Das Beethoven-Jahr 2020: Der Netzwerker
Zum 250. Geburtstag feiert Bonn seinen Komponisten. Neben zahlreichen Veranstaltungen gibt es eine große Ausstellung in der Bundeskunsthalle.
Braucht die Musikwelt wirklich ein Beethoven-Jahr? An seinem 250. Geburtstag ist der Komponist weltweit nahezu allgegenwärtig und behauptet sich – neben Bach – als erfolgreichster musikalischer Export aus Deutschland. Seine Sinfonien und Klavierwerke sind Dauerbrenner der Konzertspielpläne, gerade jetzt zum Jahreswechsel gehört die „Neunte“ seit jeher zu den populärsten Silvester- oder Neujahrsritualen, in Japan ist sie sowieso Kult und wird dort gern auch mit Riesenchören von bis zu 10.000 Stimmen zelebriert.
Gewiss ist seine Kammermusik, vor allem seine späten Streichquartette, eher Futter für analytisch geschulte Spezialistenohren, auch sein „Fidelio“ gilt als sperrig und kann es an Beliebtheit weder mit Mozarts „Zauberflöte“ noch mit Bizets „Carmen“ aufnehmen. Dennoch braucht der Titan aus Bonn eigentlich keine Wiederbelebung mittels Jubeljahranstrengungen, denn er war wohl kaum je präsenter als heute, vielen gilt er gar als romantisch verstandener Inbegriff des Komponisten schlechthin.
Seine Geburtsstadt aber nimmt den 250. Geburtstag seines größten Sohns zum willkommenen Anlass, sich der Musikwelt als Beethoven-Stadt und Zentrum der Klassikwelt zu präsentieren. Und damit auch als breitentauglicher Touristenmagnet. Dafür wurde sehr viel Geld in die Hand genommen, von der Kommune, vom Land und vom Bund, der das Beethoven-Jahr sogar als nationale Aufgabe in die Koalitionsvereinbarung aufgenommen hatte.
Unter dem zungenbrechenden Logo „BTHVN2020“ ist das Ergebnis erschlagend breit im Wortsinn, widersprüchlich im Spagat zwischen Ambition und Massentauglichkeit, manches verspricht erhebend zu werden, manches wirkt schlicht banal. Zu den Peinlichkeiten zählen etwa die albernen Plastikmultiples des einfältig lächelnden Ludwig, mit denen Konzeptkünstler Ottmar Hörl die Stadt flutete. Oder der noch ausstehende Versuch, die kargen Skizzen zur nie vollendeten „Zehnten“ mittels künstlicher Intelligenz zu vollenden.
Open-Air-Simultankonzerte zwischen Bonn und Wien
Natürlich kommen etliche Stars wie Lang Lang oder Teodor Currentzis nach Bonn, es gibt Marathonkonzerte, jede Menge Educationaktionen, zwei Open-Air-Simultankonzerte zwischen Bonn und Wien, ein aufgestocktes Programm für das alljährlich stattfindende Beethovenfest, eine Auskopplung dieses Festivals im Frühjahr unter dem Motto „Seid umschlungen“, Symposien, Lesungen, Wettbewerbe und Uraufführungen.
Wie mag die Stadt Bonn, die noch immer in einem Dornröschenschlaf zu verharren scheint und bis heute den Besucher wenig einladend empfängt, diesen Ansturm verdauen? Der Bahnhof ist seit einer gefühlten Ewigkeit eine Baustelle, das Münster am zentralen Platz ist geschlossen, ein Lattenzaun verbarrikadiert Teile der historischen Universität. Und die Musikstadt und ihr Beethoven Orchester kränkeln an erschwerten Bedingungen, denn das Orchester ist heimatlos, was den Klangkörper dazu zwingt, die Konzerte im Opernhaus zu spielen.
