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Ende der BohemeDas ist Kunst. Das kann weg

Kommentar von

Frederic Valin

Der Kahlschlag in der Sozialpolitik trifft auf eine ohnehin verunsicherte Kreativszene. Nennenswerter Widerstand ist von ihr nicht zu erwarten.

„Unkürzbar“: Demo in Berlin am 15. Dezember 2024 Foto: Stefan Boness/Ipon

D er immer weiter fortschreitende Kahlschlag in den Sozialsystemen lässt bei vielen Zukunftsängste aufkommen. Aktuell fangen angesichts der Zusammenstreichung der sogenannten Grundsicherung – die diesen Namen nicht mehr verdient – auf ein Gnadenbrot auch diverse Interessenverbände an, Bedenken anzumelden.

Der Deutsche Journalisten-Verband zum Beispiel ist alarmiert, weil die Pläne der Regierung befürchten ließen, dass Grundsicherung nur dann bezogen werden kann, wenn die Rücklagen aufgebraucht sind. Diese Rücklagen können aber im Fall von Selbstständigen die Alterssicherung sein – muss die abgefrühstückt werden, bevor überhaupt eine soziale Sicherung greift, wird Hartz IV gleichbedeutend mit Altersarmut.

Um jetzt den Haushalt zu entlasten, bereitet die Bundesregierung die zukünftige Verelendung gerade auch von Kreativen und Selbstständigen vor. Zum idealen Stadtbild von Friedrich Merz gehören offenbar flaschensammelnde 60-jährige Pu­bli­zis­t*in­nen und Mu­si­ke­r*in­nen jenseits der 70, die bei Wind und Wetter an der Straßenecke den Hut aufstellen müssen, weil es sonst nicht mehr reicht.

Diese neuerlichen Zumutungen, die mit der Reform der Grundsicherung durchgesetzt werden sollen und die nichts anderes sind als eine institutionell verankerte Herabwürdigung von Armut, treffen auf eine eh schon hochgradig prekarisierte Branche.

Verschwindende Inseln

Jour­na­lis­t*in­nen und Künst­le­r*in­nen finden sich da im gleichen Boot wieder. Gestiegene Lebenserhaltungskosten, explodierende Mieten und ganze Branchen in der Krise führen zu einer Unsicherheit, die nicht selten in schiere Existenznot umschlägt. Obendrein werden die Inseln der Möglichkeiten – wie Berlin früher einmal eine gewesen ist – immer kleiner oder verschwinden ganz.

In einem Interview mit dem Deutschlandfunk erzählte beispielsweise die Musikerin und Autorin Christiane Rösinger, dass ihre Rente aktuell 400 Euro umfasse. Damit ist sie keineswegs ein Einzelfall. Bei einer solchen Rente kommen in der Regel zwar noch andere Einnahmen hinzu – die Miete wird normalerweise übernommen, aktuell greift in dieser Größenordnung auch die Grundsicherung noch, sofern man nicht, wie Christiane Rösinger es glücklicherweise tut, noch arbeitet. Aber all das kann nur funktionieren, wenn man sich auch im Alter maximale Flexibilität bewahrt.

Und Voraussetzung für diese Flexibilität ist eine einigermaßen intakte Gesundheit. Sollte die aber, auch durch den jahrelangen Raubbau, den diese Gesellschaft Frei­be­ruf­le­r*in­nen abverlangt, gelitten haben, dann wartet schon die nächste niederträchtige Idee der Union auf eine*n: Mit der möglichen Abschaffung von Pflegegrad 1 würde auch diese Lebenssituation noch schwieriger zu gestalten, als sie es eh schon ist.

Es ist angesichts solcher Umstände nicht verwunderlich, dass junge Künst­le­r*in­nen und Jour­na­lis­t*in­nen diesen Branchen den Rücken kehren.

Kampf gegen die tatsächliche Kultur im Land

Aktuell hat die Autorin Bettina Wilpert eine Debatte über die Lebbarkeit dieser Lebensentwürfe angestoßen, als sie ankündigte, neben dem Schreiben einen Job aufzunehmen. Dass sie diese Entscheidung selbstbestimmt und aus einer gesicherten Position heraus traf, ändert nichts an dem Umstand, dass es sich hier um ein gesellschaftliches Phänomen handelt.

