Debatte EEG-Reform: Die Glaubensfrage
Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist so kompliziert geworden, dass kaum noch jemand folgen kann. Das nützt den gut organisierten Lobbys.
![](https://taz.de/picture/104165/14/atom_0193.jpg)
E s gab eine Zeit, da waren die Rollen in der Energiepolitik klar verteilt. Union und FDP verlängerten die Laufzeiten der Atomkraftwerke, während Grüne, SPD und Linke für den Ausbau der erneuerbaren Energien kämpften. Das Thema trieb regelmäßig Zehntausende auf die Straße und polarisierte weite Teile der Gesellschaft.
Inzwischen ist die Lage deutlich komplizierter. Abgesehen von FDP und AfD, die als weitgehend außerparlamentarische Opposition gegen Ökostrom und Klimaschutz hetzen, wird der Übergang von fossilen und nuklearen Kraftwerken zu erneuerbaren Energien von keiner Partei offiziell in Frage gestellt. Alle sind irgendwie für die Energiewende, die Unterschiede liegen scheinbar nur im Detail.
Doch diese Details sind oft sehr relevant. Und in der Öffentlichkeit – das macht die eigentlich erfreuliche Entwicklung durchaus problematisch – versteht sie kaum noch jemand. Ausbaukorridor, Eigenstrombelastung oder besondere Ausgleichsregelung sind noch die einfachsten Stichworte aus den Debatten der letzten Monate. Auch politisch durchaus interessierte Menschen steigen dabei regelmäßig aus. Der Streit über die richtige Energiepolitik wird damit zu einer reinen Expertenangelegenheit.
Wie wenig sich das Thema noch zur Massenmobilisierung eignet, erlebten Umweltverbände und die Ökostrombranche, als sie Mitte Mai zur Großdemonstration nach Berlin riefen: Statt der erwarteten 50.000 Menschen kamen gerade mal 10.000, um deutlich zu machen, dass sie – so das Demo-Motto – die „Energiewende nicht kentern lassen“ wollten.
Union und SPD im Einklang mit der Industrie
Weil die Komplexität der Materie eine eigene Urteilsbildung zunehmend erschwert, verkommt die Energiewende immer mehr zu einer Glaubensfrage – der Frage, wem man glaubt.
Auf der einen Seite stehen Grüne und Linke sowie Umweltverbände und die Branche der erneuerbaren Energien. Sie alle sehen in der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, die heute im Bundestag verabschiedet wird, einen massiven Angriff auf die Energiewende. Im Interesse von Kohlestromproduzenten und Industrie, so ihre Kritik, wird der Neubau von Ökostromanlagen ausgebremst.
Union und SPD argumentieren auf der anderen Seite im Einklang mit weiten Teilen der Industrie, dass die Energiewende durch das Gesetz keineswegs gestoppt, sondern lediglich in verlässlichere Bahnen gelenkt und preiswerter gestaltet wird.
Beide Seiten sind dabei nicht uneingeschränkt glaubwürdig. Die Erneuerbaren-Branche, die vom Ökostromausbau lebt, hat schon mehrmals vor Einbrüchen gewarnt, die dann doch nicht eingetreten sind.
Die Oppositionsparteien leiden nicht nur darunter, dass man ihnen unterstellt, schon aus Prinzip gegen die Regierungspläne zu sein. Für die Grünen kommt hinzu, dass sie die EEG-Reform im Bundestag zwar auf das Schärfste geißeln, ihre Landesminister sie aber teilweise als sinnvollen Kompromiss betrachten.
Ähnlich ist die Situation bei der Linken, die im Bundestag für ein Kohleausstiegsgesetz trommelt, während sie als Regierungspartei in Brandenburg für einen neuen Braunkohletagebau stimmt.
Neue Unübersichtlichkeit
Union und SPD auf der anderen Seite sind trotz ihrer Energiewende-Rhetorik weiter eng verzahnt mit den Energiekonzernen, die um ihre Gewinne fürchten, und der Industrie, die niedrige Strompreise behalten will. Seit nicht mehr die Umweltexperten für die Energiewende zuständig sind, sondern die Wirtschaftspolitiker, ist der Einfluss der innerparteilichen Energiewende-Kritiker gewaltig gestiegen.
Wer profitiert nun von dieser neuen Unübersichtlichkeit? Zum einen ohne Frage die Regierung. SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel kann die längst widerlegten Märchen vom Kostentreiber Ökostrom, der die deutsche Wirtschaft bedroht, ungeniert wiederholen, ohne mit breitem öffentlichem Protest rechnen zu müssen.
Die Gesetzentwürfe aus seinem Ministerium werden vom eigentlich entscheidenden Parlament nur noch abgenickt. Der teils von Brüssel, teils aber auch von der Bundesregierung selbst geschaffene Zeitdruck spielt ihm dabei zusätzlich in die Hände.
Industrie behält Privilegien
Gewinner sind angesichts des mächtigen Wirtschaftsministeriums aber vor allem jene Akteure, die ihre spezifischen Interessen dort dank guter Lobbyverbindungen am effektivsten einspeisen können. Wenn man das Gesetz nüchtern betrachtet, gehören vor allem jene Teile der Industrie zu den großen Gewinnern, die schon bisher fast nichts zur Energiewende beitragen mussten.
Obwohl alle Parteien deren Privilegien bei der EEG-Umlage einschränken wollten, sind diese am Ende in vollem Umfang erhalten geblieben. In den letzten Tagen sind noch einmal viele Details geändert worden, die in der Öffentlichkeit niemand wahrnimmt oder gar versteht, die aber für viele Unternehmen gewaltige Ersparnisse ausmachen dürften.
Die erneuerbaren Energien hingegen haben klar verloren. Wie stark ihr Ausbau tatsächlich zurückgehen wird, lässt sich noch nicht wirklich absehen. Aber dass die Warnungen der Ökostrombranche diesmal wohl ernst zu nehmen sind, zeigt sich schon an den jüngsten Solar-Zahlen: Noch bevor Gabriels Reform in Kraft tritt, sind die Ausbauzahlen so stark eingebrochen, dass selbst das niedrige neue Ziel von 2.500 Megawatt Zubau in diesem Jahr nicht erreicht werden wird.
Kaum eine Debatte gab es auch darüber, dass mit der heute verabschiedeten EEG-Reform das Ende für zwei wesentliche Erfolgsfaktoren der deutschen Energiewende eingeleitet wird: die festen Vergütungstarife für Ökostrom, die durch Ausschreibungen und Direktvermarktung ersetzt werden. Und der Einspeisevorrang für erneuerbare Energien, der künftig nicht mehr uneingeschränkt gelten soll.
Auch bei diesen Veränderungen sind die konkreten Auswirkungen derzeit nicht im Detail abzuschätzen. Auffällig ist jedoch: Gefordert hat diese grundsätzliche Umstellung, die nun von der SPD umgesetzt wird, im Wahlkampf vor allem die FDP. Das sollte eine Warnung sein, die Energiewende trotz ihrer Komplexität nicht allein den Wirtschaftslobbyisten zu überlassen.
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