piwik no script img

Debatte BildungWidersprüchliche Institution Schule

Isolde Charim
Kolumne
von Isolde Charim

Schule bietet nicht nur Raum für Bildung. In ihr können auch Interaktion und Rebellion stattfinden. Eine Erwiderung auf Hartmut Rosa.

In der Schule können Bildung und Entfremdung koexistieren. Bild: dpa

K ürzlich war Hartmut Rosa in Wien und hielt einen großartigen Vortrag. Es war ein fulminanter Abend, der mit Standing Ovations für den Soziologen endete. Warum ich das vorausschicke? Weil Hartmut Rosa letzte Woche auch einen Text in der taz veröffentlicht hat – gegen den ich ein paar Einwände habe: eine freundliche Erwiderung also.

Rosa entwirft in seinem Text die Schule als einen Raum, in dem ein Weltbezug hergestellt wird. Im besten Fall entsteht dabei eine Interaktion mit der Welt, sie berührt uns, das Material – ob Geige, Basketball oder Gedicht – „antwortet“. Rosa nennt diese Antwort eine Resonanz und die Schule, dort, wo sie gelingt, einen Resonanzraum.

Das ist eine schöne Vorstellung – aber ist die Schule (in dem Fall das Gymnasium) nicht vielmehr eine widersprüchliche Institution? So ist sie nicht jenseits von ihren Disziplinierungen zu denken. Gleichzeitig ist sie aber eine paradoxe Disziplinarinstitution. Denn die Schule funktioniert nicht einfach darüber, dass brave Schüler strenge Regeln befolgen. Sie funktioniert im selben Maße auch darüber, dass Schüler Regeln übertreten.

Die Schule ist keine Institution, die einfach Zustimmung und Anpassung erzeugt. Sie hat vielmehr die ihr adäquaten Übertretungen mitproduziert. Denn die Schule gibt neben den Regeln, die zu befolgen sind, auch dem regelwidrigen Verhalten einen Rahmen vor, indem sie zwischen möglichen und unmöglichen Übertretungen unterscheidet – also zwischen jenen, für die man bestraft wird (wenn man erwischt wird), und jenen, die gar nicht mehr gehen.

Schule ist ein Feld, das auch regelwidriges Verhalten „ermöglicht“. Sie ist eine Disziplinarinstitution, zu der regelwidriges Verhalten dazugehört! Ja, mehr noch: Sie fördert die Schüler auch dadurch, dass sie Gegenpositionen „hervorruft“.

Wenn Rosa schreibt: „Ob uns etwa Musik etwas zu sagen hat […] entscheidet sich an dem, was wir im Musikunterricht, im Chor, im Geigenunterricht […] erfahren“ – dann muss man dem entgegenhalten: Resonanz, wenn man es so nennen möchte, entsteht nicht nur durch, sie entsteht auch ganz wesentlich gegen die Schule, gegen die Autorität.

Für Rosa wird Schule dort, wo sie Kinder nicht anspricht, dort, wo keine Resonanz entsteht, zu einer „Entfremdungszone“. Aber solche Ablehnung ist nicht nur, nicht ausschließlich Entfremdung und Gleichgültigkeit. Ablehnung kann auch produktive Rebellion sein. Mit dem Begriff der Resonanz lässt sich diese Qualität des Widerstands nicht fassen. Er verhindert, Widerstand, Eigensinn als vollwertigen Teil des – gelungenen – Bildungsromans zu verstehen.

Keine Null-Bock-Mentalität

Wobei man dabei die soziale Unterscheidung, wie Rosa anmerkt, nicht außer Acht lassen darf. Für Rosa verläuft diese aber zwischen bildungsnahem „Interesse“ an der Welt und bildungsferner „Null-Bock-Mentalität“. Aber ist die schichtspezifische Differenzierung tatsächlich so zu fassen? Lässt sich der soziale Unterschied nicht viel eher am unterschiedlichen Umgang mit dem Wissen festmachen?

Auf der einen Seite steht ein Herrschaftswissen, das Einübung in die Aneignung der Welt ist – Aneignung, die sich auch durch Ablehnung oder durch Eigensinn artikulieren kann. Und auf der anderen sozialen Seite steht ein Angeeignet-Werden, eine Einübung in konformes Verhalten.

