piwik no script img

Debatte Griechenland und die EUHäusliche Gewalt

Kommentar von Holm Friebe

Der Umgang mit Griechenland gleicht dem alltäglichen Kleinfamiliendrama. Europa kuscht, Tante Lagarde mahnt, die Welt ist entsetzt.

Ruhig bleibt hier keiner mehr. Foto: dpa

How can I try to explain, when I do he turns away again. It’s always been the same, same old story. From the moment I could talk I was ordered to listen. Now there’s a way and I know that I have to go away. I know I have to go.“

Cat Stevens, Father and Son

Nun ist es also passiert. Die aufmüpfigen, auf Krawall gebürsteten Teenager haben den Euro kaputtgespielt und das Haus Europa ruiniert, während die treu sorgenden Eltern nur kurz für ein verlängertes Wochenende auf Städtetrip in Brüssel waren. Der Fernseher wurde mit Retsina geflutet, die Plattensammlung einzeln vom Balkon geschmissen und jemand hat sämtliche Zimmerpflanzen in die Wanne umgetopft, um im Badezimmer Tropical Island nachzubauen. Um die verstopften Abwasserstränge zu sanieren, wird man wohl sämtliche Wände aufreißen müssen. Mama blickt stumm auf dem ganzen Tisch herum und Papa holt schon mal den Taschenrechner. Der ultimative Alptraum des kleinbürgerlichen Patriarchen.

Und so seit Wochen das auf Familienaufstellung und Kasperletheater eingedampfte Tableau der europäischen griechischen Tragödie, wie es uns aus Print, Funk und Talkshow entgegenschlägt: Der bereits hinfällig geglaubte Edmund Stoiber in seiner Paraderolle als Max Stirner’scher Spießer, der zum entsicherten Anarcho wird, wenn es ihm an Haus, Hof und Eigentum geht.

Antiintellektuelle Selbstgerechtigkeit

Und drinnen waltet kopfschüttelnd die züchtige Hausfrau Merkel. IWF-Chefin Lagarde – Was hat eigentlich der IWF bei einer binneneuropäischen Krise zu suchen? – mahnt an, man müsse endlich „einen Dialog mit Erwachsenen im Raum wiederherstellen“. Springers neoliberaler Popbeauftragter und Postadoleszent Ulf Poschardt assistiert: „In dieser Arroganz der Erwachsenen schimmert das Bestehen auf der Würde der Realpolitik durch. Insofern sind die Probleme bei der Rettung Griechenlands auch eine neue Form des Generationenkonfliktes – zwischen Gleichaltrigen, von denen sich ein Teil entschieden hat, mit der Unschuld des spiel(theoretisier)enden Kindes ein anderes Europa zu erträumen.“

Über allem thront, unangreifbar in seiner sich für Volk und Vaterland aufreibenden moralischen Integrität, Wolfgang Schäuble, der seinen ungeliebten Stiefsohn Varoufakis bei jeder sich bietenden Gelegenheit süffisant-kokett abkanzelt als nassforsch und naseweis: „Der Herr Professor weiß mehr darüber, er hat sogar Bücher darüber geschrieben.“ Tief lässt diese philisterhaft-antiintellektuelle Selbstgerechtigkeit blicken; funktioniert sie doch nur aus der Position des Altvorderen heraus, der weiß, dass er am längeren Hebel sitzt, auch wenn er nicht Recht hat.

Wie automatisch vervollständigen die Klischees das Bild vom alltäglichen Kleinfamiliendrama: von nicht gemachten Hausaufgaben über den unangemessenen Kleidungsstil bis zum monierten flegelhaften Verhalten auf gesellschaftlichem Parkett. Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich; aber jede unglückliche Familie ist auf ihre besondere Art unglücklich. Man könnte mit Freud und Lacan interpretatorische Funken schlagen aus dieser Lesart des Dramas.

