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Coronazahlen in DeutschlandPause beim Anstieg

Die Corona-Infektionszahlen erhöhen sich in Deutschland gerade nicht mehr. Wie das kommt und ob es dabei bleibt, ist aber unklar.

Flughafen Frankfurt: Reisen hatte wohl einen Einfluss auf den Anstieg Foto: Lu Yang/imago

Der Blick auf die Zahl der Corona-Neuinfektionen, die innerhalb von 24 Stunden beim Robert-Koch-Institut (RKI) gemeldet worden sind, gibt derzeit weniger Anlass zur Sorge als zuvor: Nachdem der Wert zwei Monate lang kontinuierlich gestiegen war, und zwar teilweise um 60 Prozent innerhalb einer Woche, gibt es seit einigen Tagen einen stagnierenden bis leicht rückläufigen Trend. Die 7-Tage-Inzidenz pendelt seit über zwei Wochen zwischen 80 und 90. Und auf den Intensivstationen steigt die Zahl der Covid-Patient*innen zwar weiter, aber das Wachstum wird deutlich langsamer.

Auf die Frage, wie diese Trendwende zustande kommt, gibt es keine klare Antwort. „Ich weiß es auch nicht“, sagt etwa Dirk Brockmann, der als Physiker an der Berliner Humboldt-Universität und am RKI die Ausbreitung von Infektionskrankheiten modelliert. Es gebe viele Faktoren, die die Entwicklung der Corona-Infektionen beeinflussten, so Brockmann – etwa das Ende der Urlaubszeit, die steigende Impfquote, das Wetter und die persönliche Risikowahrnehmung der Menschen.

„Aber es ist nicht wirklich nachzuweisen, welcher sich gerade wie auswirkt.“ Wenn man sich die Langfristszenarien anschaut, die das RKI im Juli veröffentlicht hatte, verwundert zudem weniger der jetzige Rückgang als der vorherige starke Anstieg. Denn der war in den Modellen erst von Oktober bis Dezember erwartet worden, wenn kältere Temperaturen und mehr Aufenthalt in geschlossenen Räumen das Risiko erhöhen.

Beim Impfen geht noch einiges

Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitsexperte, geht anhand von Beobachtungen in seinem Wahlkreis Leverkusen davon aus, dass die Reisesaison einen großen Anteil am bisherigen Anstieg hatte. Auch die Statistik des RKI zeigt, dass im August rund ein Viertel der Infektionen im Ausland erfolgte. Neben klassischen Urlaubsländern wie Italien und Spanien tauchen auf der Liste der Herkunftsländer auch viele Balkanstaaten auf, bei denen Familienbesuche von Mi­gran­t*in­nen im Mittelpunkt stehen dürften. Das habe eine „Welle losgetreten“, die jetzt auslaufe, meint Lauterbach. Ein Grund zur Entwarnung sei das aber nicht, so der Mediziner: „Ich fürchte, das ist eine Zwischensituation, bevor im Oktober oder November die eigentliche Belastung kommt.“

Sicher sind sich die Ex­per­t*in­nen dagegen, wie ein erneuter Anstieg der Zahlen zu verhindern wäre: durch eine deutlich höhere Impfquote. Die liegt in Deutschland mittlerweile niedriger als in vielen anderen europäischen Ländern: Mindestens einmal geimpft waren am Mittwoch genau zwei Drittel der Gesamtbevölkerung und drei Viertel der derzeit impfbaren Menschen ab 12 Jahre. Die Sonderimpfaktionen, die in dieser Woche stattfinden sollen, haben das Impftempo bisher nicht gesteigert; die Zahl der täglichen Erstimpfungen sank im 7-Tage-Mittel stattdessen auf unter 70.000 pro Tag – den tiefsten Stand seit Mitte Februar.

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4 Kommentare

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  • So lange man keine repräsentative Antikörperstudie hat und weiter nur mit dem als genesen bekannten (da mittels PCR-Test festgestellt) Anteil rechnet, hat man keine Chance herauszufinden, wieso die jetzige Welle bei gleichbleibenden Maßnahmen wieder von selbst zurückgeht.

    Das wäre übrigens auch bei der Alpha-Welle so gewesen, auch da war die Abschwächung bereits vor dem Oster-Lockdown sichtbar.

