Das Sterben der Buchsbäume: Kahle Stellen im Kulturdenkmal

In Hannover befindet sich eine einzigartige barocke Gartenanlage. Dort bedrohen wie überall ein Falter und ein Pilz die prägenden Buchsbaum­hecken

Ein in Form geschnittener Buchsbaum wird bewässert

Noch gesund: ein Buchsbaum in den Herrenhäuser Gärten bekommt Wasser Foto: Julian Stratenschulte/dpa/picture alliance

HANNOVER taz | Pest oder Cholera? Diese Frage stellt sich nicht für Boris Schlumpberger. „Wir haben hier beides“, sagt der Biologe. Die Pest – ein aus Asien eingeschleppter Schmetterling – und die Cholera – ein Pilz – bedrohen ein in Deutschland einzigartiges Kulturdenkmal, den Großen Garten in Hannover-Herrenhausen. Er ist eine der wenigen großen barocken Gartenanlagen in Europa, die in ihrem im 17. Jahrhundert entstandenen Ursprung erhalten sind. Die meisten anderen wie Sanssouci in Potsdam wurden ab der Mitte des 18. Jahrhunderts im Stil der englischen Landschaftsparks umgestaltet. Vom Barock blieben meistens nur ein paar Beete übrig.

Der Große Garten – Teil der vier Herrenhäuser Gärten – hingegen sieht fast noch genau so aus wie zu Zeiten von Herzog Ernst August, der sich Ende des 17. Jahrhunderts Herrenhausen als prachtvolle Residenz ausbauen ließ. Seine Frau Sophie von der Pfalz gestaltete den Garten nach barocker Mode: Streng geometrische Rabatten im vorderen Teil und streng geometrische Wäldchen im hinteren. Dazu Fontänen, akkurat geschnittene Lindenalleen und Hainbuchenhecken, Teiche, Pavillons. Boris Schlumpbergers Job als Kurator der Herrenhäuser Gärten ist es, dafür zu sorgen, dass das so bleibt.

Doch das ist derzeit schwer, denn Pilz und Schmetterling haben es auf ein zentrales Element aller barocken Gartenanlagen abgesehen: die Broderien. Der Begriff – abgeleitet vom französischen Wort für „Stickerei“ – bezeichnet niedrige Hecken, meistens aus Buchs, die nicht nur Beete einfassen wie im Bauern- oder Klostergarten, sondern zusätzlich Ornamente bilden. Manche sind mit Blumenbeeten ausgefüllt oder nach historischem Vorbild mit Rasen oder Schotter in verschiedenen Farben. 20 Kilometer Buchshecke stehen im Großen Garten – so viel wie wahrscheinlich nirgendwo in Deutschland.

„Das sieht nach Pilz aus“, sagt Thomas Amelung und zeigt auf ein paar Meter grauer Zweiggerippe im Großen Parterre – in Barockgärten die Bezeichnung für die terrassenartigen Beete in unmittelbarer Nähe des Schlosses. Amelung ist der Gartenmeister des Großen Gartens, wie Schlumpberger Angestellter der Stadt, denn die Gärten – auch das eine Besonderheit – sind in kommunalem Besitz. An einem windigen, nasskalten Tag Anfang April führen die beiden über geharkte Kieswege durch den Park. Nicht überall ist der Schaden so deutlich zu sehen, aber es gibt immer wieder kahle Stellen oder solche, wo das Laub der Büsche braungrau verfärbt ist.

Buchsbäume sind meistens langsam und strauchartig wachsende, immergrüne Laubbäume mit relativ kleinen Blättern, die sich besonders dicht verzweigen und daher für den Formschnitt eignen. Sie sollen bereits im antiken Rom als Beet­einfassung gepflanzt worden sein. In barocken Gärten wurden sie vermutlich zuerst in Versailles verwendet.

70 bis 100 Arten gibt es laut Wikipedia, fast alle auf der Nordhalbkugel. In Europa sind nur zwei Arten heimisch, Buxus balearica und Buxus sempervirens. Letzterer kommt in Deutschland wild vor. Aus den Arten Buxus sempervirens und dem ostasiatischen Buxus microphylla sind zahlreiche Sorten gezüchtet worden. (eib)

Seit 2004 breitet sich der zehn Jahre zuvor erstmals in Großbritannien diagnostizierte Pilz Cylindrocladium buxicola auch in Deutschland aus, zwei Jahre später tauchte der Buchsbaumzünsler hierzulande auf. Als blinder Passagier günstig in China gezogener Buchsbäume. Solche Neozoen, die keine Fressfeinde haben und auf Pflanzen treffen, die noch keine Resistenzen ausbilden konnten, sind kein buchsbaumspezifisches Problem. Ein bekanntes Beispiel ist die Miniermotte, die der Rosskastanie zusetzt. Und Pilze haben auch schon andere Arten an den Rand des Aussterbens gebracht: zum Beispiel die Ulme.

Der Pilz war vor dem Falter da

Der Buchsbaumzünsler wurde in Herrenhausen 2017 das erste Mal entdeckt, da war der Pilz längst da. Wo der ursprünglich herkommt, sei unbekannt, sagt Thomas Brand, bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen verantwortlich für den Pflanzenschutz von Zierpflanzen, Baumschulen und öffentlichem Grün. „Es kann auch sein, dass es ihn schon länger gibt, aber die Erkrankung, die er auslöst, neu ist. Wir wissen es einfach nicht.“ Ob der Klimawandel ihm in die Sporen spielt? Wahrscheinlich nicht.

