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Currywurstkrise bei VWDer letzte Wursthalm

Dass die Currywurst aus der VW-Kantine verschwinden sollte, entfachte eine halbe Identitätskrise. Über sehr deutsche Gefühle in der Vorweihnachtszeit.

Auslaufmodell Currywurst in der VW-Werkskantine Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Am liebsten stecken die Deutschen Fleisch in Fleisch. Dann erhitzen sie beides, bis alles zum Platzen gespannt ist und man nur noch reinpiksen muss, damit das warme Fett herausläuft. Diesen erhabenen Strom stumm zu bewundern ist Balsam für die Seele und den Volkskörper, ihn zu spüren und zu schmecken, nachdem man das Fleischstück in den offenen Mund geschoben hat, und der Sabber, so, wie die Deutschen das schätzen, seine Arbeit macht.

Etwas pikante Soße bringt die Höhle zum Leuchten, sorgt für die richtige Portion Exotik und für bessere Stimmung als die dunkle Beerdigungsmatsche, unter der die tote Mahlzeit sonst hervorlugt. Buntes Pulver zum Drüberstreuen bringt Grandezza ins Spiel, inmitten von Schmiere, Schweiß und Schlamm.

Das war, meine Damen und Herren, die Currywurst. Beim wohl deutschesten aller deutschen Unternehmen – nein, nicht „Barbarossa“, sondern Volkswagen – machen sie sogar ihre eigene. Mehr als sieben Millionen Volkswagen-Würste wurden 2015 verkauft, mehr als Volkswagen-Volkswagen. Zwei untergehende Industrien zu einer zusammengenäht, die dann bis auf die letzte Patrone gegen die Erfordernisse der Gegenwart verteidigt wird: auch das sehr, sehr deutsch.

Doch im Notfall darf es auch mal schnell gehen, wie Hausfrauen und -männer aus der ganzen Republik bestätigen können. Die Coronaepidemie löste die roten Snackgeschosse als Alltagsbegleitung ab, die man zuvor schon ab 8 Uhr morgens in den VW-Werkskantinen hatte verzehren können, seit März war Schluss damit.

„Currywurst ist kein Auslaufmodell“

Da die Würste bis dahin im gemeinsamen Wasserbad heiß gehalten wurden und sich die Mitarbeiter:innen mit einer Zange ihre Lieblingswurst händisch zu nehmen gepflegt hatten, wurde der Gewürzdildo fortan, hygienekonformer, vom Kantinenpersonal auf Teller geschaufelt und nur noch einmal pro Woche angeboten.

Das brachte die Gemüter in der Belegschaft gehörig zum Dampfen. Am kritischsten muss die Lage in Halle 54 gewesen sein, wo der VW Golf entsteht. Der Betriebsrat schritt ein, zumindest dort gibt es die Wurst jetzt wieder täglich in den Montagepausen, schreiben die Wolfsburger Nachrichten. Immerhin ein Hoffnungsschimmer in dieser dunklen Zeit. Der letzte Wursthalm.

Doch ein grundsätzlicherer Konflikt scheint hinter dem Currywurstbrodeln zu stehen. „Die Leitung der Gastronomie darf Corona nicht als Ausrede nehmen, um ihre modernen Ideen für den Speiseplan durchzudrücken“, lässt sich Betriebsrat Sebastiano Addamo in der Lokalzeitung zitieren. Welche das wohl sein mögen? Elektrowürste? Der Ein-Liter-Darm? Kleiner Scherz. Fest steht: Gedrückt werden sollen Würste, sonst nichts. „Currywurst ist kein Auslaufmodell“, erklärt sein Kollege Frank Paetzold staatsdarmend.

Natürlich taucht irgendwann das kleine Wörtchen „ist“ auf, wenn Kulturkämpfe ausgefochten werden. Currywurst ist SPD. Autoschrauben ist wichtig für den Standort Deutschland. Ein Betriebsrat ist dafür zuständig, für die kleinen Leute vom Band einzustehen. Fleisch zu essen ist bodenständig. Dass VW-Betriebsräte heute ihre eigenen Würste nicht mehr auf Korruptionskosten in Prostituierte stecken, ist immerhin ein Fortschritt.

