Flucht gegen die Gesellschaft: Transfer zwischen rechts und quer
Viele Querdenker und Impfgegner wollen der Gesellschaft entfliehen, jedoch um sie zu negieren. Für Demokratien ist das ein ernsthaftes Problem.
Der Name Thomas Hobbes steht für die Vorstellung eines Naturzustands, in dem ein „Krieg aller gegen alle“ herrscht. Der britische Theoretiker hat den Ausweg daraus im Staat gesehen. Dieser soll die gesellschaftlichen Konflikte befrieden. Der springende Punkt dabei ist: Hobbes hat das nicht nur in eine Richtung gedacht. Er hat gezeigt, dass Gesellschaften durchaus auch den umgekehrten Weg einschlagen können. Denn der „Krieg aller gegen alle“ kann jederzeit wieder aufbrechen. Eine durchaus aktuelle Lektion.
Kürzlich wurde in Österreich eine Ärztin von einer Gruppe sogenannter „Querdenker“ gejagt und letztlich in den Selbstmord getrieben. Man hatte eigentlich gedacht, mit dem Schwinden der Aufmerksamkeit für die Pandemie, mit dem Ende der „Maßnahmen“ würde sich auch die Vehemenz der Gegner entspannen. Stattdessen aber zeigt sich, dass es keine solche Entspannung gibt. Ganz im Gegenteil. Wenn es aber keine Entspannung gibt, dann muss das Phänomen offenbar weitreichender sein. Dann war die Pandemie nur ein Vehikel für etwas, was über diese hinausgeht.
Spiegel-Kolumnist Sascha Lobo hat kürzlich von einem nahtlosen Übergang eines bedeutenden Teils der „Querdenker“ und Impfgegner zu den Putin-Verteidigern gesprochen. Gewissermaßen ein Transfer der Vehemenz auf ein anderes Objekt. Für Lobo verdanken sich Fortbestand und Radikalisierung dieser Kreise Putins Propagandaapparat. Dieser würde nicht nur rechtsextreme Kräfte stärken, sondern auch die „Querdenker“-Szene befeuern. Die Strategie dabei sei, Debatten in sozialen Medien durch russische Trollfabriken zu manipulieren. Dazu werden Themenfelder gesucht, die für eine „emotionale, unversöhnliche Debatte“ zugänglich sind. Die sich also für das Schüren von Ressentiments und Ängsten eignen. Diese werden dann gezielt beeinflusst, verstärkt, gelenkt. So geschehen bei den „Querdenkern“. So weit Lobo.
Solche Manipulationen mag es geben – aber als Ursache des Phänomens reichen sie nicht aus. Denn damit lässt sich nicht erfassen, warum diese Manipulationen überhaupt wirken. Kontroversen, Problematiken wie die Maskenpflicht oder Impfungen sind nicht per se unversöhnlich. Dazu werden sie erst. Aber nicht durch äußere Manipulation, sondern weil sie aufgeladen werden. Weil sie zum Anlass werden, etwas Grundsätzliches zu verhandeln.
Eine negative Vergesellschaftung
Wo Unversöhnlichkeit herrscht, wird immer etwas gesellschaftlich Grundlegendes verhandelt. Ein untrügliches Indiz. Im gegenwärtigen Fall ist das, worum es geht, eine negative Vergesellschaftung.
Im Unterschied zur positiven Variante, also zur Integration in die Gesellschaft, zu allen Formen des Dazugehörens, ist die negative Form jene, wo man sich aus der Gesellschaft verabschiedet. Dieser Abschied wird hier in aller Paradoxie gesellschaftlich ausgetragen.
Der Traum der 1970er Jahre, der Gesellschaft zu entfliehen, setzt sich hier fort. Aber in veränderter Form. War den Alternativen die Flucht aus der Gesellschaft ein Mittel, so ist es nun ein Zweck: Abschied aus der Gesellschaft nicht als Aufbruch zu etwas anderem, sondern als Ziel. Kein neues Konzept, sondern nur das Durchstreichen des Bestehenden. Eben eine negative Vergesellschaftung. All die heutigen „Aussteiger“, all die neuen Nischenbewohner leben das im Extrem, was Gefühl und Wunsch vieler ist: das antigesellschaftliche Begehren einer unbegrenzten persönlichen Freiheit. Darin gründet die neue Unversöhnlichkeit weiter Kreise.
