Das Ende von Wandel durch Handel: Die Aufgabe rein ökonomischer Logik

Der Krieg in der Ukraine hat die Vorherrschaft der rein ökonomischen Logik unterbrochen. Seitens Russlands rückt an ihre Stelle die der Ideologie.

Frau am Grab einer Angehörigen in Ukraine Foto: Alexander Ermochenko/reuters

Dieser Krieg ist nicht die Fortsetzung einer alten Logik, sondern der Beginn einer neuen. Er ist eine Zäsur. Zu dieser Zäsur gehört die Aufgabe der rein ökonomischen Logik. So unklar die Situation, so ungewiss und unvorhersehbar der Ausgang aus diesem ganzen Desaster ist – eines ist eindeutig: Der Krieg in der Ukraine hat mit einem Schlag die Vorherrschaft der rein ökonomischen Logik unterbrochen. Das meint nicht nur das Ende der Überzeugung eines „Wandels durch Handel“, sondern auch das Aussetzen der ganz banalen Profitlogik.

Reden wir jetzt nicht vom Leid der Menschen. Von der Angst. Von den unerträglichen Verhältnissen. Von den Toten. Wenn man all das einmal ausblendet. Wenn man einen Moment lang davon abstrahiert, dann bleibt: eine Verheerung. Alleine die Bilder aus der devastierten Hafenstadt Mariupol zeigen das täglich.

Es gab ja mal das Gerücht, es könnte am 9. Mai, am Tag der Siegesfeier, eine russische Militärparade ebendort geben. In Mariupol. Mariupol, das ist jene Stadt, wo noch schnell die Leichen von den Straßen weggeräumt wurden – in mobilen Krematorien entsorgt. Mariupol, das ist jene Stadt, die in Schutt und Asche bombardiert wurde – eine Ansammlung devastierter, skelettierter Häuser. Nichts als Zerstörung. Mariupol, das ist ausgelöscht. Eine Geisterstadt. So hat sich das Gerücht schlussendlich auch nicht realisiert. Es gab hier keine Parade am 9. Mai. Es wäre ein Sinnbild gewesen. Das Bild eines Pyrrhussieges.

Ein Land in Schutt und Asche zu legen ist, ganz nüchtern betrachtet, rein ökonomisch eine unproduktive Verausgabung. Eine sinnlose Verschwendung (außer für diverse Kriegsgewinnler). Der Krieg folgt also nicht der – in jeder Hinsicht – berechenbaren Profitlogik.

Abschied von rechtlicher Logik

Zu der Zäsur dieses Krieges gehört aber nicht nur das Aufgeben der ökonomischen Logik – zu ihr gehört auch der Abschied von der rechtlichen Logik. Putin ersetzt das Völkerrecht durch die Geschichte, so der Historiker Wilfried Jilge. Statt bindender rechtlicher Regeln gibt es freihändige historische Analogien. Man weckt damit Erinnerungen, befördert Emotionen, liefert eine „Legitimation“ des eigenen Handelns. Keine rechtliche, aber eine emotionale. Denn das Beschwören der eigenen Geschichte, der Anspruch diese weiter zu schreiben, gibt dem eigenen Handeln Bedeutung.

Genau damit wurde aber eine andere Logik in diesem Krieg zentral: jene der Ideologie. Nicht im Sinne von einem eindeutigen Weltsystem – sondern im Sinne von unangemessenen, aber bewegenden Ideen. Aber obwohl Putin die Auseinandersetzung auch auf dem Feld der Ideologie eröffnet hat, fährt die Ernte auf diesem ideologischen Feld ein anderer ein.

Als Selenski und sein Team die Wahlen gewonnen haben, sollen die Putin-Leute gemeint haben: Die können nur Videos machen. Eine Kompetenz, die die Russen eindeutig unterschätzt haben. Selenski bespielt damit die ideologische Front weltweit. Während Putins Demoralisierung des Westens nach hinten losgegangen ist, ist diese Moralstrategie umso erfolgreicher.

Die dem Krieg eigene Logik führt auch dazu, sämtliche Prognosen zu unterlaufen. Prognosen sind derzeit „nicht belastbar“, wie es der Soziologe Harald Welzer kürzlich genannt hat. Warum? Weil es stets ein Rechnen mit mehreren Unbekannten ist – gegen die Unberechenbarkeit der Kriegsdynamik. Denn diese folgt ihrer eigenen unabsehbaren Logik.

Und diese Kriegslogik besteht auch darin: Alles kann ihr zum Auslöser einer Eskalation werden – einer Steigerung, einer Intensivierung, einer Ausdehnung des Kriegsgeschehens. Ebenso aber gilt auch der umgekehrte Fall – was die Prognosen nicht glaubwürdiger macht und die Befürchtungen nicht geringer: Statt Eskalation kann der Krieg einfach auf Dauer gestellt werden.

Ein Zermürbungskrieg auf Jahre. Eine Verheerung ohne Ende. Eben deshalb gibt es auch kein belastbaren Prognosen und kein klares Ausstiegsszenario. Was wäre ein solches? Ein Sieg, ein Kompromiss? Wie sähe ein solcher denn aus – territorial, politisch? Da ist nichts in Sicht. Kein Ausstiegsszenario. Nirgends.

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