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Debatte Internet auf dem LandeShowdown am Verteilerkasten

Kommentar von Hilal Sezgin

Die Internetversorgung auf dem Land ist desaströs. Die Privatanbieter kümmern Beschwerden wenig: Sie lassen diese in Hotline-Warteschleifen verenden.

Leider sind die Stecken im Hintergrund keine Internetmasten. Aber sonst alles schön Foto: dpa

F ast fünf Wochen lang hatte ich zu Hause kein Internet. Nein, dies ist kein Text über einen Selbstversuch, für den die Protagonistin beschließt, eine Zeit lang auf irgendeine Errungenschaft der Zivilisation zu verzichten, um eigene Seelentiefen besser kennenzulernen oder die Freuden des Stricken und Häkelns wiederzuentdecken.

Gewiss, mangels Wachbleiben durch gestreamte Suchtserien hat sich meine Einschlafzeit um zwei Stunden nach vorn verschoben, und einmal habe ich tatsächlich eine dackelgroße Ameise gestrickt. Aber das war unfreiwillig, die Erklärung liegt nicht im Zivilisationsverdruss, sondern bei der Telekom.

Von der werden wir hier auf dem Lande nämlich oft benachteiligt. Manche Dörfer sind an ein fantastisches Glasfasernetz angeschlossen, und andere haben nicht mal ein schnödes Kabel für ISDN oder DSL. Unser Internet kommt nicht aus der Dose, sondern aus der Luft und heißt LTE.

Möglicherweise haben Sie, wenn Sie in der Stadt wohnen, schon mal von einem LTE gehört, das rasant schnell und sozusagen die Transrapid unter den Internetverbindungen ist. Von diesem LTE spreche ich nicht, ich spreche vom D-Zug, von LTE als Notversorgung. Unser dörfliches Interesse am weltweiten Geschehen wird über einige wenige Funkmasten geleitet, und weil, man glaubt es kaum, auch die Landbevölkerung immenses Interesse an der Restwelt besitzt, sind viele Masten chronisch überlastet. Dann kommen nicht die 50 Megabyte pro Sekunde hier an, die mancher Städter erreicht, und auch nicht die 15 Megabyte, auf die einige Dörfler bei Vertragsabschluss hofften. Sondern ich zum Beispiel erreiche gelegentlich Spitzenwerte von 400 und Durchschnittswerte von 120 – Kilobyte pro Sekunde. Falls Sie das relevante Detail überlesen haben: Kilobyte sind ein Tausendstel von einem Megabyte.

Bumerang Privatisierung

Und neulich war also auch das weg. Eine Fehlentscheidung der 1990er kommt da jetzt wie ein Bumerang auf uns Bürger zurück: die Privatisierung. Früher gab es das Recht auf Versorgung, heute gibt es nur die Wahlfreiheit zwischen Anbietern, die sich allesamt nicht wirklich zuständig fühlen. Um noch mehr Abstand zwischen sich und ihre Kunden zu bringen, installieren sie Hotlines. Grob geschätzt verliert ein internetloser Mensch ungefähr ein Zehntel der gesparten Zeit, die er nicht mit Google rumdaddeln kann, wieder durch Gespräche mit der Hotline.

So unterschiedlich die Wartezeiten und die Mitarbeiter (leider nicht die Wartemelodie) waren, die häufigste Antwort auf meine zigfach gestellte Frage, wann das Internet wieder laufen würde, lautete: „morgen“. Egal, an welchem Wochen- oder Wochenendtag ich anrief.

Irgendwann tat ich kund, dass dieses „Bis morgen“ einem gewissen Glaubwürdigkeitsverfall unterliege. Der Hotliner räumte ein: „Ja, „bis morgen“. . . ich sag mal so: Das ist eher fiktiv.“ Ein anderes Mal meinte einer, vermutlich sei ein Teil kaputtgegangen und müsse im Ausland nachbestellt werden. „Die werden dann mit ’nem Frachter geliefert. Sie wissen ja, wie lange so was dauert.“

In dem Moment möchte man nicht zugeben, dass man das eigentlich nicht weiß, und sagt ja. Falls das ominöse bestellte Teil nicht ohnehin zum Themenbereich „fiktiv“ gehört, wie übrigens auch die Auskünfte bezüglich der beiden erkrankten Sendemasten. Nennen wir sie Statler und Waldorf.

