piwik no script img

Debatte Erfolg der UmweltbewegungKurz vorm Ökoparadies

Ingo Arzt
Kommentar von Ingo Arzt

Diesel-Skandal, Braunkohle-Zoff: Das sind Abwehrkämpfe der Kohle-und-Benzin-Industrien. Tatsächlich stehen wir vor einer ökologischen Zeitenwende.

Strom aus neuen Solarkraftwerken ist billiger als Strom aus neuen Kohlekraftwerken Foto: American Public Power Association/Unsplash

W ir schreiben das Jahr 2050. Die Luft ist sauber, fast geräuschlos surren autonome Elektrofahrzeuge umher. Die breiten Straßen, die das Leben in den Städten einst zerschnitten, sind jetzt einspurig, ersetzt durch Wiesen zum Rumliegen und Nachdenken. Jedes Fenster, jede Fassade erzeugt Sonnenenergie. Kein Kohlestrom, kein Atomstrom. Unsere iBrains, Hirnimplantate für den Cyberspace, sind aus komplett recycelten Materialien hergestellt.

Diese Utopie – bis auf die iBrains und die schmalen Straßen – stammt von der EU-Kommission und der Bundesregierung. Wichtige Rohstoffe sollen künftig wiederverwertet, die Energieversorgung hocheffizient sein und fast keine Klimagase mehr emittiert werden. So sehen es diverse politische Absichtserklärungen vor, vom Pariser Klimaschutzabkommen über den deutschen Klimaschutzplan 2050 bis zu den EU-Plänen für eine Kreislaufwirtschaft.

Sollte es so kommen, würden wir noch lange nicht im Paradies leben. Auch in einer Öko-Welt wird es Gier und Hass geben, weil der Mensch ist, wie er ist. Aber abgesehen davon gibt es Grund zum Optimismus – und zwar nicht trotz, sondern wegen des Dieselskandals und der Diskussion um die Kohle.

Noch vor zehn Jahren schien es undenkbar, dass Deutschland ein Datum für den Ausstieg aus der Kohle nennt. Heute sind nicht einmal RWE oder die Bergbaugewerkschaft grundsätzlich dagegen. Es geht nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wann und Wie. Ganz deutsch im Konsens moderiert von einer Kohlekommission, in der Ökos und Industrie Armdrücken spielen dürfen. Keine gesellschaftliche Kraft in Deutschland zweifelt mehr grundsätzlich am Klimaschutz. Außer­ der AfD.

Vorboten einer Zeitenwende

Ein Blick auf die Automobilindustrie: Die wird von einem Haufen arroganter Lügner geführt, aber eben diese bringen gerade echte Elektrofahrzeuge auf den Markt. Der Diesel-Skandal hat dem Land zwar gezeigt, dass Teile der Regierung von der Autolobby unterwandert sind. Er hat aber auch gezeigt, dass ein kleiner Verein wie die Deutsche Umwelthilfe eine Milliardenbranche besiegen kann. Dass es Umweltgesetze gibt, vor denen Bosse zittern.

All diese Erschütterungen sind Vorboten einer Zeitenwende. Pro-Braunkohle-Protest und Diesel-Manipulationen sind Abwehrkämpfe der Kohle-und-Benzin-Industrien, die auf dem Rückzug sind und versuchen, ihre alten Kühe zu melken, bis sie tot umfallen. International werden Elektrofahrzeuge der Megatrend der nächsten Jahrzehnte, vorangetrieben von staatlichen CO2-Vorgaben und Herstellern aus China.

Auch in der Energiewirtschaft „geht das fossile Zeitalter zu Ende“, um RWE-Chef Schmitz zu zitieren: Kaum einer hat es mitbekommen, aber Strom aus neuen Solarkraftwerken ist billiger als Strom aus neuen Kohlekraftwerken – und das nicht in Südspanien, sondern in Deutschland. Die Preise für Batterien, die den Sonnenstrom speichern können, fallen und fallen. 2010 waren sie noch fünfmal so teuer wie heute.