Der Irrsinn hat Methode

Man könnte etwa auf den anal-raffenden Nationalcharakter Deutschlands eingehen, der sich bei Schäuble calvinistisch-schwäbisch mit Lustfeindlichkeit und aufgeschobener Triebbefriedigung bis zur Selbstkasteiung paart (die Obsession mit der schwarzen Null). Und doch hieße das, den Simplifizierern auf den Leim zu gehen und selbst mit an der Mystifikation zu stricken – gegen den Geist der Aufklärung und der kalten Vernunft.

Denn der Fokus auf den ganz alltäglichen innerfamiliären Zwist lenkt davon ab, dass der Irrsinn doch Methode hat, auch wenn nicht leicht zu erkennen: „Europe is destroying Greece economy for no reason at all“, wunderte sich unlängst die Washington Post. „No reason at all?“ Paul Krugman spricht es in seiner jüngsten New-York-Times-Kolumne klar aus, warum das schwarze Schaf jetzt vom Familienrat unsanft vor die Tür befördert und enterbt wird: „Die Troika hat ganz eindeutig den umgekehrten Corleone gemacht – sie hat Tsipras ein Angebot gemacht, das er nicht annehmen konnte.

Also war das Ultimatum effektiv ein Manöver, um die griechische Regierung abzusägen. Selbst wenn man nichts für Syriza übrig hat, muss das für jeden verstörend sein, der noch an die europäischen Ideale glaubt.“ Blickt man von außerhalb auf den europäischen Meltdown häuslicher Gewalt, etwa durch die Brille von Ökonomen und Nobelpreisträgern wie Krugman oder Joseph Stiglitz, dann dreht sich der Tisch und die Frage von Schuld und Rationalität kehrt sich um.

Wahnsinn nach Einstein

Dann würde man nämlich erkennen, dass die Rezepte von Troika, IWF und Eurogruppe exakt der Einsteinschen Definition von Wahnsinn entsprechen: Immer wieder dasselbe zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten. Dass die europäische Austeritätspolitik gescheitert ist, will nur Deutschland nicht wahrhaben und seine europäischen Vasallen folgen zähneknirschend. Der Grund ist der sogenannte Home bias, man könnte es – um im Bild zu bleiben – Familienidologie nennen. Mit Paul Krugman: „Was für Deutschland funktioniert hat, funktioniert nicht für Europa.“ Wohlwollend könnte man dahinter Ignoranz vermuten.

Der elementare Zusammenhang, dass auf Ebene von Volkswirtschaften die Milchmädchen-Logik der schwäbischen Hausfrau (“In schlechten Zeiten den Gürtel enger schnallen.“) eben nicht greift (“Eine Volkswirtschaft als ganzes kann nicht sparen.“), ist den meisten Parlamentariern ebenso wenig zugänglich wie den Kommentatoren der Springerpresse. Insofern hat Professor Varoufakis tatsächlich einen intellektuellen Vorsprung dadurch, dass er Ahnung von der Materie hat. Es war perfekt rational von der griechischen Regierung, alle spieltheoretischen Register zu ziehen, um die europäische Lüge von der Alternativlosigkeit herauszufordern.

Wer ahnte, dass die alten Herrschaften so borniert und verbittert sind, dass sie lieber die gesamte Dynastie in den Abgrund reißen, als von ihren Gewissheiten abzuweichen. Europas Weigerung, sich auf Griechenlands Gedankenspiel einzulassen, steht historisch auf einer Stufe mit der Weigerung Papst Paul V., durch Galileos Fernrohr zu schauen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
  • Es ist offensichtlich: Nicht die kreuzbrave, linkssozialdemokratische Regierung in Athen agiert hier extremistisch, sondern die deutschen Politeliten mitsamt ihren Schreibtischtätern in den Redaktionsstuben, die in den vergangenen Monaten eine beispiellose antigriechische Hetzkampagne losgetreten haben. Es stellt sich somit die Frage, wieso Deutschland diese Demütigungsstrategie eingeschlagen hat, obwohl Athen eine Kapitulation anbot.

  • @Per Nachname

    Hier geht es nicht um Links oder rechts, sondern um Gerechtigkeit.

