Coronamaßnahmen in China: Null-Covid-Politik dreht durch
In China sollen Touristen in Xinjiang arbeiten und Passanten ohne „grünen Code“ landen im Isolationszelt. Es wird immer absurder.
Was von den Propagandamedien als wirtschaftlich smarte Maßnahme publiziert wurde, ließ selbst den stoisch erprobten Chinesen den Kragen platzen: „Die Wahrheit ist, dass wir unser Hotelzimmer, das wir weiterhin selbst bezahlen müssen, nicht einmal verlassen dürfen“, beschwert sich ein User auf Weibo. Ein anderer meint: „Wer zum Teufel hat sich nur diesen Plan ausgedacht?“
Nur eine Woche vor dem historischen 20. Parteikongress in Peking droht die Coronalage in China erneut außer Kontrolle zu geraten. Die täglichen Infektionszahlen liegen auf dem höchsten Niveau seit über drei Monaten. Zwar sind sie im internationalen Vergleich mit etwas über 1.000 pro Tag geradezu verschwindend niedrig. Doch da die Volksrepublik weiterhin an der Null-Covid-Strategie festhält, schickt jede einzelne Infektion zehntausende Menschen in Zwangsquarantäne.
In Schanghai droht sich der zweimonatige Lockdown vom Frühjahr nun zu wiederholen. Derzeit sind es zwar bislang nur einzelne Viertel, die von Gesundheitspersonal mit grünen Gittern umzäunt werden. Doch die Situation eskaliert.
Lockdown im Hotel
Der Brite Peter Lee erfuhr kürzlich während der Mittagspause, dass seine Wohnanlage in einen 48-stündigen Lockdown versetzt werde. Da er sich gerade in einem Restaurant befand, entschied sich der Expat kurzerhand, für zwei Nächte in ein benachbartes Hotel zu ziehen. Wie Lee auf Twitter schildert, wurde wenige Stunden später auch das Hotel nach einem positiven Coronafall abgeriegelt. Jetzt sitzt er dort für sieben Tage fest.
Viele der immer strengeren Coronamaßnahmen entfernen sich auf geradezu absurde Weise von jeder wissenschaftlichen Grundlage. In Schanghai und in Peking lassen sich beispielsweise seit einigen Wochen „temporäre Quarantäneecken“ im öffentlichen Raum beobachten. Das sind kleine Einpersonenzelte, um Passanten in U-Bahn-Stationen oder an Straßenkreuzungen, die keinen „grünen Gesundheitscode“ auf ihrem Smartphone vorweisen können, kurzerhand festzusetzen. Dort müssen die Leute dann entweder auf ihren negativen PCR-Test warten – oder auf den Quarantänebus, der sie in zentralisierte Isolationslager bringt.
In China kann sich jeder mit der Angst identifizieren, dass auf dem digitalen Gesundheitszertifikat plötzlich ein „Pop-up“ auftaucht. Das bedeutet: Man wurde als möglicher Kontakt eines Corona-Infizierten identifiziert. Dann ist man von einer Minute auf die andere vollkommen vom öffentlichen Leben abgeschnitten, kann nicht einmal mehr den Supermarkt um die Ecke besuchen.
Das örtliche Nachbarschaftskomitee entscheidet dann, wie weiter vorgegangen wird: in fast allen Fällen sieben Tage Heimquarantäne. Auf der Online-Plattform Weibo haben sich die kritischen Diskussionen über den scheinbar willkürlichen Gesundheitscode derart gehäuft, dass die Zensoren sämtliche Diskussionen löschen, ja selbst Suchanfragen darüber mittlerweile ins Leere laufen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus