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Crashkurs GrundgesetzDas passiert, wenn die SPD Nein sagt

Lehnen die SPD-Mitglieder die Groko ab, beginnt am Sonntag ein komplizierter Prozess. Neuwahlen sind dann möglich – aber nicht zwingend vorgeschrieben.

Nicht ganz einfach: Der Weg zu Neuwahlen, falls die SPD nicht mit Angela Merkel regieren will Foto: rtr

Berlin taz | Das Ende naht: In der Nacht zu Sonntag zählen Freiwillige in der SPD-Zentrale die Stimmzettel des Mitgliederentscheids zur Großen Koalition aus. Am Vormittag verkündet die Parteispitze dann voraussichtlich das Ergebnis. Hat die Mehrheit der SPD-Mitglieder dem Koalitionsvertrag zugestimmt, könnte danach alles ganz schnell gehen – der Bundespräsident schlägt Angela Merkel als Kanzlerin vor, der Bundestag wählt sie womöglich schon in seiner nächsten Sitzung am 12. März erneut zur Regierungschefin. Haben die SPD-Mitglieder dagegen mit Nein gestimmt, beginnt ein komplizierter Prozess.

Gibt es dann Neuwahlen?

Nein, zumindest nicht sofort. Der Ball liegt in diesem Fall erst mal beim Bundespräsidenten. Frank-Walter Steinmeier kann noch einmal die Vorsitzenden der verschiedenen Parteien ins Schloss Bellevue laden und ausloten, ob diese doch noch irgendwie eine Koalition bilden könnten. Wenn das nicht klappt, muss er dem Bundestag trotzdem einen Kandidaten oder eine Kandidatin für die Kanzlerwahl vorschlagen. Eine Frist schreibt das Grundgesetz dafür nicht vor, wahrscheinlich wird Steinmeier aber nicht lange warten und dem Bundestag trotz allem vorschlagen, wieder Merkel zu wählen.

Und wenn Merkel im Bundestag keine Mehrheit bekommt? Gibt es dann Neuwahlen?

Nein, zumindest nicht sofort. Bekommt Merkel im ersten Wahlgang keine absolute Mehrheit, bekommt sie also nur die Hälfte der Stimmen oder weniger, beginnt die zweite Wahlphase. Sie dauert 14 Tage. In dieser Zeit darf das Parlament beliebig viele Wahlgänge durchführen – mit Kandidaten, die es selber vorschlägt. Wer als erster eine absolute Mehrheit bekommt, wird Kanzler.

Und wenn auch dann niemand eine absolute Mehrheit bekommt? Gibt es dann Neuwahlen?

Nein, zumindest nicht sofort. Erst steht der letzte Wahlgang an. Der Bundestag darf die Kandidaten wieder selbst bestimmen. Bekommt Merkel oder jemand anderes jetzt die absolute Mehrheit, ist die Sache gelaufen – der Bundespräsident muss die Person binnen sieben Tagen zum Kanzler ernennen. Ansonsten wird die Sache noch ein bisschen komplizierter.

Wieso? Gibt es dann immer noch keine Neuwahlen?

Nein, zumindest nicht unbedingt. Erst ist wieder der Bundespräsident am Zug. Bekommt zum Beispiel Merkel im letzten Wahlgang eine relative Mehrheit – mehr Stimmen als alle anderen Kandidaten, aber auch nicht mehr als 50 Prozent der Stimmen – hat Steinmeier sieben Tage Bedenkzeit. Dann kann er entweder den Bundestag auflösen. In dem Fall gibt es innerhalb von 60 Tagen Neuwahlen (voraussichtlich Ende Mai oder Anfang Juni). Oder er kann Merkel trotz allem zur Kanzlerin ernennen. Dann regiert sie mit einer Minderheitsregierung.

Und dann gibt es keine Neuwahlen?

So definitiv kann man das nicht sagen. Möchte Merkel nicht ohne Parlamentsmehrheit regieren, kann sie sofort oder nach einigen Monaten die Vertrauensfrage stellen. Spricht ihr dann nur eine Minderheit der Abgeordneten das Vertrauen aus (also zum Beispiel nur die Unionsfraktion, sonst aber niemand), kann sie dem Bundespräsidenten vorschlagen, den Bundestag aufzulösen.

Und dann gibt es Neuwahlen?

