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Debatte Expansion RusslandsDugin, der Wanderprediger

Klaus-Helge Donath
Kommentar von Klaus-Helge Donath

Ein noch fiktiver Kontinent bildet eine neue russische Utopie. Dahinter verbergen sich Ressentiments gegen Demokratie, Pluralismus und Liberalität.

Faulender Westen: Die Ideologen waren auch in der Präsidialkanzlei zu Hause. Bild: dpa

M it der Annexion der Halbinsel Krim hat Russland ein neues Zeitalter eingeläutet. Nichts wird so sein wie vorher. Die Hoffnung, Russland würde sich längerfristig dem Westen zuwenden, ist erst einmal zerbrochen. Mit dem militärischen Eingriff machte der Kreml deutlich: Die politischen und geopolitischen Veränderungen seit dem Ende des Systemgegensatzes 1991 sind aus Moskauer Sicht dringend korrekturbedürftig. Bisherige Regeln gelten nicht mehr. Wird Putin den Osten der Ukraine oder gar das gesamte Land schlucken? Sollte er noch ehrgeizigere geopolitische Ambitionen haben?

„Wenn wir [in der Ukraine; d. Red.] gewinnen, werden wir mit der Expansion der Befreiung von amerikanischer Ideologie in Europa beginnen“, schrieb Alexander Dugin unmittelbar nach dem Anschluss der Krim. Die Schlacht um die Integration des postsowjetischen Raumes sei die Schlacht um Kiew, meint der Professor von der Moskauer Lomonossow-Universität. Er ist als Vordenker der „eurasischen“ Ideologie einer der bekanntesten Intellektuellen in Russland und im staatlichen Fernsehen ständig präsent.

Von einer faschistoid obskuranten Randfigur zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der Sowjetunion stieg er in den nuller Jahren zum Stichwortgeber der jüngeren postsowjetischen Eliten auf. „Das Ziel des vollendeten Eurasismus ist ein Europa von Lissabon bis Wladiwostok, ein großes Eurasisches Kontinentalreich“, so Dugin.

Die Vormachtstellung fällt der russischen Ethnie zu. Für Russland sei die Reichsidee entscheidend und dieses Reich „quasi naturgegeben“. Dass das Imperium vorübergehend verschwand, sei ein historischer Irrtum, der behoben werden müsse: „Revolutionärer Expansionismus“, nennt sich das in der Theorie der „Neoeurasier“, die sich auf die eurasische Schule der Emigration nach der Oktoberrevolution 1917 berufen. Ein Etikettenschwindel, da die „Neoeurasier“ die Ahnen an Radikalität und faschistischem Gedankengut übertreffen.

Der antiwestliche Impetus ist indes beiden Bewegungen eigen. Sie berufen sich auf die Idee der „russischen Besonderheit“, die auf einem zivilisatorischen Sonderweg zwischen Ost und West beruhe. Dahinter verbergen sich Ressentiments gegen Demokratie, Pluralismus und Liberalität. Kollektiv und Staat sind die Leitprinzipien, denen sich das Individuum unterzuordnen hat. Autorität darf nicht infrage gestellt werden, das russische Ich ist kollektiv.

Messianisches Russland und faulender Westen

Kurzum: Der faulende Westen steht einem messianischen Russland gegenüber, das sich für dessen mentale und geistige Erneuerung bereithält. Die orthodoxe Kirche übernimmt den Part der spirituellen Unterweisung und gibt Anleitung zur sich selbst bescheidenden Demut. Die Weltordnung gleicht in diesem Konstrukt einem „Spinnennetz“ (Dugin), in dem das Gegeneinander von Freund und Feind erst Dynamik generiert. Unschwer zu erkennen, dass die geistigen Väter dieser Gedankenwelt im antidemokratischen Denken der Weimarer Republik beheimatet sind. Blaupause ist die „konservative Revolution“ der 1920er, die der Wegbereiter des Nationalsozialismus war.

