Ende der Boheme: Das ist Kunst. Das kann weg
Der Kahlschlag in der Sozialpolitik trifft auf eine ohnehin verunsicherte Kreativszene. Nennenswerter Widerstand ist von ihr nicht zu erwarten.
D er immer weiter fortschreitende Kahlschlag in den Sozialsystemen lässt bei vielen Zukunftsängste aufkommen. Aktuell fangen angesichts der Zusammenstreichung der sogenannten Grundsicherung – die diesen Namen nicht mehr verdient – auf ein Gnadenbrot auch diverse Interessenverbände an, Bedenken anzumelden.
Der Deutsche Journalisten-Verband zum Beispiel ist alarmiert, weil die Pläne der Regierung befürchten ließen, dass Grundsicherung nur dann bezogen werden kann, wenn die Rücklagen aufgebraucht sind. Diese Rücklagen können aber im Fall von Selbstständigen die Alterssicherung sein – muss die abgefrühstückt werden, bevor überhaupt eine soziale Sicherung greift, wird Hartz IV gleichbedeutend mit Altersarmut.
Um jetzt den Haushalt zu entlasten, bereitet die Bundesregierung die zukünftige Verelendung gerade auch von Kreativen und Selbstständigen vor. Zum idealen Stadtbild von Friedrich Merz gehören offenbar flaschensammelnde 60-jährige Publizist*innen und Musiker*innen jenseits der 70, die bei Wind und Wetter an der Straßenecke den Hut aufstellen müssen, weil es sonst nicht mehr reicht.
Diese neuerlichen Zumutungen, die mit der Reform der Grundsicherung durchgesetzt werden sollen und die nichts anderes sind als eine institutionell verankerte Herabwürdigung von Armut, treffen auf eine eh schon hochgradig prekarisierte Branche.
Verschwindende Inseln
Journalist*innen und Künstler*innen finden sich da im gleichen Boot wieder. Gestiegene Lebenserhaltungskosten, explodierende Mieten und ganze Branchen in der Krise führen zu einer Unsicherheit, die nicht selten in schiere Existenznot umschlägt. Obendrein werden die Inseln der Möglichkeiten – wie Berlin früher einmal eine gewesen ist – immer kleiner oder verschwinden ganz.
In einem Interview mit dem Deutschlandfunk erzählte beispielsweise die Musikerin und Autorin Christiane Rösinger, dass ihre Rente aktuell 400 Euro umfasse. Damit ist sie keineswegs ein Einzelfall. Bei einer solchen Rente kommen in der Regel zwar noch andere Einnahmen hinzu – die Miete wird normalerweise übernommen, aktuell greift in dieser Größenordnung auch die Grundsicherung noch, sofern man nicht, wie Christiane Rösinger es glücklicherweise tut, noch arbeitet. Aber all das kann nur funktionieren, wenn man sich auch im Alter maximale Flexibilität bewahrt.
Und Voraussetzung für diese Flexibilität ist eine einigermaßen intakte Gesundheit. Sollte die aber, auch durch den jahrelangen Raubbau, den diese Gesellschaft Freiberufler*innen abverlangt, gelitten haben, dann wartet schon die nächste niederträchtige Idee der Union auf eine*n: Mit der möglichen Abschaffung von Pflegegrad 1 würde auch diese Lebenssituation noch schwieriger zu gestalten, als sie es eh schon ist.
Es ist angesichts solcher Umstände nicht verwunderlich, dass junge Künstler*innen und Journalist*innen diesen Branchen den Rücken kehren.
Kampf gegen die tatsächliche Kultur im Land
Aktuell hat die Autorin Bettina Wilpert eine Debatte über die Lebbarkeit dieser Lebensentwürfe angestoßen, als sie ankündigte, neben dem Schreiben einen Job aufzunehmen. Dass sie diese Entscheidung selbstbestimmt und aus einer gesicherten Position heraus traf, ändert nichts an dem Umstand, dass es sich hier um ein gesellschaftliches Phänomen handelt.
Während aber Kulturstaatsminister Wolfram Weimer keine Gelegenheit auslässt, sich mit obskuren Kulturkampfthemen zu Wort zu melden, ignoriert er weitgehend die ökonomischen Bedrohungen einer lebendigen kulturellen und publizistischen Szene. Immerhin hat er nach den Angriffen der rechten Aktivisten von Nius die Verleihung des Deutschen Verlagspreises insbesondere an den Verbrecherverlag und den Unrast Verlag verteidigt (obwohl er mit seinem Gerede von den GEZ-Abgaben als „Zwangsgebühren“ selbst mit die Grundlage geschaffen hat, staatlich unterstützte kulturelle und publizistische Arbeit zu diskreditieren).
Die Verarmung der kulturellen Landschaft durch die Prekarisierung der kreativen Branchen wird jetzt schon sichtbar – circa alle drei Monate macht der nächste verdienstvolle Kleinverlag zu, zuletzt kündigte der Berenberg Verlag an, den Betrieb einzustellen; just in dem Moment, als der Verlag mit „Wachs“ von Christine Wunnicke einen Titel auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises hatte. Und auch das Zeitungssterben droht weiter – aktuell kämpft einmal wieder das nd ums eigene Überleben.
Die schnöde Realität der neuen deutschen Leitkultur, für die Friedrich Merz und seine Bundesregierung stehen, ist also nichts weiter als Kampf gegen die tatsächliche Kultur im Lande: sowohl gegen Künstler*innen und Publizist*innen als auch gegen die Institutionen, die sie tragen und halten. Boheme heißt also zu hackeln, bis man umfällt: und die Bohemisierung weiter Teile der Gesellschaft scheint das Kernprojekt der aktuellen Regierung zu sein. Allerdings fehlt diesem ganzen politischen Projekt jede Romantik, jede Lebensfreude, jeder subversive Geist. Auch das ist Dunkeldeutschland.
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