Nein, zumindest nicht unbedingt. Steinmeier darf dann noch mal drei Wochen überlegen. Anschließend kann er den Vorschlag annehmen, das Parlament auflösen und das Volk wiederum binnen 60 Tagen einen neuen Bundestag wählen lassen. Er kann den Vorschlag aber auch ablehnen. Und dann gibt es eben keine Neuwahlen.

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8 Kommentare

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  • “Zweidrittelmehrheit“ = 52 Prozent der m/w SPD-Mitglieder!

     

    Die historische Spaltung der SPD am 4. März 2018 !

     

    Die ungeschminkte Spaltung der SPD im Ergebnis des Votum vom März 2018:

     

    Von 464 Tausend m/w Parteimitglieder entschieden rund 240 Tausend Mitglieder für die Fortsetzung der GroKo.

     

    Etwa 223 Tausend Parteimitglieder stimmten gegen die Fortsetzung oder beteiligten sich aus unterschiedlichen Gründen nicht am Mitgliedervotum.

     

    Demnach liegt der Anteil für die Zustimmung und Fortsetzung der GroKo-Regierung, mit den anderen GroKo-Kapitalparteien, bezogen auf die gesamte SPD-Mitgliedschaft, bei knapp 52 Prozent der SPD-Parteibasis!

     

    Gleichsam konnten 48 Prozent der SPD- Basis nicht für den rechten gesellschafts- und kapitalpolitischen Kurs der SPD-Parteiführung erreicht werden!

     

    4.3.2018: R.S.

  • Wass passiert? Vielleicht kehrt man doch wieder zu Ehre und Anstand in der Politik zurück. Dass die Wahlverlierer den Hut nehmen und mit neuem Personal neu aufgesetzt wird. Und jeder mit jedem ohne Vorbehalt redet. Sachbezogen!

  • Es ist doch eigentlich jeder Bürgerin und jedem Bürger seit vielen Jahren in unserem Land längst klar, dass es so etwas von schnurz piep egal oder Jacke wie Hose ist, ob sich die sozialen Demokratinnen und Demokraten nun für oder gegen die ganz neue Zusammenarbeit in der Regierung mit den beiden christlichen Parteien entscheiden.

     

    Die sich täglich potenzierenden Probleme im Leben der Armen, Schwachen, Kranken, Alten und der anderen unserer Hilfe bedürftigen Gruppen in unserem Land werden dadurch wohl nicht weniger werden, war doch für die "Volksparteien" genug Zeit in der Vergangenheit sich den gemeinnützigen Interessen der Bevölkerung zu widmen.

     

    Aus meiner Sicht der Dinge ist das erträgliche Maß der Zeitverschwendung, durch endlose politischen Analysen, Reportagen, Talk Shows, Spekulationen, Kolumnen und Diskussionen von mehr oder weniger prominenten Meinungsverkünderinnen und Verkündern, die sich gerne an sozialen Themen die Hände wärmen überschritten.

     

    Vielleicht ist es nunmehr aller höchste Zeit der Wende, den im Parlament des Bundestages vertretenen "Volksparteien" der Berliner Republik, ein stützendes demokratisches Stützkorsett in Form und Gestalt einer demokratischen "zweiten Kammer", eines außerparlamentarischen, Parteien unabhängigen, gemeinnützigen Bundes Bürger Senat z.B. in der Umwelt-, Sozial-, Arbeits-, Kultur- und Bildungspolitik an die Seite zu stellen um ALLEN gemeinnützigen Initiativen der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land Sitz, Stimme und Gehör für die uns wirklich und wahrhaftig auf der Seele knieenden und am Herzen liegenden Probleme in der Art und Weise eines Lobby Verbund zu geben.

     

    Die unseren politischen und menschlichen Wunsch nach sozialer Veränderung und Weiterentwicklung unserer Demokratie lähmende falsche Grundeinstellung, dass Mann und Frau ja doch nichts ändern können ist einfach nicht wahr und wir sollten uns auch nicht mehr weiter, von Nichts und Niemanden an der Nase herum, hinters Licht führen oder manipulieren lassen.

  • Danke für den Artikel, den ich mir allerdings einige Wochen vorher gewünscht hätte! Aber da musste den SPD-Mitgliedern ja noch Angst vor Neuwahlen gemacht werden.

  • Die SPD sagt JA! [3.3.2018]

     

    Im Ergebnis: Mehrheit für Fortsetzung der hündischen SPD-GroKo!

