Death-Metal-Band aus den Neunzigern: Über fleischfressende Maden keifen
Wer die frühvollendete Band Death aus Florida nicht kennt, kann nun das wiederveröffentlichte Gesamtwerk entdecken. Ihr Death Metal ballert dreckig.
Metal ist ein paradoxes Genre. Erhaben und albern, todernst und komisch, theatralisch und von einem ausgeprägten Authentizitätsanspruch getrieben. Primitiv und virtuos, was die musikalischen Herangehensweisen angeht.
Virtuosität kann allerdings auch Musikräume verengen. Dann bekommt man etwas, das wirkt, als hätten die Menschen an den Instrumenten jeweils einen rechten Winkel mit appliziertem Metronom im Hintern stecken. Je kompliziertere Melodieläufe und perfekter durchkomponierte Breaks man aufreiht, ohne dass alles auseinanderfliegt, desto besser. Das nennt sich dann Progressive Metal, was ein wenig in die Irre führt, weil das Musikverständnis in solchen Fällen ja ein sehr konservatives ist.
Virtuosität hat Metal zuletzt jedenfalls mehr und mehr infiziert. Nicht flächendeckend, aber auch an den Rändern, den grimmigsten Spielarten, Black und Death Metal. Mit mal tollen, mal faden Ergebnissen.
Ganz wesentlich beigetragen zur Verprogung auch der räudigsten Musik haben bereits in den Neunzigerjahren des letzten Jahrtausends Death, eine Death-Metal-Band aus Florida um den erfinderischen Gitarristen Chuck Schuldiner. Der Bandname ist programmatisch, Death haben der Welt einige der traumhaftesten Metal-Alben in der Geschichte des Genres hinterlassen.
Wieder auf Vinyl
Fast das Gesamtwerk, aus Rechtegründen mit Ausnahme des Albums „Symbolic“, ist von Relapse Records 2024 wieder auf Vinyl veröffentlicht worden. Wer chronologisch vorgeht, kann hören, wie eine Band ihre Möglichkeiten mehr und mehr erweitert und so ihren eigenen musikalischen Kosmos erfindet.
Death: „Scream Bloody Gore“ und alle weiteren Alben (Relapse/Membran)
Die ersten drei Alben sind noch schön-dumpfer Old-School-Death-Metal. Das Debüt „Scream Bloody Gore“ klingt wie vieles, was 1987 erschienen ist. Grummelgitarren, Gekreische (Chuck Schuldiner keift seit jeher), Prügelschlagzeug und Texte wie aus der Schmierkladde eines 15-jährigen Splatterfans abgeschrieben: „Dreams of hate/Misery/Fill my mind/ Puke in your face in disgust/It's time to die“ und so weiter und so fort.
So ging es dann auf den nächsten beiden Alben „Leprosy“ und „Spiritual Healing“ weiter. Mit „Human“ aber transformierten Death 1991 sich selbst und das Genre gleich mit. Alles wurde rhythmisch vertrackter, manisch kreisender, irrwitziger.
Man kann die Musik der letzten vier Death-Alben, die bis zum Krebstod Chuck Schuldiners 2001 erschienen sind, auch anhand der diesen Sound wesentlich mitbestimmenden Schlagzeuger beschreiben. Auf „Human“ legt Sean Reinert, der ansonsten in der Progressive-Rock-Band Cynic tätig gewesen ist, die Basis: abrupte Tempiwechsel, Double-Bass-Geboller, unterhaltsame Breaks und die Suggestion, dass eigentlich alles spielbar ist, wenn man es will.
Auch die Gitarre beginnt auf „Human“ schon freizudrehen, zum Beispiel auf dem irre schnellen „Together as One“. Mit diesem Werk kündigte sich bereits an, was Death von vielen technisch versierten Metal-Bands unterscheidet. Bei allem Virtuosentum ballert die Musik dennoch mit Nachdruck und wirkt immer noch dreckig.
Melodien zugelassen
„Individual Thought Patterns“ und „Symbolic“ schraubten Mitte 1990er das Tempo vorübergehend runter, mit einem Mal waren Melodien zugelassen. Schlagzeuger Gene Hoglan nahm den Ball auf, den Sean Reinert liegengelassen hatte, und führte eine Verschleppungsästhetik ein. Immer wieder wird gebremst und gestoppt, das Schlagzeug stolpert, die Songs zerfasern, bevor der Sound mit Gewalt nach vorne durchbricht.
„The Sound Of Perseverance“, drei Jahre vor Schuldiners Tod 2001 erschienen, löst die Strukturen dann auf. Bildlich gesprochen: Was man damals unter Death Metal verstand, wird gedehnt und gebogen, ohne zu brechen. Richard Cristy trommelt vor allem Breaks, und dass diese Musik auch in den Hochgeschwindigkeitspassagen trotz allem schwer groovt, ist ein kleines musikalisches Wunder. Befeuert durch einen hochmelodiösen Jazzbass, gespielt von Scott Clendenin, den man im Metal so nie wieder gehört hat.
Schuldiners Songtexte waren ebenfalls modifiziert, vielleicht im Wissen, dass man mit 31 nicht mehr nur über fleischfressende Maden singen kann. Der Gestus aber bleibt der Gleiche: Es wird gekeift, unermüdlich, nur jetzt eben nicht mehr irgendwelche unterhaltsamen Splatterfantasien, sondern Tiefgründiges und Zwischenmenschliches („Enforce the words no more / Be free alone, you might just find serenity / To forgive is to suffer / To accept another day“).
Die letzten vier Alben bilden so etwas wie den Zenith. Musik, ohne die etwa Mastodon, Today Is the Day oder Gojira nicht denkbar wären. In diesem Sinne verhält es sich mit Death ähnlich wie mit den Beatles: Eine Band, die den Grundstein für alles Weitere legt, spielt das Genre schon mal bis zum Ende durch.
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