So ist das Freund-Feind-Schema Carl Schmitt, dem Kronjuristen des Dritten Reiches, entliehen. Artur Moeller van der Bruck, Karl Haushofer und Rudolf Heß gehören wie der Nationalbolschewik Ernst Niekisch als Ideenspender auch in diesen Kreis. Im Rückgriff auf Niekisch, der den Staat vergötterte, gründete Dugin mit dem Schriftsteller Eduard Limonow 1998 die Nationalbolschewistische Partei.

Deutschlands Verhältnis zum Westen fußte auf dem unversöhnlichen Gegensatz, den die „konservative Revolution“ in die Formel „Kultur versus Zivilisation“ presste. Das gleiche Gefühl der Rückständigkeit und Minderwertigkeit gegenüber der westlichen Zivilisation beschleicht seit Ende der UdSSR die russischen Eliten.

Auf den Cocktail aus imperialer Größe, antiliberalem Denken, Ablehnung des Westens, Traditionalismus, Nationalismus und Überlegenheitsfantasien greifen indes nicht nur marginale Kräfte zu. Er ist nicht nur gesamtgesellschaftlich hoffähig; es gibt schlichtweg keinen anderen öffentlichen Diskurs mehr. Kommunisten, Neofaschisten, Klerikale und Vertreter der Kremlpartei singen alle dasselbe Lied.

Schwärmen für dei Waffen-SS

Texte und Melodie stammen nicht alle von Dugin, ein weit verzweigtes Netzwerk aus Stiftungen hat die Popularisierung und Verbreitung übernommen. Fast alle machen aber Anleihen bei ihm. In 20 Jahren gelang es Dugin, sowohl im Zentrum wie auch am subkulturellen Rand vertreten zu sein. In Thinktanks, TV-Sendern und Talkshows sitzen die Adepten, selbst in der Präsidialkanzlei waren sie zu Hause.

Erstaunlich ist, dass Russland einen unerbittlichen Propagandakrieg in der Ukraine gegen sogenannte Faschisten führt, diese vor der eigenen Tür indes übersieht: Dugin bekannte sich noch in den 1990er Jahren zum Faschismus, schwärmte für die Waffen-SS und die Organisation Ahnenerbe und sagte für Russland das Aufkommen eines „authentischen, radikalen, revolutionären und konsequenten, eines faschistischen Faschismus“ vorher. Heute gibt er sich, als Leiter des Instituts für Konservatismusstudien, eher als „Konservativer“ aus. Rassismus wohnt Dugins Werk auch inne, spielt aber keine zentrale Rolle.

Nicht zufällig ist Sergei Glasjew, Putins Beauftragter für die Entwicklung Eurasiens und der Zollunion, auch ein Anhänger dieser Ideologie. Dugins Internationale Eurasische Bewegung (IEB) unterhält enge Kontakte zur neuen Rechten in der EU. Dumaabgeordnete scheuen sich nicht, mit neofaschistischen Parteien wie der ungarischen Jobbik und anderen antieuropäischen Kräften zusammenzuarbeiten. Langfristig soll die Erweiterung der EU verhindert und die europäische Idee endgültig diskreditiert werden. Dugin nennt sein Konstrukt eine „Metaideologie, die allen Feinden der offenen Gesellschaft gemein ist“.

Der jungen Generation wurde dieses Gedankengut in Schulen, den Medien und auf der Universität mitgegeben. Wie die politische Elite hat auch sie wieder klare Feindbilder. Ob mit oder ohne Putin, Russland ist auf längere Zeit verloren.

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Klaus-Helge Donath
Auslandskorrespondent Russland
Jahrgang 1956, Osteuroparedakteur taz, Korrespondent Moskau und GUS 1990, Studium FU Berlin und Essex/GB Politik, Philosophie, Politische Psychologie.
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24 Kommentare

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  • "Dass die Ukraine jetzt tatsächlich russsisch ist"

     

    Bis jetzt nur die Krim :D Sorry für den Fehler.

