Das Attentat von Halle: Mörder oder Terrorist?
Gegen den Attentäter von Halle wird zu Recht wegen Mordes und nicht wegen Terrorismus ermittelt. Denn das Delikt „Terrorismus“ existiert nicht.
Der Zeit-Journalist und ehemalige taz-Kollege Yassin Musharbash hat die Frage aufgeworfen, warum gegen den Attentäter von Halle nicht „wegen Terrorismus“ ermittelt wird. Die Frage ist interessant, behandelt aber ein Schein-Problem.
Im rechtsstaatlichen deutschen Strafrecht wird immer eine Tat bestraft. Eine bloße Gesinnung ist nicht strafbar. Stephan B., der Täter von Halle, hat zwei Menschen erschossen und versucht, noch viele mehr zu töten. Deshalb wird gegen ihn wegen Mordes und Mordversuches ermittelt. Mord wird grundsätzlich mit „lebenslanger Freiheitsstrafe“ bestraft. Damit droht B. die härteste Strafe, die das deutsche Strafrecht kennt. Es besteht hier also ganz sicher keine Strafbarkeitslücke.
Die terroristische Gesinnung eines Täters wird vom Strafrecht nicht ignoriert. Die Tötung eines Menschen wird nur dann als „Mord“ bestraft, wenn eines von neun Mordmerkmalen vorliegt (ansonsten gilt die Tat als „Totschlag“). Eines der Mordmerkmale sind „niedrige Beweggründe“. Hierzu gehört, wenn die Tat aus rassistischen oder antisemitischen Motiven begangen wurde oder wenn Unbeteiligte ohne jeden Anlass getötet werden.
Auch beim Strafmaß sind die „Ziele des Täters“ und die „Gesinnung, die aus der Tat spricht“ zu berücksichtigen. Bei Mord ist das Strafmaß zwar immer „lebenslang“, doch auch hier gibt es Abstufungen. Stellt das Gericht eine „besondere Schwere der Schuld“ fest, ist eine Haftentlassung des Täters nach 15 Jahren weitgehend ausgeschlossen. Hierbei spielt das terroristische Ziel des Täters und das Ausmaß der Tat natürlich ebenfalls eine große Rolle.
Auf der symbolischen Ebene wird ein Mord auch dadurch als mutmaßlich terroristische Tat gekennzeichnt, dass der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernimmt. Für „normale“ Morde ist die Staatsanwaltschaft vor Ort zuständig. Bei „besonderer Bedeutung“ eines Mordfalles kann dagegen die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe die Ermittlungen an sich ziehen. So war es auch nach dem Anschlag von Halle. Begründung: Der Plan, in der Synagoge ein Massaker anzurichten, sei geeignet, ein „Klima der Angst“ zu schaffen, insbesondere bei Mitbürgern jüdischen Glaubens.
Das eigentliche Attentat gilt immer als Mord
Seit 1976 gibt es auch das Delikt der Gründung und Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung“ (§ 129a Strafgesetzbuch). Es wurde im Zuge der Bekämpfung der linksextremistischen RAF eingeführt – bis dahin gab es nur „kriminelle Vereinigungen“. Auf dieses Delikt stellen die Ermittler aber vor allem dann ab, wenn noch keine konkrete Tat nachgewiesen werden kann. Dann kann schon die Zugehörigkeit zu einer gefährlichen Struktur, der terroristischen Vereinigung, ermittelt und bestraft werden.
Um im Vorfeld einer Tat auch terroristische Einzeltäter und lose Gruppen zu erfassen, wurde 2009 ein weiteres Delikt eingeführt: „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“. Damit werden aber ausschließlich Vorbereitungshandlungen für Attentate erfasst, etwa das Beschaffen von Sprengstoff. Das eigentliche Attentat gilt immer als Mord.
Hartnäckig hält sich der Mythos, der Begriff „Terrorismus“ sei nicht rechtlich definiert. Richtig ist daran nur, dass es international schwierig ist, sich auf gemeinsame Definitionen zu einigen und diese auf konkrete Gruppen und Personen anzuwenden. Demokratische Staaten und Diktaturen haben hier ganz andere Maßstäbe. Wer in einer Diktatur als Terrorist gilt, kann im demokratischen Ausland durchaus als Freiheitskämpfer gefeiert werden.
In Deutschland gibt es jedoch eine zwar komplizierte, aber eindeutige gesetzliche Definition für terroristische Vereinigungen. Erfasst sind alle Gruppen, deren Ziel Morde und Entführungen sind. Bei anderen Delikten wie Körperverletzungen und Brandstiftungen müssen die Taten darauf abzielen und geeignet sein, die Bevölkerung einzuschüchtern oder den Staat zu nötigen.
Ob man einen Einzeltäter wie Stephan B. als „Terrorist“ bezeichnet, ist keine rechtliche Frage, sondern eine politische Wertung.
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