Das Politische und der 1. Mai in Berlin: Eine Option abseits vom Ballermann
Berlin-Kreuzberg hat ausgedient. Beim 1. Mai orientiert man sich nun Richtung Grunewald. Ein Wochenkommentar.
Man kann es wohl so festhalten: Der 1. Mai in Berlin findet inzwischen im Grunewald statt. Mindestens 4.500 Menschen zogen bei der zweiten Auflage von Demo und Volksfest, angeführt von dem linken Aktionsbündnis Hedonistische Internationale, durch das Villenviertel im Berliner Südwesten. Sie klebten den GrundbesitzerInnen lustige Sticker auf Gegensprechanlagen und schmissen Konfetti in gepflegte Blumenrabatten.
Auf dem Bürgerfest „MyGruni“ münzten die RednerInnen die Debatte über das laufende Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ und überhaupt das Dauerthema steigende Mieten in unterhaltsame Satire um (man wolle „mit den Villenbewohnern am Gartenzaun“ ins Gespräch kommen). Und auf der Demo, die ab dem frühen Nachmittag durch die Straßen zog, spießte man in diesem Jahr auch dezidiert den Niedergang des politischen 1. Mai in Berlin auf: „Burn Bratwurst – no Porsches“. Und „MyGruni“ ist natürlich eine Spitze gegen das Kreuzberger Original, das Volksfest „MaiGörli“, das das Bezirksamt in diesem Jahr gar nicht mehr organisierte: AnwohnerInnen wollten den Party- und Sauftourismus im Görlitzer Park nicht mehr länger hinnehmen. „Keine Gewald im Grunewalt“, hieß das bei den Hedonisten.
Was für ein Theater da im Grunewald? Ja, genau, was für ein Theater!
Natürlich kann man es betrauern, wie unpolitisch der 1. Mai geworden ist: Dass die 18-Uhr-Demo, bei der dieses Jahr übrigens nicht mehr Menschen waren als im Grunewald, schon lange sich selbst genügende, inhaltsleere Folklore ist. Dass das Kreuzberger Myfest sich an (meist vorzüglichem) Köfte inzwischen gnadenlos überfressen hat und folgerichtig an seiner eigenen Ballermannisierung zugrunde geht (wenn es nicht vorher an gepanschtem Caipirinha gestorben ist).
Man kann es aber auch so sehen: Mit der Satire-Demo im Grunewald ist der 1. Mai in Berlin ganz bei sich angekommen. Keine andere Demo an dem Tag drückt so gut aus, was der 1. Mai eigentlich ist: eine große Show. Und dass die Hedonisten zum einen überhaupt nicht mehr sein wollen als eine große Show und zugleich aber durchaus eine ernsthafte politische Botschaft haben, ist eine Chance für diesen Tag.
Denn für die meisten BerlinerInnen ist eben weder Krawall noch Bratwurst noch der Kreuzberger Ballermann eine Option – zugleich sorgt aber gerade die Enteignungsdebatte für eine wachsende Politisierung quer durch alle Schichten. Da ist schon noch Wut. Und offenbar auch: Galgenhumor. Insofern ist der Grunewald am 1. Mai selbstverständlich das neue Kreuzberg.
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