Die Abhängigkeit vom Mast

Auskunft Hotline-Mitarbeiter 1: „Sie werden von Statler und Waldorf versorgt, aber Statler ist kaputt, und Waldorf überlastet.“ Auskunft 2: „Sie werden von Statler und Waldorf versorgt, aber Waldorf ist kaputt, und Statler überlastet.“ Auskunft 3: „Bei Ihnen kommt nur Miss Piggy an. Wie, Statler und Waldorf? Nie und immer, Statler reicht gar nicht bis zu Ihnen ran! Und Waldorf ist übrigens überlastet.“

Und so weiter. Weil die Telefone in unserem Dorf noch funktionierten, konferierten wir Nachbarn fast täglich, welcher Mast derzeit angeblich außer Betrieb und welcher überlastet sei. In frei flottierender Reihenfolge bekamen wir zudem neue Router zugeschickt, weil angeblich nicht Statler und Waldorf, sondern unsere Empfangsgeräte kaputt seien. Obwohl wir es besser wussten, hatten wir nicht die Kraft, unser Wissen gegenüber den jeweiligen Hotline-Mitarbeitern durchzufechten. Wir nahmen Router entgegen, tauschten aus und hatten immer noch kein Internet.

Doch eines Tages war es dann tatsächlich „morgen“, und seither leuchten die blauen Lämpchen an unseren Routern wieder! Na ja, meistens. Abends ist die Verbindung sehr langsam, und am Wochenende läuft meist gar nichts. Aber Hauptsache, ich kann tagsüber unter der Woche arbeiten! Jetzt zum Beispiel empfange ich 22 Kilobyte pro Sekunde! Und ich bin inzwischen für jedes einzelne dankbar, das mir Statler und Waldorf schicken.

Den Schalter umlegen

In einem Nachbarort hat man sich ganz von den Masten verabschiedet. Gemäß glaubwürdigem Hörensagen: Wochenlang hatten die Bewohner dort kein Internet, obwohl die Leitungen bereits verlegt waren. Der Telekom-Mitarbeiter sagte, Vodafone müsse einen Schalter umlegen. Der Vodafone-Mitarbeiter sagte, das sei Pflicht des Telekom-Mannes. Eines Tages trafen sich der Telekom-Mann, der Vodafone-Mann und ein Anwohner am lokalen Verteilerkasten. Der Anwohner bat darum, endlich diesen ominösen Schalter umzulegen, und beide beteuerten, das passende Werkzeug nicht dabeizuhaben. Außerdem sei ihnen unklar, wer rechtlich dazu befugt sei.

Auftritt: ein hünenhafter norddeutscher Kartoffelbauer auf monströsem Traktor. „Ich zeig Ihnen jetzt mal meine Werkstatt, da finden Sie jedes Werkzeug, das Sie sich nur wünschen können. Und dann machen Sie unser Internet flott, sonst leg ich ’ne Kette um diesen Sch***kasten und reiße ihn mit dem Trecker ab, da können Sie grad noch mal von vorn anfangen.“

Fünf Minuten später hatte das Dorf blitzschnelles Internet. Vielleicht brauche ich also keine neuen Masten, sondern endlich einen eigenen Traktor.

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Hilal Sezgin studierte Philosophie in Frankfurt am Main und arbeitete mehrere Jahre im Feuilleton der Frankfurter Rundschau. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide. Zuletzt von ihr in Buchform: „Nichtstun ist keine Lösung. Politische Verantwortung in Zeiten des Umbruchs.“ DuMont Buchverlag 2017.
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10 Kommentare

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  • Bis vor 3 Jahren hatten wir DSL 1000, war langsam aber machbar (~125 KB/s), die waren dafür aber unabhängig von Stoßzeiten auch immer voll da.

    Dann haben wir uns zu LTE überreden lassen und es hat geschlagene 5 Wochen gedauert bis wir wieder Internet hatten... Wir durften netterweise ein benachbartes Netzwerk (auch DSL1000) mitbenutzen während der Zeit, so dass ich nur 2mal pro Woche über die Hotline genervt habe, aber es kamen immer lahme Entschuldigungen und Vertröstungen, bis ich einmal richtig laut wurde am Telefon (bin da eigentlich nicht so talentiert), dann wurde ich durchgestellt, zum scheinbar einzigen Mitarbeiter, der nicht nur im Call-Center Anrufer vertröstet... und danach lief es sofort... ... ...

    Von daher kann ich mir die Situation mit dem Treckerfahrer sehr real vorstellen...

    LTE hat dann aber auch knapp 2 Jahre recht gute Dienste geleistet (einmal war starker Schneefall, da war mal ein halber Tag Pause, aber sonst ~500-1000KB/s

    mittlerweile gibts bei uns ne ordentliche Verbindung

  • Was heißt hier Fehlentscheidung - die Bürger haben die Privatisierung gewollt und bewusst gewählt und gewusst, das Privatisierung immer Rosinenpickerei mit Gewinnmitnahmen und Gebrauch der Infrastruktur bis zum Zusammenbruch bedeutet, denn Investition bedeutet immer Renditeverlust - also was soll das Gejammer.