Während aber Kulturstaatsminister Wolfram Weimer keine Gelegenheit auslässt, sich mit obskuren Kulturkampfthemen zu Wort zu melden, ignoriert er weitgehend die ökonomischen Bedrohungen einer lebendigen kulturellen und publizistischen Szene. Immerhin hat er nach den Angriffen der rechten Aktivisten von Nius die Verleihung des Deutschen Verlagspreises insbesondere an den Verbrecherverlag und den Unrast Verlag verteidigt (obwohl er mit seinem Gerede von den GEZ-Abgaben als „Zwangsgebühren“ selbst mit die Grundlage geschaffen hat, staatlich unterstützte kulturelle und publizistische Arbeit zu diskreditieren).

Die Verarmung der kulturellen Landschaft durch die Prekarisierung der kreativen Branchen wird jetzt schon sichtbar – circa alle drei Monate macht der nächste verdienstvolle Kleinverlag zu, zuletzt kündigte der Berenberg Verlag an, den Betrieb einzustellen; just in dem Moment, als der Verlag mit „Wachs“ von Christine Wunnicke einen Titel auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises hatte. Und auch das Zeitungssterben droht weiter – aktuell kämpft einmal wieder das nd ums eigene Überleben.

Die schnöde Realität der neuen deutschen Leitkultur, für die Friedrich Merz und seine Bundesregierung stehen, ist also nichts weiter als Kampf gegen die tatsächliche Kultur im Lande: sowohl gegen Künst­le­r*in­nen und Pu­bli­zis­t*in­nen als auch gegen die Institutionen, die sie tragen und halten. Boheme heißt also zu hackeln, bis man umfällt: und die Bohemisierung weiter Teile der Gesellschaft scheint das Kernprojekt der aktuellen Regierung zu sein. Allerdings fehlt diesem ganzen politischen Projekt jede Romantik, jede Lebensfreude, jeder subversive Geist. Auch das ist Dunkeldeutschland.

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21 Kommentare

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  • Selbstständige sollten in die Rente einzahlen müssen. Private Vorsorge ist wie private Krankenkasse: unsolidarisch.

  • Kunst, die sich nicht selbst finanziert kann selbstverständlich weg. Woher kommt nur dieser stetige Alimentierungsgedanke?

    Meine Hobbies werden auch nicht vom Staat bezahlt.

  • Leutchens, lasst uns über eine menschenwürdige Grundsicherung reden, das löst den ein oder anderen Nebenwiderspruch von selbst auf.

  • Wer als Künstler oder Journalist von seiner Arbeit nicht leben kann, geht wohl eher einem Hobby nach als einer Erwerbstätigkeit. Ich kenne viele Künstler, die neben ihrer Kunst einen ganz normalen Job nachgehen und so ihr Leben auf die Reihe bekommen. Warum sollte die Gemeinschaft Selbstverwirklichungsträume finanzieren?

  • Ich zitiere hier mal das Bonmot meiner Kollegin in der Berufs-Beratung für Künstler und Kreative: "Es gibt einem nur jemand Geld für eine Tätigkeit, die er selbst nicht machen kann oder machen will. Z.B. ein Loch im Zahn füllen, die Kinder unterrichten, das Klo oder die Heizung reparieren, die Steuererklärung machen... Sie müssen sich also fragen, ob jemand bereit ist, ihnen Geld dafür zu geben, dass sie für ihn Bilder malen, Musik machen, ihrem Tanz zuzusehen, ..."

    Für eine Umschulung - z.B. in einen Pflegeberuf - ist es oft noch nicht zu spät und mittlerweile verdient man dort auch gar nicht so schlecht. Niemand hat ein Anrecht darauf, dass einem die Gesellschaft sein Hobby finanziert.

  • Förderungen gab es früher nicht, Künstler mussten sehen, wie sie überleben konnten:

    "Von meiner Malerei zu leben, war nicht möglich... Ich hatte meine Kamera und hatte in der Reproduktion von Bildern ziemliche Erfahrungen gewonnen. Aber es waren meine eigenen, der Gedanke, die Arbeiten anderer zu fotografieren, war mir zuwider, unter meiner Würde als Künstler."