     

    Wie sagte schon Goethe:"Man muss das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrtum um uns her immer wieder gepredigt wird und zwar nicht von einzelnen, sondern von der Masse, in Zeitungen und Enzyklopädien, auf Schulen und Universitäten. Überall ist der Irrtum obenauf, und es ist ihm wohl und behaglich im Gefühl der Majorität, die auf seiner Seite ist."

     

    Offensichtlich halten Sie es lieber mit dem konservativen Mainstream, in Deutschland, um im Zweifel auf der "richtigen" Seite zu sein, wenn es wieder knallt?

    Aber aufgepasst, wer sein ganzes Wissen aus dem Boulevard und ÖR bezieht, könnte am Ende genau so schlau sein, als wäre er gleich Analphabet geblieben? Ich verstehe nicht, obwohl heute nicht wie früher mit Gefängnis bedroht, wird den "massenhaften Papageien Journalismus noch das Wort geredet?

  • Nein, die Bundesregierung ist hauptverantwortlich.

    Sie sorgte 2010 dafür, dass GR nicht zum IWF alleine gehen konnte und verschärft jedes Jahr die Konditionalität unter der es neue Kredite gibt.

  • &nochens -

    "…Der Umgang mit Griechenland gleicht dem alltäglichen Kleinfamiliendrama. Europa kuscht, Tante Lagarde mahnt, die Welt ist entsetzt.…"

     

    &"Die Griechen nennen die Verwandten Freunde - das hab ich nie verstanden."

    Kurt Tucholsky - Schnipsel;)

  • Humorvoll verpackt -

    Was klar auf der Hand liegt.

     

    Um Onkel Herbert Wehner -

    Etwas abzuwandeln -

    " Wer rausfliegt -

    Kommt auch wieder rein!" -

    Eben darin gründet die

    Wut & Ohnmacht - von Angie&Wolfie!

     

    Schön daran ist -

    Das wissen sie ganz genau -

    &alle anderen auch.

     

    Wie Varoufakis in seinem faz-Essay -

    " Angela Merkel steht vor der Wahl". -

    geschrieben hat -

    Ich werde nicht die Fehler meiner Vorgänger wiederholen.

  • Bild niveau. Reinstes prolemisches Niveau. Zwar Linke Probagandar, aber dennoch ähnlich fundirt.

    • @Wandel:

      Huch - wie sind Sie denn drauf?

      Schlecht geschlafen - Frosch gestrühfückt?

      Oder bei - Annährung durch Wandel -

      Die Richtung verpeilt?

      Egal - Gute Besserung!¡

  • In dem Kommentar steckt mehr Wahres drin als man in den letzten Monaten der bemühten Propagandamaschine entlocken konnte. Gut geschrieben - gefällt mir.

  • Wau ein toller Text !

    ... ist ja leider so, das die naiv/unschuldige Jugend von Hellas (wenn nicht auch ebenfalls in der gesamten EU!) ..

    im jugendlichen Wunsch nach Hoffnung, Lebensfreude, Frieden und Gerechtigkeit..

    .. sehr übel von den historischen Wertekategorien " der alten, grauen Männer und Frauen" in Politik und Bankwesen/Ökonomie ..

    ..vergewaltigt/entmündigt/gelähmt sind!

    SYRIZA ist m.E. eine politische Ideenbewegung der griechischen Jugend.. ( und einigen alt/ergrauten die es vermochten so etwas wie einen `Geist jugendlichen Espris´sich zu erhalten) ..

  • Die Verhandlungen gehen jetzt erst richtig los. Bislang war alles nur Vorgeplänkel und junge griechische Garde wird es den "Etablierten" sicherlich nicht leichter machen. Dabe haben die EU-Politiker weniger Angst vor den Linken, mehr vor den Finanzkonzernen. Der Kern des Problems hat der spanische Ministerpräsidet Rajoy gestern auf den Punkt gebracht: "Spanien sei den Angriffen der Spekulaten gewappnet." hat verlauten lassen.