Und ansonsten ist ja auch alles wie immer: An der Konzernspitze streiten sich die aktuell dominierenden Spielarten des Kapitalismus um die Vorherrschaft. Der schröderianische Betriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh steht faltig gegen den slicken, um supergrünen Anstrich bemühten Netzwerker-Konzernchef Herbert Diess. Sollte es zu blutig werden, muss der niedersächsische Ministerpräsident Weil oder ein äquivalenter SPD-Altmann ran und ein Machtwort sprechen. Wer jetzt in Hoppenstedt-Laune heiter fragt: „Läuft das Band?“, dem sei versichert: Es läuft. Und läuft und läuft und läuft.

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22 Kommentare

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  • "Dass VW-Betriebsräte (...) ihre eigenen Würste nicht mehr (...) in Prostituierte stecken, ist immerhin ein Fortschritt." Typisches taz-Niveau.

    Ich liebe Currywurst.

  • Ja, die Liebe zur Wurst ist ein wahrhaft deutsches Gefühl.



    Und das ist auch gut so, liebe Genossinnen und Genossen.

    (falls es mir erlaubt ist an dieser Stelle Klaus Wowereit zu zitieren. ;) )

  • Noch geht es wohl nicht, aber ich glaube da bin ich bei Veganern zu optimistisch.

  • So lernen wir den Autor besser kennen,



    er regt sich über Wurstesser auf, da ist eine maximale Anzahl von negativen Adjektiven wichtig. Ich finde es schon sinnvoll, wenn eine Kantine auf die Wünsche der Nutzer Rücksicht nimmt. Ich finde es auch erstrebenswert nicht zuviel Fleisch zu essen. Ich finde es aber auch wichtig eine eigene Wahl zu haben. Ich finde es deplaziert meine Ernährungsweise so negativ in einen negativen Kontext zu stellen.

    • @jogi19:

      Was ist mit dem Interesse der Tiere zu leben?



      Gesetzt Sie hätten einen Hund gehabt und Sie ärgerten sich öffentlich, dass ich ihn grillte, fände ich es negativ meine Ernährungsweise so zu deplazieren ...

      • @Uranus:

        Da vermischen Sie aber Eigentumsfragen (an einem Hund) mit Ernährungsfragen. Ihr Beispiel funktioniert daher auch mit Möhren aus Jogi19 sein Garten.

    • @jogi19:

      Ist die doppelte Negation nich die Bejahung.



      Ick weees!



      Natürlich ist eigene Wahl zu haben richtig.



      Unvorstellbar auf Thü.Bratwurst oder gar Roulade verzichten.



      Vier mal in der Woche geht ja auch!

    • @jogi19:

      Ach was!

      “ Ich finde es deplaziert meine Ernährungsweise so negativ in einen negativen Kontext zu stellen.“

      kurz - “ Ich finde es aber auch wichtig eine eigene Wahl zu haben.“



      Humor - wäre die Wahl der Stunde.



      Für im Ernst bleibt dann immer noch mehr als genug.



      Vor allem - wenn der bloß Willi sein ollen Mantel anhat.



      & - 😱 -



      Jogi60 sich wieder am Sack kratzt - 🤫 -



      Normal - 🎅🏻 - & 🌲 Ohwie lacht 🌲 -

  • Es gibt etwas, das ist viel schlimmer: Bockwurst. Oder noch schlimmer: Bockwurst verzehrende Rentner.

    Die halten das Ding (also die Bockwurst!) in der Hand, drehen dann den Schädel etwas schief um kurz darauf das Gesicht zu einer fürchterlichen Grimasse zu verziehen und endlich die Zähne in die Wurst zu schlagen.

    Spätestens jetzt ist sie am tötesten.

  • Currywurst! JAAAA wir alle lieben Currywurst *sing*

  • wie Recht er hat, wie Recht er hat.

    "der Sabber, so, wie die Deutschen das schätzen, seine Arbeit macht."

    ist genauso wie die

    "pikante Soße bringt die Höhle zum Leuchten, sorgt für die richtige Portion Exotik und für bessere Stimmung als die dunkle Beerdigungsmatsche, unter der die tote Mahlzeit sonst hervorlugt. Buntes Pulver zum Drüberstreuen bringt Grandezza ins Spiel, inmitten von Schmiere, Schweiß und Schlamm."

    ist übrigens rein pflanzlicher Natur.

  • Absolut genialer Text!

  • Liggers. “ Wer jetzt in Hoppenstedt-Laune heiter fragt: „Läuft das Band?“, dem sei versichert: Es läuft. Und läuft und läuft und läuft.“

    kurz - “Ich stand.



    Am Band.“

    unterm—so bleiben Kraft durch Freude & Die Entdeckung der Currywurst -



    “ eine ebenso groteske wie rührende, phantastische wie im konkreten Alltag verwurzelte Liebesgeschichte“ bis hück!