Das ist wohl der größte Makel der Musikstadt, dass sie ausgerechnet im Jubeljahr über keinen funktionierenden Konzertsaal verfügt. Denn die Sanierung der denkmalgeschützten Beethovenhalle wurde auf die lange Bank geschoben. Zeitweise wurde sogar ihr Abriss diskutiert, erst 2011 entschied sich der Rat der Stadt endgültig dagegen, obwohl auch ein ambitionierter Neubau inzwischen vom Tisch war. Mit der Sanierung wurde 2016 viel zu spät begonnen – eine Wiedereröffnung ist erst für 2024 geplant.
Dirk Kaftan, Generalmusikdirektor der Stadt Bonn und Chef des Beethoven Orchesters seit 2017, hat es trotz widriger Umstände geschafft, die Auslastungszahlen der Konzerte fast zu verdoppeln, und nimmt es sportlich: „Unser Konzept ist es, mit starken Inhalten die Hülle vergessen zu machen.“ Der schlamperte Umgang der Stadt mit dem Thema Konzertsaal drängt die Vermutung auf, dass Bonn in Sachen Kultur lange Zeit auf der Bremse und die Identifikation mit Beethoven nicht immer ganz oben auf der Agenda stand.
„Kultur gegen Sport“
Diese Frage habe er sich auch gestellt, bevor er nach Bonn gegangen sei, gibt Kaftan zu und sieht die Gründe in der Historie: „Das Thema von Bonn als Bundeshauptstadt war Politik. Danach kochte ein unschöner Streit hoch, den man zuspitzen könnte auf die Formel Kultur gegen Sport.“
Rechtzeitig fertig geworden und wirklich mustergültig gelungen ist immerhin die Sanierung von Beethovens Geburtshaus, das allein schon eine Reise nach Bonn wert ist. Das historische Gebäude mit seinen verwinkelten Räumen und Treppchen wurde radikal entrümpelt, die Präsentation von 1996 wurde auf den neuesten Stand der Technik gebracht, die kostbaren kuriosen Objekte von der Lebendmaske über Spazierstock und Federkiel bis hin zu Autografen werden nun mit grazilen Leuchten optimal beleuchtet, Shop und Café wurden auf die andere Straßenseite umgesiedelt.
Das Haus atmet nun viel Atmosphäre und ist selbst zentrales Exponat. Im vermutlichen Geburtszimmer im zweiten Stock unter einer Dachgaube ist statt Büste und Lorbeerkranz eine meditative Installation mit Spiegelfläche und medialen Einblendungen aufgebaut, die aktuelle Sonderausstellung „In bester Gesellschaft“ thematisiert die Geschichte und Rezeption des berühmten Beethoven-Porträts von Joseph Karl Stieler.
Gut vernetzt als Mensch und Künstler
Ebenfalls sehr gelungen ist die große Ausstellung „Beethoven – Welt. Bürger. Musik“ in der Bundeskunsthalle, die wie auch die Neupräsentation im Geburtshaus mit dem Mythos des einsamen und weltabgewandten Revolutionärs gründlich aufräumt. Denn in beiden Häusern wird eindrucksvoll dokumentiert, wie gut Beethoven als Mensch und Künstler vernetzt war in Freundeszirkeln, wie groß die Schar seiner Gönner und wie gesellig sein ritualisierter Tagesablauf mit Wirtshaus- und Caféhausbesuchen, Theater- und Konzertabenden war.
Stiller Natur sind die eigentlichen Höhepunkte der opulenten, glänzend präsentierten Schau in der Bundeskunsthalle: Die Kopistenabschrift der „Eroica“, wüste Durchstreichungen auf Skizzenblättern, die das vulkanische Temperament des Komponisten anschaulich machen, und ein winziger, nur handtellergroßer Brief des 24-Jährigen an seinen Bonner Freund Heinrich von Struve mit den denkwürdigen Zeilen:
„Wann wird der Zeitpunkt kommen, wo es nur Menschen geben wird, wir werden wohl diesen glücklichen Zeitpunkt nur an einigen Orten herannahen sehen, da werden wohl Jahrzehnte vorbeigehen …“ Ein schöner Beleg dafür, dass Beethoven schon in jungen Jahren humanistische „Ode an die Freude“-Gedanken in seinem Herzen bewegte.
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