  • Dugin https://en.wikipedia.org/wiki/Alexander_Dugin ist nicht Putin, auch wenn Euromaidan-Propagandist Andreas Umland sein bestes versucht, dieses Gespenst aufzubauen.

     

    Dugin hat auch schon während des Ossetien-Krieges davon geschwärmt, Russland solle gleich die Krim und die Ukraine besetzen. Dass die Ukraine jetzt tatsächlich russsisch ist, hat nicht Dugin, hat nicht Putin, das haben unsere Euro- und NATO-Strategen und nicht zuletzt auch die USA zu verantworten mit ihrem 5-Mrd.-Dollar-Staatsstreich.

     

    Natürlich sind unsere Strategen nicht dumm. Was die Konsequenz dieses Staatsstreiches sein würde, konnte sich jedes Milchmädchen ausrechnen. Es war ihnen also auch klar. Man wollte und will die Konfrontation mit Russland.

     

    Dugin ist nur eine Nebelkerze. Gefährlich sind die Leute, die im Westen das Sagen haben. Die Leute, deren einzige Ideologie Markt und Geld ist.

    • @h4364r:

      haha, die 5 mrd. lüge. billiger gehts wohl nicht. naja, als putinfan muss man mit den "infos" leben, die einem der kreml zur verfügung stellt.

       

      zur 5 mrd. lüge nur soviel: diese gelder wurden in einem zeitraum von 20 jahren an die jeweilige regierungen überwiesen, in diesem fall an kleptokowitsch (der damit wohl als maidanchef geoutet wurde ;). im gleichen zeitraum haben die usa an russland übrigens 20 mrd. überwiesen. demnach ist putin auch nur ein büttel der amerikaner. logisch, hahaha ;D

  • Ich bin zunächst dafür Herrn Dugin nicht mehr als Intellektuellen zu bezeichnen, da in meiner Vorstellung zum Intellektualismus die gesamtmenschliche, sowie gesamtökölogische Verantwortung das Fundament bilden.

    Aber können wir wirklich eine Prognose zur Frage der Orientierung und ferner der Utopie des russischen Volkes treffen? Wir wissen von Dugin, Putin, Pussy Riot, von Korruption, Nationalismus, Dissidenz. Die Chancen für eine freie Bildung der Meinung in Hinsicht auf jene Frage stehen aufgrund repressiver Medienkultur jedenfalls schecht. Das russische Volk steht noch offenkundig vermehrt hinter Putin und dem russischen Reich, als eigenständiges Bollwerk und legitimiert somit den Umgang mit den Nachbarn, egal ob Haus-oder weltpolitischer Nachbar, weswegen Verluste wie der Kontakt zu den USA oder, in substanziellerer Form, die Beseitigung von subversiven Methoden hingenommen werden, ohne dass man überhaupt Einblick in den Tatbestand gewährt bekommt. So lange Politik hinter geschlossenen Mauern stattfindet, werden Opportunisten sich die Finger lecken.

  • Rußland hatte Anfang der 90er Jahre extreme wirtschaftliche Probleme und auch noch lange innere Probleme zu lösen.

    Insofern konnte Rußland die Regeln nicht so schnell brechen wie es der Westen tat. Die BRD hat nicht lange gefackelt und sofort ohne Not die DDR einverleibt, später durch die Anerkennung von Slowenien auch damit begonnen, Jugoslawien zu zerstören, in der Hoffnung, damit neue Absatzmärkte zu erlangen. Später hat sie mit völkerrechtswidrigen Angriffskriegen auch alle Vereinbarungen gebrochen, die die damalige UdSSR der BRD aufgelegt hatte, um ihr die Annektion der DDR zu ermöglichen.