Man kann das mit Rosa „Entfremdung“ nennen. Aber die Differenz ist nicht jene zwischen Resonanz und Ablehnung, zwischen Interesse und null Bock. Sie liegt zwischen Herrschaftswissen, das es sich erlauben kann, von der reinen Regelerfüllung abzusehen, und der anderen Seite, wo es keine Freiräume für Ablehnung gibt.

Popkultur war und ist der letzte Versuch, den Weltbezug der Übertretung jenseits der Klassenzugehörigkeit anzusiedeln. Rebellion hat dabei Gymnasiasten und Lehrlinge gleichermaßen erfasst. Heute sind Übertretung und Rebellion eindeutig Herrschaftswissen. Man muss sie sich leisten können.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • "Herrschaftswissen, das Einübung in die Aneignung der Welt ist…"

     

    Statt Aneignung - ziehe ich den

    wechselbezüglichen Begriff -

    Anverwandlung von Welt -

    vor;

    und stimme damit Frau Charim zu.

     

    So wird Dichotomie wie bei Herrn Rosa

    als verkürzend vermieden -

    denn in der Tat -

    "… die Differenz ist nicht jene zwischen Resonanz und Ablehnung, zwischen Interesse und null Bock."

     

    Nein - meine eigene Erfahrung via Musik -

    als Instrumentalist im Schul-Orchester -

    was fad und Null-Bock auf Reproduktion

    von Notiertem ~> finito

    &Jazz ließ sich (noch) nicht studieren.

     

    Aber - alte Liebe rostet nicht -

    heute -

     

    als familientraditionell

    geborener Autodidakt -

    und nicht nur in Musik -

     

    free instant musik mit reichlich

    vielen Gebläsern;-))

     

    kurz - Schule soll Lernen-lernen und Sozialverhalten beibringen;

    dazu gehört -

    "wir waren klüger als unsere Lehrer(Hermann Hesse)" -

    auch der wie auch immer genaue

    Stinkefinger;//))

     

    Für mich - there's no test like protest -

    DER Test für jeden Lehrer;

     

    Die Struktur des selektiv-orientierten Gymnasiums aber verfehlt eben dies und macht es unsouvaränen Lehrern gegenüber Renitenz&Selbstbewußtsein

    viel zu leicht;

    nur wenige sind/waren wie ich mit

    standfest-unerschrockenen

    kindervertrauenden Eltern gesegnet.

    • @Lowandorder:

      wem's a weng zu musisch-diffus ist -

      bitte -

      Im großartigen Film Vitus -

      "…und warum hat nicht der Lehrer von James Watt die Dampfmaschine erfunden?"

      Bei Heinz von Foerster zu Besuch

      bei Physik-Prof - sehr fein-

      "Was ist noch 2 plus 3 = 5?…

      öh 3 plus 2 …"

      gerügter Sohnemann zerknirscht

      am Mittagstisch;

      was kannte die

      Frau nunja Mathematiklehrerin nicht?

      Na - genau.

       

      &In aller Bescheidenheit -

      "Alle Kreter lügen…"

      "was/wie also muß man einen

      Kreter fragen, um die Wahrheit…?"

       

      "Quatsch - ich denke, daß er denkt daß ich denke ……

      das ist nicht (auf)lösbar!"

      ~> für blöd erklärt;

      mit Verlaub war ich 13 -

      Goedel immerhin schon 23;-)))

      &die Wahrheit bekanntlich,

      die Erfindung eines Lügners;•)

  • Ich denke, Frau Charim, Sie und Hartmut Rosa liegen gar nicht all zu weit auseinander. Das "entscheidende Charakteristikum von Begabung" ist für Rosa "nicht Intelligenz, sondern Resonanzfähigkeit". Resonanz aber kann nicht nur positiv sein, sondern auch negativ. (Schwingungen bewegen sich ja bekanntlich gerichtet über einer Achse, die sie abwechselnd über- und unterschreiten.) Was Rosa nun ganz gern vermeiden würde in der Schule, ist überhaupt GAR KEINE Reaktion, nicht unbedingt die negative.

     

    Nehmen wir zum Beispiel meines "Vorredner" Georg Schmidt. Der schreibt etwas vom "Expertengequassel" und davon, dass ihm dieses "komplett auf den Senkel geht", obwohl er "3 Kinder in Schulen hat". Ist das nun eine negative Resonanz ("Gequassel") oder ist es überhaupt gar keine ("Senkel")?

