Das große Schmelzen: Antarktis vor dem Kippen

Der Klimawandel betrifft auch die südlichste Weltregion. Ein 180-Billionen-Tonnen-Gletscher ist gefährdet. Das hat drastische Folgen für den Rest der Erde.

Eismassen in der Antarktis

Der schmelzende Pine-Island-Gletscher im November 2018 Foto: NASA/ZUMA Wire/imago

BERLIN taz | Es gibt einen Ort auf der Erde, da gibt es nicht mal eine Spur von Leben. Es ist eine erstaunliche Entdeckung, die der Ökologe Nick Dragone kürzlich gemacht hat. Er promoviert an der Universität von Colorado in den USA und untersucht dafür die Grenzen mikrobiellen Lebens. In Bodenproben von Felsgraten im Zentrum der Antarktis fand er sie.

Wie er im Mai im Fachmagazin JGR Biogeosciences veröffentlicht hat, gab es darin keinerlei Mikroben. Die gibt es eigentlich überall auf der Erde, selbst unter den widrigsten Bedingungen. Auch im Rest der Antarktis wimmelt es nicht gerade von Arten. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Region mit dem ewigen Eis so wichtig dafür ist, dass andernorts auf der Erde gute Bedingungen für das Leben herrschen.

Ganz so ewig ist das Eis nämlich doch nicht. Im Juni warnten For­sche­r:in­nen in der Fachzeitschrift Science Advances davor, dass ein wichtiger Gletscher nicht so weit vom Kollaps entfernt sein könnte wie bisher angenommen. Es geht um den 180-Billionen-Tonnen-Giganten „Pine Island“ in der Westantarktis. Das Schelfeis um ihn herum schmilzt seit 2017 schneller als erwartet. Das gefährdet auch den fraglichen Gletscher, den die For­sche­r:in­nen mit Sorge betrachten.

Denn auch der schmilzt. Durch das Schelf­eis, das auf dem Wasser schwimmt, drängen seine Eismassen aber nicht ins Meer – was wiederum zum gefürchteten Meeresspiegelanstieg beitragen würde. Allein „Pine Island“ könnte dabei einen halben Meter ausmachen. Um etwa 20 Kilometer ist das Schelfeis aber allein von 2017 bis 2020 geschrumpft. Der Kollaps von „Pine Island“ dürfte denn auch keine Sache von Jahrhunderten mehr sein, warnen die Wissenschaftler:innen.

„Die Antarktis erreicht kritische Schwellenwerte“

„Wir haben womöglich nicht mehr den Luxus, langsame Veränderungen von 'Pine Island’ abzuwarten; die Dinge könnten viel schneller gehen als erwartet“, sagte Leitautor Ian Joughin, Glaziologe an der Universität Washington. Es sei schon etwa ein Fünftel des Hauptschelfs verloren gegangen.

„Die Prozesse, die wir in dieser Region untersucht haben, deuteten auf einen unumkehrbaren Kollaps hin, aber in einigermaßen moderatem Tempo – die Dinge könnten aber deutlich abrupter geschehen, wenn wir den Rest dieses Eisschelfs verlieren.“

In der vergangenen Woche fand in Paris die jährliche Konsultativtagung der Staaten des Antarktisvertrags statt, der am Mittwoch 60 Jahre alt wird. Der soll die friedliche, vor allem wissenschaftliche internationale Nutzung des südlichsten Erdgebiets regeln.

Im Voraus warnten Wis­sen­schaft­le­r:in­nen des Wilson Center Polar Institute davor, dass der Klimawandel die Region massiv gefährdet – die internationalen Gremien würden das in ihrer Antarktis-Politik bisher vernachlässigen.

Andrea Capurro, Meeresbiologin

„die Folgen werden wie bei einem Dominoeffekt weltweit zu spüren sein.“

Demnach nähert sich die südlichste Erd­region gleich mehreren Kipppunkten. Das heißt: Der menschengemachte Klimawandel hätte dann dort Folgen, die sich nicht mehr umkehren lassen – und die sich eben auch stark auf den Rest der Welt auswirken würden.

Die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen haben fünf gefährliche Prozesse zum Klimawandel in der Antarktis aufgelistet, die auch untereinander verbunden sind: der Anstieg der Ozeantemperaturen, der Verlust von Lebensraum und Artenvielfalt, die Versauerung des Meeres, die abnehmende CO2-Speicherleistung des Meeres und die Zerstörung von Ökosystemen weltweit.

„Die Antarktis erreicht kritische Schwellenwerte“, sagte die Meeresbiologin Andrea Capurro, die an dem Bericht mitgeschrieben hat. „Und die Folgen werden wie bei einem Dominoeffekt weltweit zu spüren sein.“

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