    Aber dann doch: „Meine ganze Aufmerksamkeit wendete ich jetzt darauf, mich als Berufsfotograf zu installieren. Ich wollte Geld verdienen –nicht auf die Anerkennung warten, die kommen mochte oder auch nicht. Ich könnte sogar reich genug werden, um nie ein Bild verkaufen zu müssen, was ideal wäre.“

    Beide Zitate sind von Man Ray.

    Es gibt viele Beispiele, wie berühmte/einflußreiche Künstler, zumindest zeitweise, bezahlter Tätigkeit nachgehen mussten um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Auch heute noch.

    Daran habe ich mich auch immer orientiert, staatliche Förderung hätte ich nicht haben wollen, staatlich geförderte Kunst kann nicht frei und unabhängig sein.

    Ansonsten gilt: "People who worked and suffered and struggled for fame /



    Some who succeeded and some who suffered in vain." (Kinks, Celluloid Heroes, 1972)

  • Es gibt Statistiken, die belegen, dass die Künste – von der Literatur über die Musik bis hin zu den bildenden und darstellenden Künsten – seit Jahrzehnten zunehmend weniger von Menschen aus der Arbeiterschicht oder dem Prekariat beeinflusst werden. Noch nie stammten Künstler:innen jedweder Form so homogen aus dem bürgerlichen Spektrum wie heute. Wenn nun niemand die Freiräume verteidigt, liegt das auch an den Privilegien derer, die Gelder beziehen, obwohl sie diese gar nicht benötigen.

  • Sehr gut! Und gleich als nächstes bitte bei der subventionierten Sport-Szene kahlschlagen.

    • @Morrad Mo:

      Haha, der ist richtig gut! Jemand, der sachlogisch weiterdenkt, Danke schön. Hacklschorschs Kurven im Eiskanal sind letztlich auch nur Kunst und können weg. Anthropozän ist schlimm genug, aber weniger schlimm als Anthropozän PLUS Vormittagsprogramm des ÖRR mit Biathlon vor grünbraunen Wiesen.

  • "Um jetzt den Haushalt zu entlasten, bereitet die Bundesregierung die zukünftige Verelendung gerade auch von Kreativen und Selbstständigen vor."



    Bitte mehr Drama Baby!

  • Es wäre schön zu erfahren wie sich das über die Zeit entwickelt hat, wie und von was konnten Kunstschaffende denn in der jüngeren Vergangenheit leben?



    Was hat sich geändert, wer hat die Kunst gefördert/finanziert?



    So als "Mainstream"-Konsument hat man das ja nicht so auf dem Schirm, man sieht ja meist nur das Ergebnis und nicht den Weg und oft auch nicht, die Kreativen dahinter.

    • @Axel Schäfer:

      Kunst braucht staatliche Unterstützung, weil sie das Publikum bildet und ihm etwas abverlangt. Man lässt ja seine Kinder auch nicht jeden Tag entscheiden, was sie essen wollen, sonst bekämen sie am Ende nur noch Nudeln, Pommes und Pizza. Kunst sollte auch nicht durch Werbung finanziert werden, das macht sie kaputt und zudem abhängig.

  • „Die schnöde Realität der neuen deutschen Leitkultur, für die Friedrich Merz und seine Bundesregierung stehen, ist also nichts weiter als Kampf gegen die tatsächliche Kultur im Lande:"



    --



    Für Weimer und Merz gilt doch nur



    Die „Nützlichkeit“ von Kultur.



    Nur wer nützlich ist, der hat gut Lachen.



    taz.de/Merz-neue-S...bb_message_5111122



    Kulturpolitiker*innen sind vllt. nichtmal im Stande, die Mehrdeutigkeit des gekürzten Worts auf dem Demo-Schld zu erkennen.

    • @StarKruser:

      Was macht Sie so sicher, dass dem Künstler, der das Demo-Schild kreiert hat, die Mehrdeutigkeit bewusst war?

      Vielleicht sitzt der Künstler mit den Kulturpolitiker*innen im selben Boot?

      Wir können da nur spekulieren...