Führt die Menschheit Krieg gegen die Natur, dann haben wir immerhin für übermorgen einen Waffenstillstand vereinbart

Der Rahmen, vor dem Probleme verhandelt werden, ist gesetzt: Ökologie und Klimaschutz neben Arbeitsplätzen und Wirtschaft. Das ist ein großer Zwischenerfolg der Ökobewegung. Trotzdem wäre es falsch anzunehmen, dass auf Kapitalismus automatisch der Ökokapitalismus folgt. Und dass der nicht nur ein gigantisches Brainwashing wird, um weiter den Überkonsum der weltweiten Mittel- und Oberschicht zu legitimieren. Auch Solarzellen, Windräder und vor allem E-Autos verbrauchen Ressourcen, Platz und Natur. Je weniger davon, desto besser.

Führt die Menschheit Krieg gegen die Natur, dann haben wir immerhin für übermorgen einen Waffenstillstand vereinbart. Mehr aber auch nicht. Die paar Windräder und Solaranlagen sind nur ein kleiner Anfang im Hinblick auf den gewaltigen Wandel, der vor uns liegt. In den nächsten 20 Jahren könnten Regionen verarmen, die an der Kohle hängen.

Das E-Auto rettet die Autoindustrie

Die Autoindustrie wird die Kurve in Richtung autonomes E-Auto schon kriegen. Aber die Zulieferer, die kaum Margen erzielen und wenig finanzielle Reserven für den Wandel haben, droht es zu zerlegen. Daraus ergeben sich soziale Fragen, die man vielleicht mit Verweis auf die Pariser Klimaziele für irrelevant erklären könnte. Aber das wäre ein gewaltiger Fehler.

Man wird nicht alle einfach zu Solartechnikern umschulen können. Besonders Ältere werden Jobs verlieren; sie sind anfällig für Kräfte, die Klimaschutz als elitären Schnickschnack diskreditieren. Die AfD setzt jetzt schon auf diese Anti-Öko-Karte. Vom Menschen gemachten Klimawandel gibt es laut AfD nicht. Das ist Schwachsinn für jeden, der sich mit dem Thema auseinandersetzt, aber stößt in einen Schwachpunkt des Anti-Braunkohle-Protests: Statt zum Hambi zu marschieren, müssten sich AktivistInnen mit RWE-Bergleuten zusammensetzten und fragen, was man für sie tun kann.

Um eins klarzustellen: Klimaschutz kostet volkswirtschaftlich nichts. Er lässt die klügsten Köpfe eines Landes Ideen entwickeln, neue Produkte und Technologien schaffen. Die werden die Exportschlager von morgen. Es ist deshalb unerträglich, wie RWE und Kohlegewerkschaft argumentieren. Die ewige Leier vom Ende des Industriestandorts Deutschland, vom teuren Klimaschutz. Aber sie haben das Recht, sich für ihre Leute ins Zeug zu legen.

Und es ist die verdammte Pflicht demokratischer Parteien und Institutionen, die Menschen, die der Ökostrukturwandel auf der Strecke lässt, nicht im Stich zu lassen. Deshalb macht NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) gerade vieles richtig: Hängt sich rein für die Leute, die Angst haben, ihre Jobs zu verlieren. Genau die darf man nicht Rechtspopulisten überlassen. Sonst kippt der große Konsens, der große Rahmen, dass die Notwendigkeit des Klimaschutzes grundsätzlich nicht mehr verhandelbar ist.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ingo Arzt
ehem. Wirtschaftsredakteur
Beschäftigte sich für die taz mit der Corona-Pandemie und Impfstoffen, Klimawandel und Energie- und Finanzmärkten. Seit Mitte 2021 nicht mehr bei der taz.
Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • Ich möchte dem Artikel so ziemlich in Gänze widersprechen. Daß wir schon auf einem guten Wege zum Erhalt der Umwelt sind, daß es viele gute technische Lösungsansätze gibt. Hauptgrund meines Widerspruchs ist, daß Sie Optimismus zu verbreiten suchen. Diesen halte ich nicht für zielführend, genauso wie Pessimismus nicht zielführend ist. Wir müssen den Tatsachen ins Auge blicken und handeln. Technikgläubigkeit ist gefährlich.

