Nachhaltiges Gärtnern: Langsam mit den Blumen

Das Essen auf dem Tisch soll bio sein. Was aber ist mit den Blumen dazu? Claudia Werner setzt mit der Slowflower-Bewegung auf nachhaltige Schnittblumen.

Ein Hand hält prüfend eine Dahlie

Prachtvolle Slowflower: eine Dahlie in Claudia Werners Garten Foto: Kerstin Rolfes

BREMEN taz | Wie den Seiten der Landlust entstiegen sieht der Garten von Claudia Werner selbst Anfang November noch aus. Hinter dem kleinen Einfamilienhaus in einer Bremer Nachkriegssiedlung stehen Apfelbäume, Strauch- und Kletterrosen – manche tragen eine letzte Blüte –, und überall geht es unter Spalieren zu Beeten und noch mehr Beeten. Auf ihrem eigenen Grundstück und denen zweier Nachbarn.

Der Garten ist Claudia Werners Arbeitsplatz, hier wachsen ihre Schnittblumen aus nachhaltigem, regionalem Anbau. Werner gehört dem im März 2019 gegründeten Verein „Slowflower Bewegung“ an, er hat derzeit rund 200 Mitglieder. Wer ihm beitritt, verpflichtet sich, Schnittblumen ohne den Einsatz von Pestiziden anzubauen, nur organischen Dünger zu verwenden und keine genmanipulierten Pflanzen.

Darüber hinaus geht es um eine bessere Energiebilanz. 90 Prozent aller in Deutschland verkauften Schnittblumen kommen nach Angaben des Fairtrade-Verbands, der auch das gleichnamige Siegel vergibt, aus Südamerika und Afrika. Dort werden sie in Monokulturen unter Einsatz von Giften angebaut. Jede dritte Rose soll bereits aus Betrieben stammen, die Arbeitsbedingungen nach den Fairtrade-Kriterien bieten. Das erfüllt nicht zwangsläufig Bio-Standards. Aus Fairtrade-Sicht ist der Import dennoch ökologisch sinnvoll: Denn die CO2-Bilanz beispielsweise niederländischer Gewächshäuser ist noch schlechter.

Kurze Wege

Die Wege, die die Slow Flowers zurücklegen, sind dagegen kurz. Werner bringt ihre Sträuße ein bis zwei Mal wöchentlich in fünf Bremer Bioläden. Hinzu kommen Aufträge für Hochzeiten und andere Feiern, außerdem lehrt sie Kränze und Sträuße binden. Andere Vereinsmitglieder arbeiten mit ­Abonnements, vergleichbar den ­Kisten mit Biogemüse, die Kun­d:in­nen ans Haus geliefert werden. Einige ­verarbeiten nur, was ihnen andere liefern.

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Nicht alle haben so malerische Gärten wie Claudia Werner, sondern beackern Felder. Auch sie hat noch eine 500 Quadratmeter große Fläche im Bremer Umland, auf der sie robuste Arten anbaut, Sonnenblumen und Amaranth. Wegen ihres fotogenen Gartens, vermutet Claudia Werner, hatte das Landlust-Magazin sie schon im vergangenen Jahr porträtiert, da war ihr Betrieb gerade einen Monat alt.

Auch die meisten der sieben Gründungsmitglieder des Vereins hatten sich erst kurz vor ihrem ersten Treffen selbstständig gemacht oder wie der etablierte Berliner Alternativ-Florist Marsano angefangen, eigene Blumen zu produzieren. Dabei sei die Idee, Schnittblumen nach den Slow-Flowers-Leitlinien anzubauen, nicht neu, sagt Emma Auerbach, Sprecherin des Vereins. Schon länger gibt es Biohöfe, die Blumen anbauen und auf Wochenmärkten neben dem Gemüse verkaufen, aber meistens nur für wenige Sommermonate.

Claudia Werner steht in ihrem Garten

Nachhaltiges Wachstum: Claudia Werner in ihrem Bremer Garten Foto: Kerstin Rolfes

„Bio-Essen sagt allen etwas, aber bei Blumen denken die wenigsten daran, wo sie herkommen“, sagt Claudia Werner nach einem Gartenrundgang beim Gespräch in ihrer Küche.

Staunenswertes Variantenreichtum

Vielleicht liegt das daran, dass Schnittblumen als Deko-Gegenstand wahrgenommen werden. Slow-Flowers-­Sträuße kann man damit nicht verwechseln, dafür sind sie zu lebendig. Sie sehen aus, als wäre jemand durch seinen Garten gestreift und hätte mit Liebe zum Detail all ihre Bestandteile ausgesucht, neben auffälligen oder zarten Blüten auch Gräser, Zweige mit Blättern oder Beeren.

Und das alles in einem Variantenreichtum, der selbst erfahrene Hob­by­gärt­ne­r:in­nen staunen lässt. Beim Normalfloristen gibt es immer dieselben, vom Großhandel gelieferten Pflanzen. In den Gärten und auf den Feldern von Claudia Werner und ihren Mit­strei­te­r:in­nen wachsen nicht nur unzählige Arten, sondern die auch noch in ganz verschiedenen Sorten.