    Es hat lange gedauert, bis Rußland wieder in der Lage war, auf den westlichen Imperialismus zu reagieren. Leider hat Rußland nicht mehr das System der UdSSR, so dass diese Antwort aus Rußland nicht zu Verbesserungen der sozialen Situation im Westen führen wird.

  • Nett, dass Herr Donath die Ideen des Herrn Dugin jetzt einfach, simpel und irgendwie selbstverständlich auf geopolitische Leitbilder der alten deutschen Nazis schiebt.

     

    Man sollte aber vielleicht auch mal über den Tellerrand blicken und sehen, dass das Ganze "Eurasien"-Geplappere mindestens genauso gut als Adaption der Heartland-Theorie von Halford Mackinder durchgehen kann. Die gab es schon 1904. Und sie passt hervorragend. Einfach mal googlen ;)

  • Was Dugin schreibt, ist nichts anderes als ein Rückfall in die alten schlechten Zeiten der imperialistischen, expansionistischen Sovjetunion. Meinungsfreiheit, Toleranz, Pluralismus und Demokratie sind - auch in Mittel- und Westeuropa - von Putins Russland direkt bedroht. Und wenn man Putin nicht in der Ukraine stoppt, wird er sich als nächstes dem Baltikum zuwenden.

  • Was Sie schildern entspricht in weiten Teilen der rechten Idee eines "deutschen Sonderwegs", und die stammt aus dem Kaiserreich.

     

    Zurück zum Thema:

     

    "Bisherige Regeln gelten nicht mehr."

     

    Wer hatte die (welche?) festgelegt? Und wer gebrochen?

    NATO-Osterweiterung? Na?

     

    "Wird Putin den Osten der Ukraine oder gar das gesamte Land schlucken? Sollte er noch ehrgeizigere geopolitische Ambitionen haben?"

     

    Sagen Sie mal, meinen Sie das ernst?

    Schon mal überlegt, wer alles "ergeizige(re) geopolitische Ambitionen" hat?

     

    Wie kann man nur so blind einer Seite etwas in die Schuhe schieben, das die andere Seite tut?!

     

    Oder ist das gar nicht blind?

    Auch bei den Vorwürfen von Amerikanern und aktueller Kiewer Regierung an Russen und aufständische Ostukrainer hat man ja den Eindruck, sie erzählen nach, wie sie selbst in Kiew vorgegangen sind.

  • Da hat K.-H. Donath nun halt einen chauvinistisch oder was weiß ich, mal wie faschistoid gepolt gewesenen oder immer noch so seienden Professor von der Moskauer Lomonossow-Universität, der auch noch im staatlichen Fernsehen ständig präsent sein soll, hervor gepuhlt. Und das soll nun als Verfall der demokratischen Bewusstseinsinhalte in Gesamtrußland als symptomatisch vorgezeigt werden? --Wenn man mal so guckt welche spinnerten Typen so alles durch deutsche Talkshows und sonstige Bewusstsein schaffen wollenden Medien geistern, und dann mal deren wirkliches Einfluss haben auf die Mehrheit der Bevölkerung so betrachtet, sollte man sich doch wohl relativ entspannt auch um das erhalten geblieben sein der Fähigkeit zur nüchterne Objektivitätswahrnehmung, bei der Mehrheit der russischen Bevölkerung keine apokalyptischen Sorgen machen müssen. -- Bleibt mal auf dem Teppich. Und versucht hier nicht ständig, Dämonen der euch unliebsamen anderen Seite vorweisen zu wollen. Und dann damit, die Berechtigung zum z. Zt. immer mehr eskalierenden Willen zur jeweils beliebigen politischen Teufelsaustreibung, vielleicht auch je nach Lustbeliebigkeit martialisch übergriffig, hier umso mehr anstacheln zu wollen. -- Und wenn hier schon auf analoge Verhältnisse in der Zeit vorm III. Reich verwiesen wird, dann sollte man doch bitte nicht vergessen, dass die damalige Hetz- und Anstachelungspresse auch nicht so ganz ohne war. (Ohne jetzt hier im Augenblick jemandem persönlich zu nahe treten zu wollen (echt nicht!), aber die Presse spielte schon immer eine tragende Rolle bei der Einstimmung der Bevölkerung für kriegsvorbereitende Maßnahmen). Denn der hier vorliegende Zeitungsartikel über die angebliche geistig-politische Motivationslage in Russland, soll ja doch wohl eine akute Bewußtseinsverbindung zur Krimannexion evozieren.