  • ja, man muss die aengste und sorgen der kohlearbeiter immer wieder erwaehnen. aber mit im spiel ist eine grosse portion heuchelei, von damals vattenfall im osten und heute rwe im westen. obwohl der strukturwandel schon lange droht, werden bis heute junge menschen als auszubildende eingestellt, die dann bei der demo der kohlearbeiter `pro kohle, pro jobs´ ganz nach vorne gestellt werden, und zwanzigjaehrige schauen traurig in die kameras und verstehen die welt nicht mehr. intelligente und verantwortungsvolle personalplanung sieht anders aus.



    desweiteren mantrahaft zu erwaehnen finde ich zu diesem thema, dass - zweifache ironie - der eigentliche gewinner der energiewende, die solarbranche, in deutschland untergegangen lassen ist. mit zig-tausenden verlorenen arbeitsplaetzen in: genau diesen strukturschwachen regionen, fuer die die ost-ministerpraesidenten jetzt milliarden fordern.



    haette man nicht einfach die installation von solarmodulen auf allen daechern 5 - 10 jahre frueher foerdern koenne, wie es jetzt der bundesrat fordert? und noch nicht mal ganz schlau gedacht im nachhinein, diese berechnungen waren auch damals schon lange bekannt. wie verantwortungslos ist es eigentlich, sich politiker zu leisten, die eine win (solarindustrie) - win (strukturschwache region) - win (umwelt) - win (volkswirtschaftlicher gewinn durch investition in guentigere technologie) - situation ausschlagen? ja, einer natuerlich muss bei der rechnung auch loosen, und das ist rwe, der trotz staendigem austausch seiner fehlentscheidenden vorstaende am tropf gehalten wird und diese situation fein ausnutzt - noch nie war der stromexport so hoch, und wer will raten, aus welchem energietraeger dieser strom stammt.

  • Naivität oder sträfliche Irreführung? Ein Klimaschutz ... sprechen wir besser von Umweltschutz ..., der nichts kostet, bringt auch nichts. Elektroautos, die nicht mit erneuerbaren Energien betrieben werden und deren Batterien nicht entsorgt werden können, sind genausowenig eine Alternative wie Gentechnik und Massentierhaltung zur Versorgung der Weltbevölkerung. Das System krankt schon in sich, weil es krase Gefälle innerhalb der Menschlichen Gesellschaft gibt. Im Verhältnis zur Natur ist es nur eine Farce.

  • Die Aktivist*Innen von EndeGelände unterbreiten regelmäßig Gesprächsangebote an IGBCE, die Gewerkschaft der Bergleute.

    Ansonsten ist die Frage, wie der Kohlausstieg sozialverträglich wird, ja Aufgabe der Kohlekommission.

    Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist ja der Schaden an Gesundheit und Klima aus der Kohleverbrennung etwa dreimal so groß, wie der Umsatz (nichtmal der Gewinn) aus Braunkohle.

    Es wäre also für die ganze Gesellschaft aufkommensneutral, wenn alle Braunkohle-Beschäftigten dreifaches Gehalt bekämen und dafür zu Hause blieben. Mit diesem Speilraum muss sich doch was machen lassen.

    Davon abgesehen: im Hambacher Revier arbeiten laut RWE-Homepage nur 1500 Leute. In den letzten 5 Jahren hat RWE an anderer Stelle etwa 5000 Jobs gestrichen, ohne dass die Gewerkschaft aktiv geworden wäre.

  • Ein wirklich guter Artikel, der Mut und Hoffnung macht !



    So wie oft über Klimaschutz berichtet wird kommt beim Leser als Verzichtsaufruf und Wirtschaftsuntergangszenario an.



    Da verschließt man gerne dann die Augen und macht so weiter wie bisher.



    Die Umgestaltung der Wirtschaft unter strengen ökologischen und sozialen Gesichtspunkten kann zu einer enormen Steigerung der Lebensqualität weltweit führen.



    Das motiviert !



    Das Zukunftsmotto könnte heißen: "Weniger ist mehr".

  • Die Braunkohlekumpel sollen sich nicht so anstellen. Die Stahlkocher und Bergleute des Ruhrgebiets haben den Wandel überlebt, dann werden die das auch schaffen. Und die Aktivisten müssen nicht mit den Kumpeln klären, was man für sie tun kann. Das sollen die gefälligst ihre Arbeitgeber und Regierungen fragen. Denn Umweltprobleme gibt es nicht erst seit gestern.

  • 4G
    4813 (Profil gelöscht)

    Was im Augenblick passiert, ist ein massiver Krieg gegen die Natur im Namen des Klimawandels. Dirigiert von Agrarmultis, die die Rolle der Energie- und Rohstofffirmen von den Ölmultis erben. Palmölanteil im Diesel ist vielleicht in Europa begrenzt. In Afrika, Asien und Amerika erden sie auf den Urwald scheißen. Ebenso wie in Brasilien, wo der Regenwald nun gänzlich für Bioethanol und Soja weichen wird. Afrika ist als nächstes dran.

