was im Sinne des Grundgesetzes und seiner „Eltern“ ist?

           

          Schon wahr: Es ist Aufgabe der gewählten Regierung, bis zur nächsten Wahl auch unpopuläre Entscheidungen durchzusetzen, wenn diese nötig sind für das Gemeinwohl. Und da liegt derzeit das Problem. Das Gemeinwohl wird seit Jahren erkennbar hinter gewisse Partikularinteressen zurückgestellt. Werden unter solchen Voraussetzungen unpopuläre Entscheidungen getroffen (Flüchtlingsaufnahme), sind sie in den Augen der Bevölkerung nicht mehr legitimiert. Auch dann nicht, wenn sie ausnahmsweise moralisch richtig sind.

           

          Politiker werden gewählt, um den gesellschaftlichen Frieden zu sichern. Sie sollen nicht die ohnehin schon Starken weiter stärken, sondern für den Ausgleich der Interessen ALLER gesellschaftlichen Gruppen sorgen. Tun sie das nicht, müssen sie damit rechnen, dass auch die Schwachen auf ihre Partikularinteressen verweisen und diese mit Gewalt zu erreichen versuchen. Dann ist der gesellschaftliche Frieden hinüber.

           

          Politiker, die ihren Job derart lausig machen, sollten sich einen anderen suchen. Das ist natürlich nicht ganz leicht. Deswegen halten die einmal Gewählten länger als gut ist an ihren Posten fest. Notfalls auch mit Gewalt (Gullydeckel etc). Das mach die Sache natürlich nicht besser sondern schlechter. Und zwar schon deswegen, weil Otto Normalbürger diese Chance nicht hat. Er wird einfach gefeuert, wenn er nicht tut, was er tun soll. Mehr noch: Er wird sogar dann gefeuert, wenn er selbst alle richtig gemacht und „nur“ die Führung versagt hat (VW, Kaiser‘s etc.).

           

          So wird das einfach nichts mit der Demokratie! Da muss doch "absolute Opposition" her - eine vernünftige.

          • @mowgli:

            Frust über politische Entscheidungen hat es immer gegeben, wird es immer geben. Die Welt aber dreht sich immer noch und durch die (z.B.) "Flüchtlingsschwemme" habe ich bislang noch keine weitreichenden Auswirkungen auf mein Leben zu spüren bekommen. Das ich über das handeln/Verhalten der Politiker genervt bin - klar. Das einzelne Bevölkerungsteile anscheinend je nach Besitz/Einkommen "gleicher" sind und durch die Politik besser gestellt werden - finde ich zum k.... Aber deshalb die Demokratie in Frage stellen? Binsenweisheit: Selbst in die Politik gehen (haben PIRATEN und AfD ja gerade gezeigt) und es besser machen (Bewertung von PIRATEN und AfD spar ich mir an dieser Stelle). Monarchie, Diktatur (des Proletariats oder irgendwelcher Braun-/Schwarz-/Grünhemden) sind sicherlich kein Rezept und den Volksentscheid sehe ich nicht erst nach dem Brexit als enorm gefährlich an.

        • @Cerberus:

          Hallo STEFAN WEINERT, ich gebe Ihnen recht, dass die gewählte Regierung auch Normen und Bestimmungen festsetzen (können) muss, die nicht dem Willen der Mehrheit entspricht oder ihn vllt. sogar entgegen gesetzt ist.

           

          Nur beschleicht mich, während ich Ihren Kommentar gelesen und den vorigen Absatz dieses Kommentars geschrieben habe, auch der Zweifel.

           

          Denn, wo liegt die Grenze, welche auch von einer Regierung, die vllt. sogar mit absoluter Mehrheit regieren kann, zu beachten und einzuhalten wäre?

           

          Da die Gerichtsbarkeit grundsätzlich auf bestehende Gesetze festgelegt ist und im Zweifel nur prüft (prüfen darf), ob durch Handlungen oder durch das Unterlassen von Handlungen Gesetze eingehalten oder eben nicht eingehalten worden sind, bliebe meiner Meinung nach lediglich der Bundespräsident (seine Unterschrift setzt letztendlich neue Gesetze und Gesetzesänderungen in Kraft) oder das Bundesverfassungsgericht (das die Übereinstimmung von Gesetzen und gesetzesähnlichen Bestimmungen mit dem Grundgesetz prüft) übrig.

           

          Oder wie sehen Sie das?

          • @Der Allgäuer:

            Hallo Allgäuer,

             

            die Macht, die der Bürger üblicherweise dem BVerfG und dem Bundespräsidenten zuschreibt, wird häufig überschätzt. In seiner Rechtsprechung hat das BVerfG festgelegt, dass es sich selbst darauf beschränkt, den verfassungsrechtlichen Rahmen festzulegen, in dem sich die Politik dann frei entfalten kann („Primat der Politik“). Es geht also nicht darum, unpopuläre Entscheidungen zurückzunehmen (hier z.B. die Urteile zur Wiederbewaffnung und EWG-Vertrag) oder die Politik „in ihre Schranken zu verweisen“. Das Gericht entscheidet nur, ob ein Gesetz i.S.d. Verfassung zustande gekommen ist, Grundrechte der einzelner Bürger verletzt und den Bestimmungen des GG entspricht. Dies ist regelmäßig auch bei unpopulären Entscheidungen der Fall, sonst müsste man sich mangels Handlungsfähigkeit vor einer (rechts-)populistischen Regierung à la Orbán oder Le Pen nicht sorgen. Noch weniger Einfluss hat der Bundespräsident. Sein Amt ist rein repräsentativ ausgelegt, er hat nicht das Recht, aus „Gewissensentscheidung“, politischer Motivation oder Populismus die Unterschrift eines Gesetzes zu verweigern. Er darf dies nur, wenn seine Hausjuristen einen Verstoß gegen das Grundgesetz erkennen. Dann tritt das Gesetz solange nicht in Kraft, bis wiederum das BVerfG eine endgültige Entscheidung fällt, daher s.o.

            Unser System sieht als einzig wirksame Kontrolle des politischen Tagesgeschäfts eine wirkungsvolle Opposition und das „Zwei-Kammer-System“ Bundestag/Bundesrat vor. Bei einer großen Koalition oder gar einer absoluten Mehrheit der Regierung ein zahnloser Tiger, aber gerade darin liegt die Gefahr und gerade deshalb fürchten sich so viele Menschen vor dem aufkommenden Populismus à la Trump. Und das völlig zu Recht, denn weder der Staat noch der Bürger haben nach der Wahl die Möglichkeit, Fehler zeitnah zu korrigieren. Hier ist der Brexit Paradebeispiel, der von einer Mehrheit der Engländer abgelehnt wird, durch Wahldummheit jedoch zum unumstößlichen Fakt geworden ist.