  • Vielleicht schaut der "Russlandexperte" Donath mal in die Länder der so vorbildlich demokratischen EU, um zu bemerken, wie viele Faschisten inner- und außerhalb der Parlamente, bzw. in sonstigen Schlüsselpositionen ihr Unwesen treiben. Es mag ja sein, dass er die Ideen dieses Alexander Dugin zutreffend beschreibt. Richtig ist sicher auch, dass die derzeitige Politk der russischen politischen Führung falsch und kritikwürdig ist. Aber: Welchen Einfluss hat denn die von ihm gegründete nationalbolschewistische Partei? Etwa soviel wie die Le Pen Partei in Frankreich, die Wilders Faschisten in Holland oder der Vlaamse Block in Belgien, ganz zu schweigen von dem braunen NPD und sonstigem Gesocks in Deutschland? Sind diese Länder deshalb für eine pluralistische offene Lebensweise verloren, wie es in diesem Artikel Russland unterstellt wird? Hat die holländische Jugend klare Feindbilder, die von Wilders geprägt sind? Oder müsste man nicht eine solche Aussage über "die" französische, niederländische, belgische, deutsche, usw. Jugend als das bezeichnen, was sie ist, nämlich eine pauschalierende Verurteilung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Gruppe und damit mindestens faschistoid. Wie also ist eine derartige Aussage über "klare Feindbilder" der russischen "jungen Generation" zu bewerten?

     

    Kommentar bearbeitet. Bitte vermeiden Sie Beleidigungen

    • D
      D.J.
      @Ewald Schleiting:

      Ich möchte mich nicht über Ihren Faschismusbegriff streiten. Aber ich möchte darauf hinweisen, dass die von Ihnen genannten Rechtsparteien (die NPD klammern wir mal aus) keine außenpolitische Visionen haben (bzw. sehr stark nach innen gerichtet sind). Das unterscheidet sie sehr vom russischen (oder besser: russländischen) Turbonationalismus, der metaphysische Geschichtsvisionen pflegt.

       

      Im Übrigen gebe ich Ihnen zumindest soweit Recht, dass sich der Großteil der jungen Russen überhaupt nicht für solche Fragen interessieren dürfte.

  • Ich finde es ja gut, dass sich Russland nicht dem Westen zuwendet, sondern vielmehr momentan ein Bollwerk gegen westlichen Expansionsdrang und "Menschenrechtskriege" darstellt. Dennoch halte ich die Entwicklung in Russland, diese ganze Eurasien-Politik und die Tatsache, dass Leute wie Dugin in Russland etwas zu sagen haben, wirklich für bedenklich. Phasenweise erinnert das Russland, das Putin erbaut, wirklich schon stark an das alte Zarenreich. Und so sehr ich das eben noch gewürdigt habe, muss sich auch niemand darüber täuschen, warum Russland westlichen Kriegen entgegensteht …

  • (Donath ,Zitat) "Auf den Cocktail aus imperialer Größe, antiliberalem Denken, Ablehnung des Westens, Traditionalismus, Nationalismus und Überlegenheitsfantasien greifen indes nicht nur marginale Kräfte zu. Er ist nicht nur gesamtgesellschaftlich hoffähig; es gibt schlichtweg keinen anderen öffentlichen Diskurs mehr. Kommunisten, Neofaschisten, Klerikale und Vertreter der Kremlpartei singen alle dasselbe Lied. "

    Kann mir eigentlich nicht vorstellen , dass diese verschiedenen Gruppen von Ressentimenttypen sich zu e i n e r schlagkräftigen "Partei der neoeurasischen Geisteskrankheit" amalgamieren lassen . Da möchte man im Westen doch zuletzt die Hoffnung darauf setzen , dass wenigstens Russlands Oligarchen , die das "System Putin" stützen , nicht von solcher Geisteskrankheit ("Ideologie") bestimmt sind .