Aber eben nur zu ihrer jeweiligen Saison – im Winter gibt es Trockenblumen. Auch das macht es – neben dem hohen Arbeitsaufwand und den geringen Erträgen – den Betrieben schwer, auskömmlich zu wirtschaften. Kaum jemand hat Anspruch auf Subventionen, die gibt es nach Vereinsangaben erst ab einem Hektar, die Hälfte der Mitglieder betreiben maximal 500 Quadratmeter, 15 Prozent bis zu einem halben Hektar, die anderen liegen dazwischen. Einige der Gründungsmitglieder haben sich wieder aus der Selbstständigkeit verabschiedet. „Reich wird von uns niemand“, sagt Claudia Werner. Sie selbst ist froh, im ersten Jahr nach Gründung keine Verluste zu machen. Leben können wird sie davon vermutlich nie ganz oder wenn, dann nur knapp.

Sie könnte mehr machen, sagt sie, größer werden, Mit­ar­bei­te­r:in­nen anstellen, aber das ginge zulasten ihrer Gesundheit. Deswegen hat die 52-Jährige auch ihren Beruf als Erzieherin aufgegeben, sie wollte sich nicht mehr nur um andere kümmern.

Jetzt hat sie zwar „verflixt viel Arbeit“ an sieben Tagen die Woche und steht im Sommer um halb fünf auf, weil der frühe Morgen die beste Zeit zum Schneiden ist. Dafür würden die Blumen nicht an ihr ziehen wie die Kinder, alles sei einfach da und wachse, ohne dass sie etwas von sich geben müsse.

Vitale Pflanzen

Im Garten hatte sie auf ein kreisrundes Beet gezeigt, das bedeckt ist mit Sämlingen, die sich selbst ausgesät haben und im nächsten oder übernächsten Jahr blühen werden. „Ich jäte hier nicht und warte ab, was durchkommt“, sagt sie. Auf diese Weise bleibe nicht nur der Boden bedeckt und vor Austrocknung geschützt, so erhalte sie auch vitale Pflanzen.

Claudia Werner nutzt kein schweres Gerät, bis auf die Dahlien wachsen immer mehrere Arten in einem Beet, überall liegen Totholzhaufen für Insekten und Kleinsäuger, und gegen die Schnecken hält sie drei Laufenten. Ein Bio-Siegel hat sie wie die meisten Slow-Flowers-Farmer dennoch nicht und strebt es auch nicht an. Der finanzielle und bürokratische Aufwand für solche Zertifizierungen sei zu hoch für Kleinunternehmen. Bei 85 Prozent der Mitglieder handelt es sich nach Angaben des Vereins um Ein- oder Zwei-Personen-Betriebe, nur 30 Prozent leben ganz von den Blumen.

Die Bio-Qualität ließe sich auch deshalb schwer einhalten, weil nicht genügend Bio-Saatgut in guter Qualität produziert werde, sagt Werner. Nicht alle Pflanzen kann sie selbst vermehren. In diesem Jahr hatte sie zu spät Tulpenzwiebeln bestellt und bekam nur noch konventionelle Ware, die sie gerade mit ihrer ältesten Tochter unter die Erde gebracht hat. Elf beschriftete Holzleisten ragen in einer Ecke des Gartens aus der Erde, das Beet sieht aus wie ein frisch angelegtes Grab. „Pretty Princess“ liegt hier begraben und „Apricot Beauty“. Tulpen und Nachhaltigkeit passen allerdings nicht besonders gut zusammen, sagt Claudia Werner, denn sie seien Wasser- und Nährstoffzehrer, die häufig nur eine Saison blühen und dann ersetzt werden müssen.

Die langsamen Blumen blühen nicht in einer besseren Welt. Die Sträuße sehen schöner aus als die vom Discounter, oft auch dann, wenn sie verblüht sind, kosten aber viel mehr. Im Vergleich mit normalen Blumenläden sind aber zumindest Claudia Werners Sträuße günstig, und wer sich Floraldesigner nennt, kassiert ein Vielfaches mehr.

Warum sich die Mehrausgabe für langsame Blumen lohnt, ist nachzulesen in einem Buch des Vereins, das gerade erschienen ist. In einem Beitrag geht es um „resiliente regionale Systeme“, die nicht zusammenbrechen, wenn in einer Krise ein Teil der Lieferkette ausfällt oder gleich der ganze Transportweg versperrt ist. In einem anderen Beitrag weist die österreichische Bioblumenpionierin Margrit de Colle darauf hin, dass Blumen in fast allen Kulturen bei Festen und Ritualen, also bei bedeutenden Übergängen, eine wichtige Rolle gespielt haben.

„Alles Blühende und Grüne wirkt auf unsere Seele zugleich beruhigend und belebend“, schreibt sie, die ihren Betrieb schon 2005 in der Steiermark gegründet hat. Er ist mit über sieben Hektar Fläche und 15 Mit­ar­bei­te­r:in­nen einer der größten der deutschsprachigen Branche.

Margrit de Colle erinnert damit daran, dass die Menschen im Kampf ums Überleben nicht die Schönheit vergessen sollten und vermeintlich nutzlose Werte der Effizienz unterordnen. Das wäre unmenschlich.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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