piwik no script img

Berliner KlimaanpassungsgesetzDas Ende der Kettensäge

Der Volksentscheid Baum will Berlin hitzefest machen. Nun berät das Abgeordnetenhaus über den Gesetzesvorschlag.

Noch müssen viele Stadtbäume das Zeitliche segnen Foto: TranslatorStefan Boness/Ipon

Berlin taz | Als die Nachricht kam, hatte Heinrich Strößenreuther ganz feuchte Augen. „Ich war so stolz“, sagte Co-Initiator des Volksentscheids Baum am Dienstag. Die Senatsverwaltung des Inneren hat am Abend zuvor die Vorschläge der Initiative Änderungen des Klimaanpassungsgesetzes für zustimmungsfähig erklärt.

Bei den In­itia­to­r:in­nen stößt das auf Erleichterung: „Nun kann das Abgeordnetenhaus zeigen, dass sie Berlin zeitnah vor Hitze, Dürre und Klimawandel schützen will“, so Strößenreuther. Das Bäume-Plus-Gesetz, das eigentlich den Namen „Gesetz für ein Klimaanpassungsgesetz Berlin und zur Änderung weiterer Vorschriften“ trägt, soll die Stadt klimaresilient machen. Dafür sollen bis 2040 unter anderem mehrere Hunderttausende Bäume gepflanzt werden.

Der Klimawandel schreitet immer schneller voran. Insbesondere Städte werden dadurch immer heißer. Laut einer aktuellen Studie der Energy Watch Group, einem internationalen Klimaforschungsnetzwerk, könnte die 2-Grad-Marke bereits 2032 überschritten werden. Deshalb, so Strößenreuther, dürfe man nicht mehr nur Klimapolitik machen, sondern es müssten dringend Anpassungsmaßnahmen getroffen werden.

Bäume können eine gute Möglichkeit darstellen, um Städte abzukühlen, in Parks liegt die Temperatur im Sommer um bis zu fünf Grad niedriger als in unbegrünten Wohnstraßen. Aber Bäume müssen erst einmal wachsen: „Deshalb ist es so wichtig, jetzt anzufangen, damit wir auch in den nächsten Jahren gut in Berlin leben können“, so Strößenreuther.

Das Gesetz zielt dabei auf einen Mindestschutz für die gesamte Stadt ab, nimmt aber bestimmte „Hitze-Hotspots“ besonders in den Blick, die als hoch belastet gelten. Dazu gehören etwa 170 Kieze à 5.000 Einwohner:innen, fast eine Million Menschen. In den Gebieten sollen deshalb „Kühlinseln“ aus Bäumen angelegt werden, an denen sich die Leute bei Hitze abkühlen können sollen.

Je­de:r Ein­woh­ne­r:in soll so im Umkreis von 150 Metern Zugang zu einer solchen Kühlinsel haben. Im Umkreis von 500 Metern sollen sogar kleine Parks im Umfang eines Hektars angelegt werden. Rund 100 davon sollen gebaut werden.

Bereits 2024 gab es europaweit mehr Hitze- als Verkehrstote. Abkühlung in Wohnnähe sei daher unabdingbar, so Strößenreuther. „Besonders Mieter brauchen Flächen, um ihre Körper bei Hitze runterzukühlen.“ Ohne entsprechende Maßnahmen befürchtet der Umweltaktivist, könne es in zehn bis zwanzig Jahren faktische Ausgehverbote bei Hitze geben.

Nach aktueller Prognose werden bis 2040 etwa 100.000 Straßenbäume gefällt werden. Dazu komme, dass ein Großteil des Bestandes krank oder geschädigt sei. Der Bestand solle daher primär geschützt, aber auch großzügig nachgepflanzt werden. Bis 2040 sollen in Berlin so etwa eine Million Straßenbäume stehen, etwa doppelt so viele wie derzeit.

Um das zu erreichen, sieht das Gesetz vor, die Nachpflanzverhältnis bei Fällungen von 1:1 auf 1:3 zu erhöhen. Auch, weil junge, kleinere Bäume nicht so viel Schatten spenden können wie große. Der Senat und die Initiative Volksentscheid Baum kommen so zu einer Kostenschätzung von 7,2 bis 7,5 Milliarden Euro bis 2040, etwa 500 Millionen jährlich.

Zusätzlich verpflichtet das Gesetz die Stadt, 50 Prozent des Regenwassers aufzufangen. Die Feuchtigkeit würde zusätzlich zur Kühlung beitragen. Genau wie die Beete, die Bür­ge­r:in­nen stadtweit um Bäume anzulegen dürften. Zudem würde es möglich, gefällte Bäume auf eigene Kosten nachpflanzen zu lassen, sollte die Stadt dem nicht nachkommen. „Viele wohlhabendere Bürger wären schnell bereit, 500 Euro für einen Baum bereitzustellen“, glaubt Strößenreuther.

Dass der Gesetzesentwurf im Abgeordnetenhaus angenommen wird, bezweifelt Linda Vierecke, Sprecherin für Umwelt und Klimaschutz der Berliner SPD-Fraktion. „Der Baumentscheid wäre ein absoluter Paradigmenwechsel, weil er mehr als den kompletten Umwelthaushalt einnehmen würde“, sagte sie der taz. Dieser beträgt rund 280 Millionen Euro.

Der Gesamthaushalt liegt bei 39 Milliarden. Beim Koalitionspartner CDU komme man bei Klimapolitik nur langsam voran, sagt Vierecke. „Das mit dem Haushalt lässt sich auch anders lösen, aber leicht wird die Debatte nicht.“

Auch Matthias Krümmel vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) hält das Gesetz für einen guten Ansatz. Sich aber so stark auf den Baum als Schattenspender zu konzentrieren, sei riskant. Andere Klimaanpassungsmaßnahmen wie technische Kühlungen oder Sozialtechniken – wie in Paris, wo Zivildienstleistende Menschen bei Hitze helfen – dürften nicht vergessen werden. „Der Baum alleine wird es nicht bringen“, sagt Krümmel.

Bäume könnten erst ab einer gewissen Höhe zur Abkühlung beitragen, so Krümmel. „Das Klima erwärmt sich leider schneller als die Bäume wachsen.“ Dennoch findet er es richtig, dass Volksentscheid Baum jetzt tätig wird. „Jedoch kosten Bäume weit mehr als im Gesetz bedacht. Und von Bundesebene wird dafür kein Geld kommen.“

Die In­itia­to­r:in­nen hingegen sind optimistisch, dass es im Abgeordnetenhaus eine Mehrheit geben wird. Noch bis Ende November ist dafür Zeit. Kommt es im Abgeordnetenhaus nicht durch, kündigten die Um­welt­ak­ti­vis­t:in­nen an ein Volksbegehren an. Spätestens im Herbst 2026 stünde das Gesetz dann sowieso, sagt Strößenreuther.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!