    Damals gab es allerdings noch die Argumentation, dass zu wenig Impfstoff vorhanden ist und man jedem die Impfung ermöglichen möchte.

    Momentan gibt es keine für mich validen Argumente mehr, die gegen eine Komplettöffnung sprechen.

    Bei abflachender Welle könnten nun Maßnahmen nach und nach zurückgenommen werden, ohne Gefahr zu laufen, gleich wieder einen steilen Anstieg zu provozieren.

    Je länger man mit Öffnungen wartet, um so unwahrscheinlicher wird es, dass man sie über den Winter erhalten kann, da mehr ungeschützte Personen verbleiben. Weiterhin kann man davon ausgehen, dass eine Erkrankung im Winter durchschnittlich schwerer verläuft als jetzt im Spätsommer/Frühherbst.

    Und eins ist sicher: Was jetzt nicht kommt, kommt im Winter.

  • 3G
    32533 (Profil gelöscht)

    Was das Unklare angeht: manches zwischen Himmel und Erde ist unklar. Und das ist gut so.

    Wie würde ein Leben ohne Unklarheiten und Geheimnisse aussehen? Trotz aller Fantasie wage ich es nicht, mir dies vorzustellen. In solch einem Zustand wollte ich nicht mein Leben verbringen. Vollständige Klarheit geht nur mit vollständiger Überwachung und vollständiger Kontrolle. Bei gleichzeitigem Ausschalten von Eigensinn, Fantasie, Kreativität.

    Zu diesem Thema existiert bereits Weltliteratur vom Allerfeinsten. Etwa Aldous Huxleys 'Schöne neue Welt'. Gruselig als realer Entwurf.

    Kann so jemand leben wollen, der den Begriff 'Freiheit' Ernst nimmt?

    Post scriptum: Thema ist das, was Du daraus machst. Oder wollen wir in zehn Jahren noch den gesellschaftlichen Diskurs von den Herren Spahn, Lauterbach, Wieler & Friends bestimmen lassen?

    • @32533 (Profil gelöscht):

      > Wie würde ein Leben ohne Unklarheiten und Geheimnisse aussehen?

      Es geht ja hier um die Realisierung wesentlicher Fakten und Vermeiden unnötiger Unklarheiten.

      Ich habe hier ein schönes Bild für Sie, wie das aussieht, wo man hin kommt wenn man Klarheit verfolgt:

      1.bp.blogspot.com/...1600/Earthrise.png

      Ohne Wissenschaft und die Nutzung exakter Erkenntnisse sind solche Reisen nicht möglich.

      Und die Figur, dass es dann oder irgendwann keine Unklarheiten und Geheimnisse gäbe, ist sowieso nicht schlüssig - jede neue Erkenntnis schafft nicht nur neues Staunen, sondern auch neue Fragen.

    • @32533 (Profil gelöscht):

      "Oder wollen wir in zehn Jahren noch den gesellschaftlichen Diskurs von den Herren Spahn, Lauterbach, Wieler & Friends bestimmen lassen?"

      Wieso? Sobald eine ausreichend hohe Impfung oder erstmalige Durchseuchung bei einem Großteil durch ist, wird keiner mehr auf die Zahlen schauen, auch Herr Lauterbach nicht. Opportunisten wie Spahn drehen ihre Fahne sowieso schneller in den Wind, als das der sich drehen kann, da besteht keine Gefahr. Die Aufgabe von Herrn Wieler ist das Warnen, wird es auch immer bleiben, das ist Teil der Berufsbeschreibung.



      Es geht doch jetzt darum, die Krankenhäuser nicht wieder zu überlasten, damit nebenher auch ein Motorradunfall noch behandelt werden kann... Bei der jetzigen Impfquote klappt das noch nicht, bleibt nur gebremstes Durchseuchen übrig. Aber die Suppe löffeln wir alle aus.



      Impfquote hoch oder abwarten bis die Durchseuchung die gleichzeitig möglichen schweren Verläufe so unwahrscheinlich macht, das die KH`s damit zurecht kommen. Von Ausrottung träumt wohl mittlerweile niemand mehr.



      Dieses Land schaut so sehr auf Befindlichkeiten, dass es extrem schwierig ist irgendeine Art von Lösung zu finden. Der Preis ist halt das bei uns alles viel länger dauert, inkl. Corona.