Viel unternehmen gegen den Pilz können der Herrenhausen-Kurator Schlumpberger und Gartenmeister Amelung nicht. Hob­by­gärt­ne­r:in­nen glauben es besser zu wissen. Jedes Mal nach Erscheinen von Medienberichten rufen sie an und geben ihm todsichere Tipps, erzählt Schlumpberger. „Einige schwören auf Algenkalk.“ Das schädige allerdings auf Dauer die Pflanze. Andere Anrufer würden anbieten, die Herrenhausen-Buchsbäume mit Schutzformeln zu besprechen, und wieder andere seien überzeugt, bei sich im Garten den super toughen Buchs stehen zu haben, der resistent ist gegen Krankheit und Schädling. Sie bieten Stecklinge an oder gleich den ganzen Busch.

Foto: Holger Hollemann/dpa/picture alliance

Schlumpberger und der Gartenmeister Amelung wissen es besser. Früher oder später erwischt es alle. Denn die bisher verwendeten Sorten, sogar die Züchtungen aus asiatischen Arten, haben weder Pilz noch Schmetterling, die sich beide ausschließlich am Buchsbaum laben, etwas entgegenzusetzen. Dass Meisen und Spatzen lernen, die Schmetterlingslarven in ihren Speiseplan aufzunehmen, kann das nicht ausgleichen. Und den Pilz frisst niemand. Die wenigen deutschen Wildvorkommen des Buxus sempervirens in Südwestdeutschland sind daher akut vom Absterben bedroht.

In den Parks haben sie mit intensiven Pflegemaßnahmen zwar eine Chance – aber wie hoch darf der Preis sein?, fragt Thomas Amelung, der Gartenmeister. „Ich hatte schlaflose Nächte, als das mit dem Zünsler losging“, erzählt er, der seit 1998 in Herrenhausen arbeitet, „der Garten ist ja irgendwie auch meiner.“ Aber irgendwann habe er sich damit abgefunden. Schließlich gehe es nur um Buchshecken. „Braucht der Mensch die?“ Eine Frage, die letztlich für alle nur zur Zierde gehaltenen Pflanzen gilt. Boris Schlumpberger verzieht das Gesicht. Noch ist er nicht bereit, sie zu verneinen.

Deshalb werden ihre Mit­ar­bei­te­r:in­nen in diesen Wochen verstärkt nach Kotpillen der Falterraupen suchen, die mit den wärmeren Temperaturen aus der Kältestarre erwachen. Zweimal im Jahr spritzen sie im Garten ein auch für den Biolandbau zugelassenes Pflanzenschutzmittel. Das muss zum richtigen Zeitpunkt geschehen, weil es nur bis zu einer bestimmten Größe der Raupen wirkt.

Das Spritzen ist aufwendig, die Wege müssen abgesperrt werden, um die Be­su­che­r:in­nen zu schützen. Und weil sich die Raupen in die Blätter einwickeln, muss das Gift direkt in die Büsche eingebracht werden, eine Giftdusche von oben reicht nicht. Eine Arbeit, mit der eine Person allein zwei Monate beschäftigt wäre, rechnet Amelung das Arbeitsvolumen um. Auf einem Meter Hecke stehen immerhin neun Pflanzen. Macht bei 20 Kilometern: 180.000 Buchsbäumchen. Zudem bringen die Gärt­ne­r:in­nen mit Sexualpheromonen den Fortpflanzungszyklus der Schmetterlinge durcheinander.

Resistente Sorten sollen helfen

Gegen den Pilz aber helfe kein Spritzen, vor allem nicht in so großen Anlagen, weil die Fungizidbehandlung wetterabhängig sei, erklärt Amelung. „Das können Sie nicht planen, da sind Sie schnell zu früh oder zu spät dran.“

Deshalb suchen er und Schlumpberger nach Alternativen zu den beiden in Herrenhausen gepflanzten Buchssorten „Blauer Heinz“ und „Herrenhausen“. Ein belgischer Pflanzenproduzent hat 2020 vier Hybriden auf den Markt gebracht, die er derzeit als „Better Buxus“ an ausgewählte Kunden verkauft, darunter auch die vergleichbar großen Anlagen in Het Loo in den Niederladen und Villandry in Frankreich. Der bessere Buchs soll pilzresistent sein und angeblich dem Zünsler nicht so gut schmecken. Letzteres stimme nach seiner Erfahrung nicht, sagt Amelung. „Der frisst die halt erst zum Schluss.“

An verschiedenen Stellen des Gartens haben die Gärt­ne­r:in­nen drei der neuen Sorten gepflanzt. Ob sie in Wuchseigenschaften mit den alten mithalten können und mit dem Klima zurecht kommen, müsse sich noch zeigen, sagt Schlumpberger. Zudem ist die Farbe nicht so sattgrün, die Herbstverfärbung stärker.

Der belgische Hersteller Herplant und auch die Baumschule im Ammerland – in Deutschland der einzige Zwischenhändler –, werben allerdings bereits damit, dass Herrenhausen auf das Produkt umsattle. Auf taz-Nachfrage reagiert der Herplant-Geschäftsführer Didier Hermans verschnupft. Von Versuchsstadium könne keine Rede sein, Better Buxus habe sich seit 2020 an zahlreichen Standorten bewährt.

In Hannover, wo gerade die Sommersaison beginnt, wollen Amelung und Schlumpberger noch abwarten. Zwei Jahre, sagen sie, seien zu wenig für eine abschließende Beurteilung. Große Hoffnung hatten sie auch auf Euonymus japonicus gesetzt, das ebenfalls immergrüne japanische Pfaffenhütchen, dessen Blätter und Wuchs denen des Buchs ähneln. Im mittleren Teil im Springwassergarten hat dieser den Buchs ersetzt. Doch auch hier gibt es kahle Stellen. In diesem Winter erstmals aufgetreten, sagt Amelung, jetzt nach dem Frühjahrsschnitt deutlicher zu erkennen. Könnte ein Pilz sein.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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