     

    Schwer zu sagen. Vermutlich ist Herr Schmidt ein Ergebnis gesamtdeutscher Schulpraxis. In den Schulen beiderseits des Eisernen Vorhangs ging und geht es schließlich in erster Linie darum, mit aller Gewalt eine POSITIVE Resonanz zu erzeugen. Gar keine Resonanz wurde und wird noch immer sehr viel positiver bewertet, als eine negative. Das hat offenbar zu gewissen Anpassungsreaktionen von Seiten der Schüler geführt. Man verstellt sich, um nicht weiter aufzufallen. Am Ende weiß man selbst nicht mehr, ob man tatsächlich doof ist oder doch "nur" widerständig (Wolf Biermann).

     

    Um der Macht des Systems und der Lehrer willen lehren Schulen das Lügen, nicht das Lernen. Georg Schmidt war offenbar ein recht gelehriger Schüler.

    • @mowgli:

      Anm. im Sinne meines Nachredners, Experten oder Schulpsychologe, die eigentlich nix anderes tun, als sich Gedanken über Schule zu machen, Fortbildung, Seminare, meetings usw machen und besuchen, kommen 1x im Jahr ev in die Schulen und veranstalten Info Abende, in denen sie Eltern mit Ihrem, der Experten Wissen komplett ercshlagen, also da kommt man nach 8h Arbeit in die Schule und wird voll erwischt, zum anderen werden LehrerInnen, die mit dem Palgen ihre Not haben und sehr viel Bürokratie im Nacken haben, an den Sozialtagen und einigen Abende von diesen Experten getrimmt, diese gehen dann heim und denken, ach wie gut war ich doch heute wieder udn hab den Eltren/Lehrern was beigebracht, nehmen wir mal nur die Bürokratie, was Eltern wissen sollen, das sind 180 Seiten Internet, allein diese durchzuarbeiten verschlingt Wochen, darauf kommt dann noch die ganze Zusatzinfos uswusw, man wird erschlagen !

    • @mowgli:

      also, jetzt wird bei uns in der Schule von Sozialexperten Eltern in 2h " Schützenhilfe " gegeben-Konfliktbewältigung, obwohl man muss leider sagen Lehrerschaft es tunlichst vermeiden, sich Konflikte aufzuhalsen, so hatten die Klassenlehrerin meiner Tochre 12 Jahre alt, die Tochter, und die Leiterin der Eingangsstufe auf das Benehmen der Kinder hingewiesen und die Eltern gebeten, doch mehr auf ihre Kinder einzuwirken, also, wenn nun schon die Lehrerschaft nicht mit 20 Kindern fertig wird, sollte man doch lieber bei den Lehrer anfangen, und Konfliktbewältigung diskuttieren, mit dem Schulleiter der Grudnschule meines Sohnes 10 Jahre hab ich mal das Kapitel " kompetenzorientiertes Lernen" diskuttiert, das war eine Pleite, von dem Sexualunterricht der 4.klässer ganz zu schweigen, ich bin ein aufgeschlossener Vater, dazu kommt meine Erfahrung in 30 Jahren Aussendienst Weltweit, mit praktisch allen Religionen, Hautfarben, ich war in islamistischen-kommunistischen, christlcihen Ländern und ahbe dort gearbeitet und gelebt, daher kann ich mir schon ein Urteil erlauben, ausserdem hab ich 65 Jahre Schule , selber, mit meinen Nichten Enkeln, Kinder hinter mir, sodass ich mir noch ein Urteil erlauben kann, die Macht des Systems, tja, das ist der Unterschied zwischen den Schulen damals und heute, damals hat man nach 8Jahren Volksschule ein solides Fundament für das weitere Leben gehabt, heute weis man nicht so recht, was eigentlich in den Schulen passert-ein Elternsprecher-Mitglied des Elternbeiratsvorstandes, und danke für den letzten den Satz !

  • ehrlich gesagt, ich habe 3 Kinder in Schulen und mir geht das Expertengequassel komplett auf den Senkel, die Schulen sind zwar nicht in der Lage einen stundenausfallfreien Unterricht anzubieten, aber scheinbar bemüht sich jeder Lehrkraft seine Lebensphilosophie auf die Kinder zu übertragen, zudem meinen nun alle Experten, sie müssten mit ihren Weisheiten nicht nur den KIndern , sondern auch den Eltern aufs Auge zu drücken, mangelhaftes Deutsche ist da Nebensache, -wenn man den Bericht liesst , weis man woran man ist, möglichst verdreht und kompliziert etwas sagen- immer die eigene Überlegenheit raushängen lassen !