Crowdfunding-Kampagne für Supermarkt: Es geht nicht um große Gewinne

Bei SuperCoop im Wedding gibt es Biolebensmittel aus der Region zu günstigen Preisen. Der Laden ist zugleich ein Treffpunkt für vielfältige Menschen.

Eine Frau steht an einem Supermarktregal, ein Mann geht vorüber und verschwindet am rechten Bildrand

Foto: Miriam Klingl

BERLIN taz | Ein Supermarkt mit 900 Beschäftigten, die zugleich Kundschaft und Ei­gen­tü­me­r*in­nen sind – das ist die SuperCoop im Wedding. 350 weitere Mitglieder und 85.000 Euro für Investitionen ist das erklärte Ziel der schon Ende Mai begonnenen Crowdfunding-Kampagne bei Startnext. „Uns geht es nicht um große Gewinne – nur dauerhaft stabil soll das Unternehmen werden“, sagt der ehrenamtliche Aufsichtsratschef Claus Huth.

Morgens um acht beginnt die Arbeit in dem knapp 800 Quadratmeter großen Laden in den Osramhöfen. Das heutige Früh-Team trifft sich zum ersten Mal in dieser Zusammensetzung. Jemand hat schwungvolle Musik aufgelegt und alle suchen ihre Namensschilder aus dem Zettelkasten. In den beiden Kühlräumen stehen Rollwagen, auf denen die Abendschicht Gemüse- und Obstkisten gestapelt hat. Eine Liste an der Tür informiert, welche Sorten welche Lagertemperatur benötigen. Während sich die Verkaufsfläche nach und nach füllt, ist die Gruppe längst ins Gespräch gekommen.

Um neun wird die Vordertür aufgeschlossen. Für Jong Sook Hwang ist es eine Premiere, an der Kasse zu stehen. Verpacktes muss sie einfach nur über den Scanner ziehen, bei losen Produkten das Bild mit der entsprechenden Warengruppe wählen und dann Jonagold, Kohlrabi oder Sonnenblumenkerne antippen. 4.000 Angebote gibt es – neben Lebensmitteln auch Saatgut, Seife, Klopapier und vieles mehr.

Weil Jong Sook nicht weiß, wie sie die zurückgegebene Pfandflasche verbuchen soll, wechselt eine Kundin kurz mal die Rolle. Bezahlt wird immer mit Karte. Die Wartenden nutzen die Zeit für ein Schwätzchen oder studieren die Waren im vermieteten Regal gegenüber der Kasse. Dort gibt es Handpüppchen, Postkarten und einen Komposter aus Ton – alles Angebote von Kleinunternehmen.

So viel wie möglich aus der Nähe

Drei Stunden im Monat müssen alle Mitglieder arbeiten, die auch einkaufen wollen. Manche kommen regelmäßig zu bestimmten Schichten, andere suchen sich einen Termin, an dem es gerade passt. Ein Onlineportal macht Organisation und Kommunikation einfach. Wer mehrmals fehlt, wird „eingefroren.“

Jong Sook Hwang findet den Genossenschaftsladen vor allem praktisch, weil sie um die Ecke wohnt. „Gemüse, Reis und Olivenöl sind hier sehr gut und günstig“, sagt die 69-Jährige. Die Preise sind krumm, aber klar: Bei Haltbarem beträgt die Marge 26 Prozent, bei Frischem 30 Prozent. Im Schnitt ist alles 20 Prozent billiger als bei den Bioketten.

So viel wie möglich stammt aus der Nähe. Der Berliner Betrieb Speisegut liefert bestes Gemüse der Saison aus Alt-Gatow und verdient ohne Zwischenhandel deutlich mehr, als bei den großen Ladenketten zu holen wäre. Zugleich können sich die SuperCoop-Mitglieder über üppige Bio-Salatköpfe für 1,53 Euro freuen.

„Wir möchten ein Vertrauensverhältnis zu den Produzenten aufbauen und sie unterstützen“, benennt Einkäuferin Eugénie Wateau einen Grundsatz der SuperCoop. Die meisten der 50 Lieferanten sind klein wie Roots Radical, die in Friedrichshain pikante Soßen aus geretteten Lebensmitteln herstellen. „Aber natürlich müssen wir auch Kompromisse eingehen“, gesteht die 32-Jährige.