    • @Unvernunft:

      Ja, privatisiert, um dann mit Telekom-Aktien ordentlich Rendite zu machen ;-)

  • Und dann muss man sich nicht wundern, wenn Firmen und Menschen das Land verlassen und in die Stadt ziehen.

    Wie haben wir es bloß jemals geschafft so gut wie jedes Haus auf dem Land mit Strom und Wasser zu versorgen?

    • @JoWall:

      Die Stromversorgung ist aber auch nicht mehr für alle kostenlos. Unser Haus liegt ca. 600 m Luftlinie vom zugehörigen Dorf entfernt und wir wurden vom damaligen Stromversorger gezwungen uns nicht unerheblich finanziell an der Ertüchtigung unserer Stromleitung zu beteiligen. An eine Einspeiseleitung und somit Nutzung einer Photovoltaikanlage ist trotz schönster Südwestlage nicht zu denken.

  • Man kann Privatisierung gut oder schlecht finden. Im Telekommunikationsbereich ist sie nun nicht mehr zurückzudrehen. Wichtig ist nur: wenn's der Staat nicht selbst macht, muss er solche Angebote des Grundbedarfs überwachen. Das hier ist ein ganz klarer Fall für die Regulierungsbehörde.

  • Ein ernstes Thema, aber über die Schlussanekdote habe ich Tränen gelacht. Schön! :)

    • @th60:

      wat son norddüütschen so allns kann.

      een tüfftenbuurn för elkeen dörp int hele land un wi hebbt keen problem mier.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Deutschland ist in vieler Hinsicht rückständig, feiert sich aber als die Technologiehochburg. Bin gerade erst von einer Polenreise zurückgekehrt. 3G überall (mein Smart-Phone hat noch kein LTE), auch da, wo ich in Deutschland zu 100% "No service" hätte (und das ist in Polen offenbar überall so, wo ich bisher gewesen bin und ich bin die letzten Jahre oft in Polen gewesen). Als ich dann mit dem Zug wieder über der Grenze war, hatte mich der deutsche Alltag wieder: dauernd abbrechende Gespräche, kein Service. Die Bahn will jetzt nachrüsten. Angeblich sei es schwer, Handy-Empfang zu gewährleisten, wenn der Zug schnell fährt. In Polen sind die Regionalzüge gewiss nicht sonderlich schnell, aber in den schnellen ICs funktioniert das auch tadellos.

  • Wirklich eine schöne Geschichte.

     

    Ich habe auch eine: Unser winziges Dörfchen (15 Häuser, knapp 60 Einwohner) liegt ziemlich knapp an der Grenze zwischen Mecklenburg und Brandenburg. Deshalb ist unser Ortsnetz das eines größeren Dorfes etwas weiter Richtung Mecklenburg.

     

    Die Telekom-Leitung verläuft auf Holzmasten mehrere Kilometer entlang eines winzigen Sträßchens ohne Winterdienst mitten durch den Wald. Fallende Äste, nistende Fledermäuse, Insekten aller Art oder einfach nur anhaltende Feuchtigkeit, schon ist der Telefonanschluß weg. Von Internet wollen wir da noch gar nicht träumen, ISDN ist das höchste der technischen Errungenschaften.

     

    Nun könnte man natürlich argumentieren, daß nur 2km entfernt ein weiteres Dorf liegt, das bereits schnelle DSL-Anschlüsse hat und wohin eine Leitung über freies Feld zu legen wäre. Aber das ist ein anderes Ortsnetz. Zwar auch eines im selben Bundesland, aber irgendwie scheint da die Landesgrenzennähe da ein Hindernis zu sein. Fragt mich nicht, da argumentiert jeder befragte auch nur halbwegs Offizielle anders.

     

    Die Ansage der Telekom gegenüber Gemeindevertretern war dagegen offenbar klipp und klar: eher friert die Hölle zu, als daß dieses Kaff hier eine schnelle Leitung bekommt.

     

    Also LTE. Von den horrenden Preisen und der absolut bekloppten Volumenbegrenzung mal abgesehen: Unser Haus, das seit gut 120 Jahren hier steht, ist leider nicht in den LTE-Datenbanken der Telekom verzeichnet. Alle Nachbarhäuser drumherum schon, aber unseres nicht. Und es gibt offenbar keinen Weg, das zu korrigieren.

     

    Also blieb nur die Möglichkeit, den Anschluß auf die benachbarte Hausnummer zu bestellen, weil egal, ist ja Funk. Der Empfang vom knapp 8km entfernten Mast ist dank Außenantenne übrigens nahezu perfekt.

     

    Das mit dem ISDN-Anschluß war dagegen kein Problem, in dieser Telekom-Datenbank war das Haus offenbar dann doch vorhanden.

    Ich bin ausgesprochen gespannt, was die Telekom uns anbieten will, wenn sie ISDN demnächst abschaltet.