Debatte Europäisches Kulturerbe: Heimat für alle
„Sharing Heritage“ lautet das Motto des Europäischen Kulturerbejahres. Hört sich gut an. Aber wollen wir unser Erbe wirklich mit allen teilen?
S chlösser, Gärten, historische Altstädte. Auch in diesem Jahr hat sich Brandenburg vorgenommen, mit seinen Pfunden zu wuchern. „Europa in Brandenburg, Brandenburg in Europa“ heißt das Motto des Themenjahrs, mit dem das „Kulturland Brandenburg“ Touristen in die Mark locken und die regionale Identität stärken möchte.
Brandenburg dockt damit an das Europäische Kulturerbejahr an, das die Europäische Kommission für 2018 ausgerufen hat. Unter dem Stichwort „Sharing Heritage“ soll, so heißt es aus Brüssel, Europa den Europäern wieder ein Stück nähergebracht werden. „Werfen wir gemeinsam einen Blick auf unser kulturelles Erbe“, heißt es an die Bürgerinnen und Bürger gerichtet, „hören unserer gemeinsamen europäischen Geschichte zu, erzählen sie weiter – auch ganz lokal bei uns zu Hause.“
Eine gute Idee, zumal in europäischen Krisenzeiten. Ihr liegen gleich mehrere Prämissen zugrunde. Erstens: Die europäische Kultur war und ist eine Kultur der Vielfalt. Zweitens: Das kulturelle Erbe prägt unser Bild der Vergangenheit und schafft Angebote für nationale und regionale Identitäten. Und drittens: Wenn wir dieses Erbe teilen, öffnen wir uns anderen und lassen sie an diesen Identitäten teilhaben.
Aber genau da liegt der Knackpunkt: Wie ernst meinen wir das mit dem Öffnen und Teilen wirklich? Was teilen wir und mit wem? Und was wollen wir lieber nicht teilen, weil wir es lieber für uns behalten? Ist Sharing Heritage eine inklusive Kampagne oder schließt sie auch aus? Seit Horst Seehofer als Heimatminister bekanntgegeben hat, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, birgt auch die Frage des kulturellen Erbes einiges an Konfliktpotenzial. Ist es für alle da? Oder zieht es den Kreis enger, markiert eine unsichtbare Trennlinie zwischen „uns“ und „den anderen“?
Erfahrungswelt der Geflüchteten
Es lohnt sich, dieser Diskussion einmal aus der Perspektive von Flüchtlingen nachzugehen. Seit einiger Zeit bieten die Staatlichen Museen zu Berlin und das Deutsche Historische Museum (DHM)Führungen auch in arabischer Sprache an. „Multaka. Treffpunkt Museum“ heißt das Projekt, für das 19 Geflüchtete aus Syrien und dem Irak als Museumsguides fortgebildet wurden. „Das Deutsche Historische Museum will den Flüchtlingen eine Annäherung an die deutsche Kultur und Geschichte mitsamt ihrer Krisen und Erneuerungsbewegungen ermöglichen“, heißt es zu dem Projekt.
Nun kann man sich natürlich fragen, ob es für Flüchtlinge nichts Wichtigeres gibt als die „deutsche Kultur und Geschichte“. Ein Dach über dem Kopf zum Beispiel, das Lernen der Sprache, ein Job. Stimmt: Aber die Integration, die wir fordern, verlangt auch eine Auseinandersetzung mit der Kultur der Aufnahmeländer, den Respekt ihrer Werte, und die ist ohne ihre Geschichte und Kultur kaum möglich. Dem fühlt sich das Angebot des DHM verpflichtet. Gleichzeitig versucht „Multaka“ auch, an der Erfahrungswelt der Geflüchteten anzusetzen. Im Zentrum der Führungen steht die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und der Wiederaufbau.
Leider stehen die Leuchttürme des deutschen Kulturerbes auf der Berliner Museumsinsel damit weitgehend allein. Vor allem in den ländlichen Regionen und kleinen Städten, in denen die regionale Identität stärker ausgeprägt ist und von der Mehrheitsgesellschaft dominiert wird, sollte es ähnliche Angebote geben. Wie soll sonst ein Dialog zustande kommen zwischen einer, sagen wir, Syrerin aus Aleppo, die in einer Flüchtlingsunterkunft im Spreewald lebt, und einer Touristin, die mit Fontane bewaffnet in Lübbenau in einen Spreewaldkahn steigt?
Wie wichtig dieser Dialog ist, zeigt sich nicht zuletzt am Beispiel Sachsens und dort vor allem in Dresden. „Schönheit will bewahrt sein“, schrieb Oberbürgermeister Dirk Hilbert im Oktober in der Sächsischen Zeitung. „Dementsprechend groß ist die Zurückhaltung gegenüber Neuem und dementsprechend groß ist auch die Zahl der Bewahrer.“ Das mag als psychologische Erklärung für ein Dresden als Hauptstadt von Pegida und AfD taugen, nicht aber als Bewerbung für eine europäische Kulturhauptstadt, die Dresden 2025 werden will. Als solche muss sie nicht nur bewahren, sondern auch teilen wollen. Denn es geht ja nicht um eine deutsche, sondern um eine europäische Kulturhauptstadt.
Ein großer Wandschrank namens Heimat
Oder ist es doch so, dass man in Dresden das Erbe lieber für sich behält, das familiäre ebenso wie das Kulturerbe? Alles zusammengepackt im großen Wandschrank namens Heimat?
Bewahren oder auch teilen? Gleiches gilt für die Kampagne „Sharing Heritage“. Doch teilen muss auch mit Angeboten verbunden sein. Die Sprache ist das eine, die Bereitschaft zum Dialog das andere. Bislang aber sind es vor allem Ehrenamtliche, die mit Flüchtlingen in Museen gehen oder eine Fahrt in den Spreewald unternehmen. Öffnen müssen sich aber auch Kommunen, Stiftungen, historische Vereine – und damit zeigen, dass sie nicht nur unter sich bleiben wollen mit dem Stolz auf das historische Erbe.
ist Redakteur der taz und arbeitet zurzeit an einem deutsch-polnischen Projekt über die Grenze von 1918.
Zumindest, was das gemeinsame Erbe mit Polen angeht, gibt es in Brandenburg keinen Zweifel mehr: Hier wird geteilt. Hier gibt es aber auch eine gemeinsame Geschichte. Komplizierter ist es, wo es diese Geschichte nicht gibt, wo man sie sich gegenseitig erzählen und erklären muss, um die verschiedenen Welten miteinander ins Gespräch zu bringen.
Immerhin hat Brandenburg diese Aufgabe erkannt. Kulturministerin Martina Münch (SPD) betont, dass gerade die Hauptstadtregion für die Begegnung der Kulturen stehe. „Es sind die kulturellen Verknüpfungen, die das Fundament für Austausch und Zusammenhalt in Europa sind“, sagt Münch. Das kulturelle Erbe sei demnach nichts Trennendes. Und: „Die Zuwanderung aus außereuropäischen Regionen hat schon immer die europäische Kultur bereichert.“
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