  • Also wenn mir mit 60 Jahren auffällt, dass ich nur 400 Euro Rente bekomme, dann muss ich ca. 40 Jahre lang ein Problem ziemlich gut verdrängt haben. Es gibt viele Formen der Altersvorsorge, nicht nur die gesetzliche Rentenversicherung. Und nicht alles muss "verfrühstückt" werden. Die Problematik ist bestimmt komplizierter, auch wenn das hier als Kommentar abgedruckt wurde.



    Die "Lebenserhaltungskosten" würde ich aber doch korrigieren, muss ja nicht gleich ganz schlimm kommen...

    • @JDoe:

      Wenn Sie wüssten, wie wenig man als freie:r Künstler:in oft verdient, auch wenn man sehr gut ist und viel arbeitet. Die Leute fragen von selbst halt meistens die leichte Unterhaltung nach, nicht die anspruchsvolle. Da bleibt meistens nicht viel, um es z.B. in Aktien anzulegen.

  • Wenn man sich einen Rüstungswettlauf mit Russland leisten will, außerdem seiner sozialen Verantwortung gegenüber Hunderttausenden von Flüchtlingen nachkommen möchte, außerdem Wirtsschaftskonzept, was auf billiger fossiler Energie aufbaute, wegbricht, kann der eine oder andere Euro irgendwo nicht mehr ausgegeben werden. Da hätten die Kreativen eben Beamte werden müssen, bei denen fließen die Apanagen erstmal üppig weiter. Besonders im Alter.

  • Tragischerweise verpasst die "wunderbare" künstliche Intelligenz der Existenz von Künstlern zusätzlich den Todesstoß. Wie viele geschriebene und übersetzte Werke sind bereits Arbeitsmaterial von KI? Wer braucht uns Autoren und Übersetzer denn noch? Ich bin 65 und mein Leben als Übersetzerin ist beinahe abgeschlossen. Ein wunderbarer Beruf, trotz der Nachteile besonders finanzieller Art. Aber seit den letzten Jahren würde ich niemandem mehr raten, diesen Beruf zu ergreifen. Es ist eine absolute Katastrophe, was da passiert.

  • Also letztlich die Forderung nach staatlich alimentierten Künstlern und Journalisten, sprich Staatskünstlern und Staatsjournalisten. Abgesehen davon, wie unabhängig diese dann noch arbeiten können (wes Brot ich ess, des Lied ich sing), wieso sollte der Steuerzahler das finanzieren? Ich bin Steuerzahler, und möchte dies nicht.



    Was die 400 Euro Rente angeht: wie viel hat denn Frau Rösinger in die Rentenkasse einbezahlt? Zumal die Künstlersozialkasse schon stark subventioniert wird. Wenn das Künstlereinkommen nicht zum Leben ausreicht, dann ist die Kunst eben nur ein Hobby oder ein Nebenberuf, aber ein Recht daß andere dieses Hobby finanzieren müssen, gibt es zu Recht nicht.

  • Warum wird eigendlich nocht mal auf das Künstlersozial- versicherungsgesetz hingewiesen? Für 155 Euro Mindestbeitrag im Monat sind Künst­le­r*in­nen und Jour­na­lis­t*in­nen nicht nur Krankenversichert sondern auch Rentenversichert.



    Wenn ich mich als Handwerker selbständig mache zahle ich schon den Mindesbeitrag von 250 Euro an die Krankenkasse und dabei ist keine Rentenversicherung. Und wer nach 5 Jahren keinen Gewinn als Selbständiger macht bei dem spricht das Finanzamt dann von Liebhaberei.

    • @Bernd Simon:

      So wie Sie es darstellen, kann ich Ihren Frust über die Ungleichbehandlung von Künstlern und Selbstständigen Handwerkern gut nachvollziehen. Aber geht es im Artikel nicht vor allem darum, dass das Aufbrauchen von Rücklagen und Kündigen von Vorsorgeverträgen jetzt nach neuem Gesetz noch schärfer eingefordert wird als es vorher bereits der Fall war? Sodass man bei einer Schieflage ganz runterrutscht, wenn man die Grundsicherung beantragt?



      Als Selbstständiger ist man bei Insolvenz doch auch ein Stückweit privat geschützt, zum Beispiel wenn man eine GmbH gegründet hat. Wie sehen Sie das?