  • @Irma

    Ich sehe die Verflechtung deutscher und russischer Wirtschaftsinteressen nicht als Problem, ganz im Gegenteil. Zum einen ist da der materielle Gewinn für beide Seiten. Noch wichtiger aber ist, dass Wirtschaftsinteressen den Kontakt und das gegenseitige Verstehen fördern- Wandel durch Annäherung.

    Dies brachte bereits erste Resultate: So hat z.B. die deutsche Wirtschaft den Putsch der Rechtsnationalen in Kiew von Anfang nicht begrüsst und mässigend auf die Falken in der Bundesregierung eingewirkt, die ukrainischen Radikalen nicht zu unterstützen und nicht aggressiv gegen RU aufzutreten. Interesse und ethische Prioritäten sind in der dt. Wirtschaft somit durchaus vorhanden, wie sie mit ihren mutigen Stellungnahmen gezeigt hat.

    • @Peter Wieland:

      Suggerierten Sie nicht gerade eben noch eine Kritik am Neoliberalismus als "westliche" Ideologie? Beim einen oder anderen ideologisch verrannten Linken werden Sie u.U. jenseits aller Logik und argumentativen Konsequenz auch so, durch sture Widerholung, Erfolg haben, mir und anderen können Sie derartigen Argumentationsbrei aus der putinschen Werbetrommel aber nicht andrehen.

  • - Es ist unübersehbar, dass West- und Osteuropa kulturell sehr verschieden sind.

    - Ebenso ist unübersehbar, dass die westliche Ideologie, der Neoliberalismus, spätestens seit der Finanzkrise im Niedergang ist.

    - Und drittens ist unübersehbar, dass alle Versuche des Westens, RU seine Kultur und Ideologie aufzudrängen, sei es mit Gewalt oder mit subtileren Methoden, gescheitert sind.

     

    Aufgrund dieser Befunde ist es nur logisch den Schluss zu ziehen, dass RU ein eigenständiges kulturelles und geistiges Zentrum ist.

     

    Und das ist auch gut so für uns in Westeuropa. Schliesslich hat RU immer wieder mässigend auf europäische Führer und die europäische Oberschicht- von Napoleon über Hitler bis heute zu den EU-Bürokraten- eingewirkt und deren Exzesse verhindert oder zumindest abgemildert.

  • " stieg er in den nuller Jahren zum Stichwortgeber der jüngeren postsowjetischen Eliten auf."

     

    Etwas konkretere Belege für den angeblichen Einfluss Dugins wären dann doch wünschenswert.

    Im Übrigen wundert mich das nicht, dass "der Westen" für die Mehrheit der Russen nicht mehr attraktiv ist. Für viele Westler (und zwar nicht nur im angeblich latent nazoiden Deutschland, sondern auch in den USA, UK und Frankreich) ist er das nämlich auch schon längst nicht mehr.

    • D
      D.J.
      @tommy:

      Tatsache? Und ich Dummerchen wunderte mich schon, warum die Massen aus dem Westen wegwollen!

      • D
        D.J.
        @D.J.:

        O.K., ich versuche es mal ohne Ironie. Vielleicht sollten Sie öfter einmal in nichtwestliche Länder reisen. In solche, wo man als Homosexuelle/r verprügelt wird (Russland) oder ins Gefängnis geworfen bzw. hingerichtet wird (viele nichtwestliche Staaten). In solche, wo Sie als Arme/r tatsächlich wie Dreck behandelt werden. In solche, wo Sie ermordet oder hingerichtet werden können für eine zu laut geäußerte Meinung. Oder in solche, wo ein weiblicher Fötus oft nichts wert ist, da nur Kosten verursachend.