Hier ist sie: die Hobbe’sche Lektion. Einmal errungene gesellschaftliche Bindungen können sich jederzeit auflösen. Die Rückkehr zu solch einem Naturzustand aber kann eben auch eine „Rückkehr zum Krieg aller gegen alle“ bedeuten.
Dies ist ein ernsthaftes Problem heutiger Demokratien. Nicht nur weil diese Kreise anfällig für autoritäre Versuchungen sind (und somit auch für deren Manipulationen). Sondern auch, weil sich negative Vergesellschaftung nicht einbinden, nicht befrieden lässt. Schon alleine deshalb, weil diese eben das Prinzip des Verhandelns selbst zurückweist.
Leser*innenkommentare
nzuli sana
Danke für diese Anregungen Frau Charim! um diese Gedanken weiterzuführen:
Die Individuen sind von den perfekten Warenmärkten verwöhnt, so sehr, dass sie keine Einschränkungen mehr ertragen, und bei geringsten Problemen, Warten müssen, ungeduldig bis aggressiv werden. Also eine Zunahme des Narzißmuss - der gerade im esoterischen Feld besonders gefördert wird.
Kindischer Trotz.
2. Adorno schrieb in seinen Bemerkungen zum Okkultismus, dass diese Leute wüssten, dass sie an einer Inszenierung teilnehmen.
Gesteigert: die Antisolidarischen sind nur maximal unehrlich mit dem Leugnen der Realität.
Hass mit Kalkül
3. Andererseits gibt es ja eine Mehrheit in der Gesellschaft, die die Eindämmung der Pandemie befürwortet.
4. Russisch gesteuert nicht, aber Anschubfinanzierung.
5. kognitionspsychologisch: antimoderne Ursprünglichkeitsphantasien gegen das Neue Sanitäre Regime.
Eine Bitte:
übernehmen Sie nie die usurpatorischen Begriffe wie „Querdenker“, die ihren Titel von „Querdenken-TV“ MF Vogts 2015ff haben.
„Islamischer Staat“ oder „IS“ gab es nie und gibt es nicht. Stammesstrukturen, es gibt kein Zentrum außer Mekka, keinen Klerus, jedoch das Gebot die Regeln des Ortes an dem man als Muslim lebt, zu befolgen.
In den Dschijad ziehen als Ausbruch ins antimoderne Nichts?
Lingua Tertii Imperii - „volkstreu“ usw.
Übernehmen wir nicht die Sprache der Lügen und Umwertungen!
nutzer
"Sondern auch, weil sich negative Vergesellschaftung nicht einbinden, nicht befrieden lässt."
zum jetzigen Zeitpunkt ist das bestimmt bei vielen nicht mehr möglich, aber das es soweit gekommen ist, das die Anzahl der Menschen mit diesen Gedanken so weit gestiegen ist hat natürlich seine Gründe.
Solche Tendenzen lassen sich einhegen und gesellschaftlich einbinden, aber nur präventiv, nicht mehr oder kaum noch kurativ.
Die gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat seinen Teil dazu beigetragen, ganz oberflächlich und verallgemeinert ist es das gebrochene Versprechen, das es allen besser gehen wird. Die Prekarisierung und das schwindende Vertrauen in die Gesellschaft lässt sich schon mit den neoliberalen Reformen seit Schröder in Zusammenhang denken. Für einen Gutteil der Bevölkerung geht es seit dem nicht mehr aufwärts. Das beinhaltet auch die Menschen, die nicht Hartz4 Empfänger sind, Hartz4 hat einen gesamtgesellschaftlichen Druck erzeugt und den Lohnanstieg vom Wirtschaftswachstum entkoppelt. Diese Diskrepanz wurde stehts geleugnet, ist außerhalb D´s aber durchaus aufgefallen. Diese Zusammenhänge werden übrigens auch und machmal besonders vehement von links und grün abgestritten.
Das nun böswillige und menschenverachtende Ideologen (die es schon immer gab und geben wird) in dieser Gemengelage Zuspruch finden, ist erwartbar und nur erstaunlich, wenn man die soziale Schieflage in diesem Land nicht sehen will.