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Cuvry-Brache in Kreuzberg geräumtBerlins Favela ist nicht mehr

Die Brache an der Spree, wo seit mehreren Jahren Menschen in Zelten und Hütten lebten, wird nach einem Feuer geräumt und dem Eigentümer übergeben.

Die Cuvry-Brache am Freitag morgen, unter Polizeischutz. Bild: dpa

Vor der Polizeiabsperrung herrscht Partystimmung: Touristen stehen in der Nacht zu Freitag auf der Schlesischen Straße in großen Gruppen, Bier in der Hand, und schauen interessiert. Aus den Kneipen schallt Musik, die Stimmung ist ausgelassen, in den Gesprächen mischen sich viele Sprachen. Mitten auf der Kreuzung vor der Cuvrybrache steht die Feuerwehr mit einem großen Leiterwagen, die Polizei ist gleich mit einem dutzend Mannschaftswagen vertreten, der Autoverkehr wird umgeleitet. Auf der Cuvrybrache hat es gerade gebrannt, mehrere Hütten gingen in Flammen auf.

Polizei und Eigentümer nutzten die Gelegenheit und sperren die Brache ab: Sie lassen niemanden der vor dem Feuer geflüchteten Bewohner wieder auf das Gelände. Vor allem Roma-Familien, überwiegend aus Bulgarien, Obdachlose und Flüchtlinge, aber auch Menschen auf der Suche nach alternativen Lebensformen hatten das verwilderte Gelände zwischen Schlesischer Straße und Spreeufer bebaut und bewohnt.

Investor plant Wohnen und Einkaufen

Besitzer des gut 10.000 Quadratmeter großen Grundstücks ist seit 2011 der Berliner Immobilienentwickler Artur Süsskind. Gegen seinen Plan, dort eine Wohnanlage mit Kita und Einkaufsmöglichkeiten zu bauen, hatte sich im Bezirk Widerstand formatiert. Seither war das Gelände in den Augen der einen ein Freiraum, in den Augen anderer ein Slum. In der jüngeren Vergangenheit hatten sich immer mehr Anwohner über die Besiedlung der Brache und untragbare Zustände dort beschwert. Erst vor wenigen Tagen hatte das Jugendamt Friedrichshain-Kreuzberg auf der Brache lebenden Roma-Familien angedroht, ihre Kinder in Obhut zu nehmen, da das Leben auf der Brache „eine Gefahr für deren Wohl“ darstelle.

Gegen 21 Uhr hatten am Donnerstabend Anwohner die Feuerwehr alarmiert, die den Brand auf dem Gelände bemerkt hatten. Direkt nach er gelöscht war nahm die Polizei fünf der Brandstiftung tatverdächtige Männer fest, die aus Polen und Estland stammen sollen und nach Auskunft einer Polizeisprecherin auf dem Gelände lebten. Vier von ihnen befinden sich in Haft, einer liegt mit Brandverletzungen im Krankenhaus. Der zunächst erhobene Vorwurf des versuchten Mordes gegen die Tatverdächtigen wurde am Freitag fallengelassen. Nun werde gegen die Männer wegen schwerer Brandstiftung ermittelt, so die Polizei. Auch zwei weitere der rund 100 BrachenbewohnerInnen erlitten Brandverletzungen.

Am Tag nach dem Brand, Freitagmittag, ist die Schlesische Straße zwischen Treptow und Schlesischem Tor für den Autoverkehr erneut gesperrt, auf den Gehwegen von Schlesischer Straße und Cuvrystraße stehen Schutzgitter. Gut 100 PolizistInnen sichern die Absperrung. Das Grundstück sei „um 11.10 Uhr an den Eigentümer übergeben worden“, sagt eine Polizeisprecherin. Man bleibe vor Ort, bis der das Gelände gesichert habe: „Dann muss der Besitzer selbst für Security sorgen.“ Arbeiter haben in seinem Auftrag bereits einen Bretterzaun um das Gelände errichtet. Die Hütten und Zelte, die den Brand unbeschadet überstanden haben, stehen noch.

Bezirk will bei Unterkünften helfen

Die EinwohnerInnen hätten das Gelände nach dem Brand freiwillig verlassen, so die Polizei: Der Bezirk habe zugesichert, sich um Angebote für Unterkünfte zu kümmern. Bezirkssprecher Sascha Langenbach bestätigt das der taz am Telefon: Es seien Listen mit Anlaufstellen verteilt und die PolizistInnen angewiesen worden, die AnwohnerInnen darüber zu informieren. Gemeinsam mit den Sozialämtern aller Berliner Bezirke werde man sich um alternative Unterbringungsmöglichkeiten für die nun obdachlosen BrachenbewohnerInnen bemühen, ein Mitarbeiter des Bezirksamtes sei dafür vor Ort.