Ein paar Massenprodukte gibt es auch

Viel Ware liefert auch der Berliner Bio-Großhändler Terra, und da lässt sich trotz Nachfragen nicht immer herausfinden, woher etwas stammt. Ein paar Massenprodukte gibt es auch in konventioneller Qualität, sodass ein Pfund Nudeln auch schon für 93 Cent zu haben ist.

„Die SuperCoop macht es mir leicht, gute Lebensmittel einzukaufen, weil sich hier Menschen ernsthaft mit den Produktionsbedingungen beschäftigen“, sagt Nilu Deupmann, seit eineinhalb Jahren dabei. Wichtig ist vielen auch die Möglichkeit, Leute zu treffen, die sie sonst nie kennengelernt hätten. „Es herrscht eine Atmosphäre des Vertrauens – auch wenn man sich noch nicht kennt, ist man doch irgendwie verbunden“, beschreibt Katrin Park ihr Gefühl. Obwohl sie mit dem Rad eine Viertelstunde in die Oudenarderstraße braucht, kommt die Mutter eines kleinen Kinds regelmäßig vorbei.

Fünf Angestellte hat der Laden, alles andere übernehmen die Mitglieder. Aufsichtsrat Huth gerät ins Schwärmen, wenn er von der SuperCoop spricht: „Dass das hier so gut funk­tioniert ist fantastisch und für mich in dieser ­Größenordnung einzigartig.“ Der ­Jurist führt das vor allem auf den Mut der vier Vorstandsfrauen zurück. ­Obwohl es ja durchaus um große ­Summen geht und sie im Falle eines Scheiterns haftbar ­wären, haben sie von Anfang an Verantwortung abgegeben.

Fünf Angestellte hat der Laden, alles andere übernehmen die Mitglieder

Eugénie Wateau mit der Mitgliedsnummer eins lacht: „Wir waren sehr naiv, was es bedeutet, einen Supermarkt aufzubauen und zu betreiben.“ Ihr nicht gerade üppiges Gehalt und sämtliche anderen Wirtschaftsdaten sind für alle transparent, die Mitgestaltungsmöglichkeiten groß.

Dankeschön-Geschenke für Spen­de­r*in­nen

Und so arbeiten viele mehr als die drei Pflichtstunden im Monat. Zum ­Beispiel Andreas Guba, der professionell mit Crowdfunding zu tun hat. Jetzt in der heißen Kampagnenphase engagiert er sich etwa zehn Stunden pro Woche: Ein Video muss gedreht, Dankeschön-Geschenke für Spen­de­r*in­nen ­organisiert werden. Mit dem frischen Geld sollen neue Produktgruppen wie Spielzeug aufgenommen, das Unverpackt-­Angebot ausgeweitet und die Café-Ecke neu gestaltet werden. „Das wird schon gut“, ist der 56-Jährige überzeugt und ordnet noch schnell den neuen Klamotten-Verschenk-Schrank, für den er die Verantwortung übernommen hat.

Einmal pro Woche gibt es ein Willkommenstreffen für Interessierte und Neue. Das leitet heute Vicky Eckert, die im Rollstuhl sitzt. Sechs Leute haben im Büro Platz genommen. Mehrere sind durch Bekannte auf die SuperCoop aufmerksam geworden, eine Frau hat im Internet gezielt gesucht, einen Mann haben die Fahnen mit den lachenden Rüben neugierig gemacht.

Der Beamer steht auf einem Eimer, Eckert klickt durch die Präsentation. „Wir wollen respektvoll miteinander umgehen. Ist ja klar, Rassismus und so was hat hier keinen Platz“, sagt die 29-Jährige. Sie erzählt von der Generalversammlung, wo die Grundsatzentscheidungen fallen und von den 18 Arbeitsgruppen, die sich um Mitgliederbetreuung, Events, Käse, Datenschutz oder die Website kümmern.

Übergabe an die Spätschicht: Acht Leute stehen im Kreis. Was wurde geschafft, was ist noch zu tun? Um 20 Uhr schließt jemand das Eingangstor zu. Das Gemüse verschwindet in den Kühlräumen, und jetzt muss noch der ganze Laden geputzt werden. Mit Musik und einem Schwätzchen zwischendurch kann auch das richtig Spaß machen.

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