    Wenn man hier aus Erdöl Erdgas Kohle aussteigt, dann sollte man Alternativpläne haben, die nicht zu noch mehr Umweltzerstörung führen.

    Und man komme mir jetzt nicht mit dem lächerlichen 7 oder 8% Anteil der Erneuerbaren am Primärenergiebedarf Deutschlands. Denn da ist der tote Urwald schon mit drin.

    • @4813 (Profil gelöscht):

      Meine Güte. So ein Unfug.



      Sie verdrehen jede wissenschsftliche Erkenntnis ins Absurde. Das kennt man von der AFD.

      • 4G
        4813 (Profil gelöscht)
        @Traverso:

        Na dann kommen Sie mir bitte mit Argumenten.



        Welche wissenschaftliche Erkenntnis meinen Sie denn. Und wird in Brasilien nicht der Regenwald abgeholzt? Für Bioethanol, aus dem dann alles gemacht wird, was anderswo aus Erdöl produziert wird?



        Und das Palmöl aus Asien, landet das nicht bei uns im Diesel um die CO2-Bilanz der Autokonzerne aufzuhübschen?



        Bayer hat Monsanto bestimmt nicht für Glyphosat gekauft, das ist Patentfrei, die "grüne" Gentechnik von Monsanto nicht.



        Wie wäre es mal, den Autokonzernen einen maximalen Primärenergieverbrauch pro Kilometer vorzusetzen und gleichzeitig CO2 massiv zu besteuern? Dann hätten wir was davon, aber ein SUV mit Palmöl oder Ethanol betanken und damit die Welt mehr zu ruinieren als mit einem ein-Liter Auto, das Benzin tankt, das ist natürlich einfacher und schön bequem.

  • „Tatsächlich stehen wir vor einer ökologischen Zeitenwende“



    Wie oft haben wir das in der Vergangenheit schon gehört? In den meisten Fällen zeigte sich beim Rückblick: Es war eine 360°-Wende!

  • Muss noch etwas zu dem Artikel sagen, vor allem, was den Hambacher Wald angeht. Ich war selber aktiv mehrmals vor Ort und kann die Einschätzung, "statt zum Hambi zu marschieren, sich mit RWE-Leuten zusammenzusetzen", so nicht stehen lassen. Wenn es die Waldschützer, die Demonstranten und den breiten bürgerlichen Widerstand nicht gegeben hätte, stände 1. der Hambi nicht mehr und 2. wäre es nie zu dieser großen Debatte über die Braunkohle gekommen. Der Hambi ist zum Symbol der Bewegung geworden! Und was die RWE-Leute so angeht, vor allem den Betriebsrat, der da pöbelnd und unter Polizeischutz vor Antje Grothus Haus aufgelaufen ist - da muss ich wohl nichts mehr zu sagen oder? Ich kann die Angst der Kumpels um ihren Arbeitsplatz verstehen, aber nicht den hasserfüllten Tunnelblick, den viele da entwickelt haben. Kohle geht nicht vor Klimaschutz. Klar muss die Region entwickelt werden in eine ökofreundliche Zukunft. Aber der Kampf ist noch lange nicht ausgestanden. Und zum Thema Laschet sage ich gar nichts mehr. Laschet, Reul und Schmitz waren eine wirkliche Dreierbande, die einen Haufen Lügen und Hetze verbreitet haben!

    • @Mohikaner :

      Guter Kommentar! Danke für die Klarstellung. Wir bleiben dran.

  • Klimaschutz kostet kurzfristig durchaus etwas. Er kostet nicht viel, aber man soll sich auch nichts vormachen: Er lohnt sich nur langfristig und auf der globalen Ebene.



    Solarstrom ist billiger als Strom aus neuen Kohlekraftwerken, aber es gibt nun mal alte Kohlekraftwerke und auch ziemliche neue, deren Bau aber als sunk costs zu verbuchen ist. Solarstrom im Winter ist nochmal deutlich teurer, weil die Speicherkosten hinzkommen. Und die Luft ist auch nicht "sauber", wenn man auf erneuerbare Energien umgestellt hat, sondern der meiste Schumutz (v.a. CO2) bleibt noch drinnen.