     

    Von den rund 463 Tausend Parteimitglieder der Spezial-Sozialdemokratischen Partei sind rund 43 Prozent m/w Pensionäre, Beamte und Angestellte aus dem Staatsdienst. Eine Mehrheit gehört zur Mitgliedschaft der rechtssozialdemokratisch okkupierten DGB-Gewerkschaften. Zehntausende teilen sich hauptamtliche Funktionen in den privaten Betrieben, Konzernen, Partei- und Gewerkschaftsstiftungen, öffentlich-rechtlichen und privaten Medien und DGB-Zentralen und Landesverbänden. Tausende in politischen Funktionen auf Bundes-, Landes-, Kreis- und Stadtebene.

     

    Vor allem hieraus schöpft die jeweilige Landesebene, ebenso wie die Bundesführung der SPD, ihre gesellschaftspolitische Basis und die im Voraus bereits anvisierte Zustimmung. Diese Funktionsebenen sind zugleich von der jeweiligen Einbindung in die Landespolitik der Länderparlamente und darüber hinaus, von der Beteiligung, der rechtssozialdemokratischen Führungsebene, an zentraler Stelle von ihrer Einbindung in die Bundespolitik, Ministerien und staatlichen Behörden abhängig.

     

    Der heutige Anteil aus der differenzierten m/w Arbeiterschaft liegt in der Mitgliedschaft bei 16 Prozent, und damit weit unterhalb des Erwerbsanteils der Bevölkerung. Ebenso stellen die Frauen mit 33 Prozent und die Jugend, zwischen 14 und 30 Jahren, nur eine kleine Minderheit in der SPD. Mehr als die Hälfte der Parteimitglieder sind bereits über 60 Lebensjahre.

     

    Die Mitgliedschaft außerhalb des Staatsdienstes und der gewerkschaftlichen m/w Funktionsträger wird sich erfahrungsgemäß nur im geringeren Umfang an einer Abstimmung beteiligen. Damit ist das Feld für ein weiter so, der rechtssozialdemokratischen SPD-Führung, wohl bestellt.

     

    Das BDA-BDI-Kapitalinteresse bestimmt bereits die Richtung der rechts-sozialdemokratischen Basis und Führung!

  • Minderheitsregierung hatten wir noch nie, oder?

  • Für diesen Fall "Und wenn auch dann niemand eine absolute Mehrheit bekommt? "

    Dann "regiert eine Minderheitsregierung" genau so wenig, wie bisher. Und sollten doch einige verbliebene kluge Köpfe einen Vorschlag für eine Regelung, z.B. gesunde Luft, Bedingungsloses Grundeinkommen, Bestätigung des aktuellen Grundgesetzes, z.B. Artikel 4 Glaubens- und Gewissensfreiheit, Grundrecht auf Wohnung und Ernährung,

    sowie eine sehr gute humanistische Bildung, damit wir begreifen warum die Griechen die Demokratie erfunden und die Gleichberechtigung von Mann und Frau begründet haben? Von denen stammt auch die Ehe, zum Zeugen legitimer Nachkommen (Perikles 451 v.Chr.)

    Oder was es bedeutet: "Prinzipien der Pflege des Lebens d.h. Bewahrung des Lebens durch Folge der Natur! (ZHUANGZI 369-286 v.Chr.)

    Auf jeden Fall käme es im Deutschen Bundestag zu ausgiebigen Aussprachen über Gesetzes Empfehlungen und wir könnten kritisch beobachten und erkennen, welche Qualifikationen wir gewählt haben. Sind das wirklich die "Besten"? oder nur Demagogen?

    Denn Republik (lat. res publica d.h. öffentliche Sache) und Demokratie (griech. demos Volk kratein herrschen) setzt diese Qualifikation voraus: „Denn in den Demokratien, wo es nach dem Gesetze zugeht, ist kein Aufkommen für die Demagogen, weil daselbst die Besten aus den Bürgern die Stimmführer sind.“

    (Aristoteles Politik, 4. Buch. 4. Kapitel 1291b30 ff)

  • "...voraussichtlich Ende Mai oder Anfang Juni..."

    Wenn dann im Juni das Wahlergebnis feststeht, kommen noch einmal Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen, so dass dieses Land wohl nach einem Jahr eventuell eine neue Regierung hat. Ganz großes Kino!