Foto eines Augenzeugen vor dem Eintreffen der Polizei

Doch denjenigen BewohnerInnen, die noch ratlos außerhalb der Polizeiabsperrungen darauf warten, ihre Habseligkeiten aus den Hütten zu holen, ist das neu. Immer nur höchstens zu zweit und von PolizistInnen begleitet werden sie zu ihren einstigen Behausungen durchgelassen. Nein, er wisse nichts von einem Hilfsangebot des Bezirks, sagt etwa Galip, ein 51-jähriger Rom aus Bulgarien, der Türkisch spricht. In Plastiktüten und einen fröhlich lila gepunkteten Einkaufsrolli haben seine Schwester und er ihre Besitztümer gepackt. Dann werden sie von PolizistInnen wieder vom Gelände geleitet.

Auch die wissen allerdings nichts davon, dass sie die obdachlos Gewordenen auf das Angebot des Bezirks aufmerksam machen sollen. Immerhin können sie an den Mitarbeiter des Bezirksamtes verweisen, der tatsächlich Adresslisten mit Anlaufstellen hat, sich aber mangels entsprechender Sprachkenntnisse mit den meisten BrachenbewohnerInnen nicht verständigen kann. Erst mithilfe einer Dolmetscherin gelingt es, Galip und anderen BewohnerInnen klarzumachen, dass sie sich – abhängig vom Anfangsbuchstaben ihres Nachnamens – bei den Sozialämtern der Bezirke melden sollen. Das gehe aber erst Montag, so der Bezirksamtsvertreter. Vorher, empfiehlt er der immer größer werdenden Gruppe bulgarischer Roma, die sich um ihn versammelt, sollten sie sich am besten an die Notunterkunft in der Franklinstraße wenden. Wo die genau ist, kann er nicht sagen.

Polizei sichert Absperrung

Nicht nur Galip und seine Freunde sind ratlos. „Schön“ sei das Leben auf der Brache gewesen, sagt der 51-Jährige, der seit einem Jahr dort gelebt und auf Baustellen gearbeitet hat. Wie es jetzt weitergehen soll, weiß er nicht. Er schiebt einen Freund nach vorne, der deutlich sichtbar ein schlecht verbundenes Loch im Kehlkopf hat. Er sei kürzlich operiert worden, erzählt der Bulgare mit kaum hörbarer Stimme. Wo er jetzt hinsoll, weiß er nicht: „Am liebsten möchte ich ins Krankenhaus zurück.“ Der Vertreter des Bezirksamtes empfiehlt, einen Notarztwagen zu rufen. Eine Unterstützerin kümmert sich um den Mann. „Hier haben auch Familien mit Kindern gelebt“, schimpft eine Frau an der Absperrung: „Fragen Sie mal, wo die jetzt hin sollen!“

Auf die Brache werden sie jedenfalls nicht mehr zurückkönnen. Zwar baut die Polizei am Nachmittag die Gitter ab, doch man werde vor Ort bleiben, bis der Eigentümer das Gelände selbstständig sichern könne, so die Sprecherin. Noch am Freitag wolle der mit Baggern kommen und die Hütten abreißen, meint einer der Wartenden. Nein, das solle erst am Montag geschehen, glaubt ein anderer.

Was dann mit dem Grundstück geschieht, weiß auch der Vertreter Friedrichshain-Kreuzbergs nicht: Das sei jedenfalls nicht Sache des Bezirks.

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4 Kommentare

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  • Jahrelang war es für jederman möglich, diese Brauche für ein stilles Sonnenbad, einen romantischen Abend am Wasser oder zum toben mit den Kindern zu nutzen....Bis eine Hand voll Menschen kam, und das Gelände okkupierte, mit dem Slogan: "Freiraum für alle". Schluß wars mit der freien Nutzung für die Anwohner und Gäste. Statt Freiraum für alle gab's frei Müll und Ratten für alle. Und nun wird das Gelände gesichert und steht bis zur Bebauung niemandem mehr zur Verfügung. Danke an die Okkupatnten.

    • Peter Müller , Autor*in ,
      @Oskar+-1:

      Egoistisch! Sie wollen ein Sonnenbad nehmen, und andere suchen ein Zuhause, was ist wohl wichtiger? Wo sollen diese Menschen denn hin, wenn alles Privatgelände ist, weil dem Kapital untergeordnet? Wir brauchen Freiraum für freie Menschen!

  • Also, dass das kein Ort war, um Kinder groß zu ziehen, hat sogar der Bezirksamt erkannt und gedroht, im Zweifel die Kinder aus den Familien zu nehmen, wenn sie länger dort bleiben. Insoweit dürften gleich 2 Probleme auf einmal vorläufig gelöst sein. Wo die Familien aber jetzt leben werden, ist damit natürlich nicht beantwortet. Es kann aber für die Kinder eigentlich nicht schlechter werden, wenn sie irgendeine Chance haben sollen, sich zu integrieren.

  • „Hier haben auch Familien mit Kindern gelebt“, schimpft eine Frau an der Absperrung: „Fragen Sie mal, wo die jetzt hin sollen!“

     

    Na hoffentlich nicht in eine innerstädtische Zeltsiedlung.