    So lässt sich dieses Problem nur lösen, wenn endlich den Finanzspekulanten in unseren Bankentürmen auf die Finger geklopft wird.

  • Es geht um viel mehr, als einen 'Familienstreit'. Gestern machte Finanzminister Schäuble in der ARD unmissverständlich klar: Die Regierung in Athen soll gestürzt werden. Wir erinnern uns: 1944 zetteln die Westalliierten in Griechenland einen Bürgerkrieg an um eine antikommunistische Regierung in den Sattel zu heben. Dabei hatte Stalin Churchill sein Desinteresse an Griechenland bereits zugesichert. Für die Drecksarbeit benutzte die königstreue Regierung in Athen genau die Milizen, die zuvor für die Nazi-Kollaborateur-Regierung den Krieg gegen die Partisanen geführt hatten. 1967 protegiert der 'Westen' die Obristen-Junta und opfert dafür klaglos die Demokratie in Griechenland. Folter und Unterdrückung sowie ein Fast-Krieg mit der Türkei sind die Folge. Uff, da können wir jetzt ja froh sein, dass die uns Beerrschenden Finanz- und Politkreie diesmal 'nur' dazu aufrufen, dass die demokratisch gewählte Regierung gestürzt wird. Griechenland war seit Gründung des Staates in den 1820er Jahren immer der Spielball der Machtinteressen hegemonialer Mächte. Jetzt soll ein neues Kapitel in diesem Spiel geschrieben werden, nach dem Motto: "Und seid Ihr nicht willig, so brauch ich Gewalt". Den Erlkönig spielt diesmal Rolli-Schäuble!

  • Dieser Kommentar macht nunmehr endgültig klar, woraus die Nibelungentreue vieler Linker gegenüber einem mit übelstem nationalistischem Populismus agierenden Tsipras und seinem selbstverliebten Finanzminister wirklich entspringt: der Anhimmelung von Popstars. Und wie das derlei infantilem Verhalten zu eigen ist, bestimmen dort nicht Argumente sondern Gefühle das Handeln. Das muss schiefgehen.

    • 6G
      628 (Profil gelöscht)
      @Per Nachname:

      Sie haben den Artikel entweder nicht gelesen oder nicht verstanden.

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @Per Nachname:

      Beispiel für ein Kommentar (FAZ) jenseits von linker Anhimmelung infantiler Popstars:

       

      "Stehende Ovationen für Jeroen Dijsselbloem

      Dijsselbloem trat in dieser ersten Pressekonferenz anders als sonst nach Eurogruppen-Treffen alleine vor die Medien. Der große Ernst und die entschlossene Eindeutigkeit seines Auftritts beeindruckte nicht nur die Journalisten, sondern auch die anderen 17 Finanzminister. In ihrem gemeinsamen Sitzungssaal verfolgten sie mucksmäuschenstill die Pressekonferenz des niederländischen Finanzministers. Als Dijsselbloem zurückgekommen sei, hätten ihm die anderen stehend Beifall geklatscht, berichtet ein Teilnehmer."

       

      Hofberichterstattung.

    • @Per Nachname:

      Ob Galileo Galilei wohl begeistert wäre, 373 Jahre nach seinem Tod zum "Popstar" ausgerufen zu werden? Vielleicht. Es waren schließlich nicht die sogenannten einfachen Leute, die seinen "Dialog" verhindert wissen wollten. Es waren die mächtigsten und Männer seiner Zeit, der Papst, der Großinquisitor und ihre Entourage. Wobei zumindest letzterer als Stellvertreter Gottes auf Erden eigentlich hätte wissen müssen, was mittlerweile nicht nur theoretisch nachgewiesen worden ist, sondern auch praktisch sicht- und erlebbar.

       

      Übrigens: Argumentfreies Linken-Bashing ist nichts, womit man sich in Zeiten wie diesen noch einen besonders klangvollen (Nach-)Namen machen könnte. Insofern passt das schon mit Ihrem Nick.

    • @Per Nachname:

      Hübsche Projektion.

       

      Wo bleiben IHRE Argumente?