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    köstlich!

    (leider auch etwas erwartbar traurig, wie alles zu den themen schweinefleisch, autofahren, willkommenskultur und neuerdings auch selbstattestiertes horizontales, diagonales oder vielleicht vertikales "denken", hier in deutschland)

  • Vielleicht nimmt sich VW ja ein Beispiel an den Heinkel-Flugzeugwerken. Als das neue Werk Rostock 1935 gebaut wurde, hatte Ernst Heinkel vier Bauernhöfe gekauft die biodynamisch angebaute Lebensmittel für die Kantine geliefert haben. Dazu kam eine Gesundheitsabteilung die für die vorbeugende gesundheitliche Betreuung -der Beschäftigetn (Heinkel war ein Fan von Dr Kneipp) zuständig war. Allerdings, und hier liegen die anderen Parallelen zur Gegenwart, teilten wie in einer Biografie von Ernst Heinkel steht. nicht alle seine Beschäftigten seinen Enthusiasmus für Biodynamik und kaltes Wasser...

    • @Gerald Müller:

      Nur der Vollständigkeit halber Kamerad Müller!

      bei Wikipedia der Rest:

      (...) Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten 1933 wurde Heinkel Mitglied der NSDAP (...).



      => schön, den musste man nicht erst überzeugen.

      (...) mit einer Belegschaft von rund 50.000 Menschen, vorwiegend Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge (...)



      => Sehr löblich, dass hier auf gesunde Ernährung geachtet wurde. War sicher bei der Entnazifizierung hilfreich.

      • @rosengrob:

        Genosse Rosengrob, Sie haben mich nicht ganz verstanden,. Was ich sagen wollte war, dass wer andere zu ihrem Glück zwingen will, sich in guter Gesellschaft befindet. Und, 1935 hat noch niemand an Entnazifizierung gedacht

      • @rosengrob:

        Danke. & schmal half beim Einsteigen -



        de.wikipedia.org/wiki/Heinkel_Kabine



        & da erst - kastriertes Flugzeug - 🤫 -



        www.stuttgarter-ze....original1024.jpeg



        & Messerschmitt -



        www.stuttgarter-ze...-e1d3cb3d1027.html

        • @Lowandorder:

          Eigentlich cool, so eine kleine Karre. Ich hätte nur ständig Panik, dass da ein Bus über mich drüber fährt.

          Man sollte die trotzdem neu auflegen und elektrisch fahren lassen. Für die Stadt toll, da klein.

          • @Bunte Kuh:

            Jetzt stellen sie sich eine zweisitzige kleine Karre( Heinkel Kabine T 153) vor und ein Rentner mit Bockwurst neben ihnen.



            ;-)

          • @Bunte Kuh:

            Dann mal aus dem Skat.

            Diese Teile - alle geboren aus den Motoradführerscheinen - mit denen mann auch mehrbisvierrädrige bis 250 cmm fahren durfte. Isetta Janus Goggo & wie sie alle hießen - fanden wir auch dufte. Meist auf Motorradbasis (R 25/3!)



            Das kastrierte Flugzeug - ein 2-Takter!



            Mußtest nur Umschalten die Elektrik & Däh - hatteste 4 Rückwärtsgänge!*



            Du sassest allerdings in der Höhe der Achsen der LKW-Achsen & das in den 60ern bei zunehmendem Verkehr nicht ganz so prickelnd.



            Ähnliche - ala Seifenkiste e‘s gibts ja - 🥳

            unterm——-*



            Als mein Mitschüler selbiges - Umschalten!! - machte weil “die Bremsen gehen nicht!“ - war ich aber blitzschnell nicht mehr auf Achsenhöhe.



            &



            Als ich mit meiner Banknachbarin auf den Herrn Oberstupidiendirektor & sein Karre dieserhalb zu sprechen kamen:



            “Ach deswegen ist der vorm Mühlenteller plötzlich auf die Wiese gefahren! Weil vorne ein Stau war.



            Anyway. Spitzenklasse - & er Zündapp Westfälische Reihe - Janus



            www.google.de/sear...e-de&client=safari

            • @Lowandorder:

              Mittelmotor!!!!



              & Däh! Werbung - 😂 -



              “Kerzenwechsel auch bei Regen möglich“



              & Männer - Vorn! 🤫



              Die Damenwelt schaute regelmäßig nach hinten raus!



              => Westfälische Reihe