        Und dann können wir noch mal über die Unattraktivität des Westens diskutieren.

         

        Es gibt viele nichtwestliche Staaten, wo dies nicht so ist? Aber gewiss doch. Aber es wird Ihnen auffallen, dass dies meist solche sind, die in mancherlei Hinsicht den "unattraktiven" Westen kopiert haben.

        • @D.J.:

          Na ja, mit all dem haben Sie natürlich nicht Unrecht. Aber ich denke nicht, dass "der Westen" auf einem guten Weg ist. Von meinem (zugegebenermaßen eher rechten) Standpunkt aus wird alles immer unfreier, in GB und Frankreich kommt man für Meinungsdelikte in den Knast, die USA bespitzeln ihre Bürger und foltern, und westliche Außenpolitik (z.B. in Syrien) ist unmoralisch und kurzsichtig. Und wer glaubt denn noch, dass unsere Gesellschaften eine gute Zukunft haben? Schon allein aus demographischen Gründen ist das doch nur noch ein langgezogener Suizid.

          Dass autoritäre Bestrebungen wie die von Putin, geschweige denn irre Ideen wie die von Dugin keine Alternative sind, da gebe ich Ihnen aber sogar Recht.

      • @D.J.:

        Das ist jetzt aber kein wirklicher Einwand, wohin sollte man schließlich aus dem Westen fliehen? Russland und China sind ja nun wirklich auch keine Alternative. Aber viele Westler entfremden sich innerlich immer mehr von ihren Ländern, fällt Ihnen das nicht auf?

        Im Übrigen meine ich das nicht als Verteidigung von Putin (auch wenn ich ihn nicht so verurteile wie Sie das tun), geschweige denn von diesem Dugin. Ob letzterer so einflussreich ist wie im Artikel behauptet, bezweifle ich aber, dafür fehlen mir die Belege.

        • @tommy:

          Naja, Nationen haben damit letzten Endes aber auch herzlich wenig zu tun.

          Entweder du bist reich, dann gehts dir gut. Oder du bist arm, dann hast du Pech.

  • D
    D.J.

    Hier ein weiterer Artikel:

     

    https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2007/dezember/faschismus-a-la-dugin

     

    Natürlich ist der Mann ein Faschist - wer überhaupt, wenn nicht er?

     

    Kritische Selbstreflexion war einmal in Russland. Ein paar Jahre Vergangenheitsbewältigung in den frühen 90ern. Dann war die Parole auch unter Historikern: Manch schlimme Dinge damals geschehen unter Stalin - aber wollen wir das mal beiseite lassen; viel wichtiger ist doch Russland Größe.

    Ja, es geht wieder um das Kollektiv - was bedeuten da schon mal ein paar Millionen Opfer, wenn die der neuen Größe des Dritten Rom entgegenstehen. Und die Pfaffen - natürlich - trällern mit das Lied.

    Natürlich lassen sich nicht alle vom nationalistischen Irrsinn blenden. Sie sind zu unterstützen - z.B. durch mühsamen akademischen Austausch.

    • @D.J.:

      Das Problem beginnt doch mit den Verschränkungen deutscher wirtschaftlicher und politischer Interessen mit denen der entsprechenden russischen Kreise. Natürlich ließe sich auf zivilgesellschaftlicher Ebene einiges bewegen und könnte man so demokratische Kräfte in Rußland (und im sich daraus ergebenden Synerergie-Effekt auch anderswo) unterstützen. Dafür müßte denn aber auch auf unserer Seite das entsprechende Interesse samt ethischer Prioritäten vorhanden sein. Ich kann dieses bisher nicht erkennen.