Strenges Null-Covid-Regime in China: Neue Chinesische Mauer

In China herrscht eine strenge Zero-Covid-Politik. Das heißt: täglich testen und Sensoren vor der Haustür zur Messung der Körpertemperatur.

Innenraum eines chinesischen Flugzeugs mit einer Stewardess im Seuchenschutzanzug

Radikal steriles Fliegen: Stewardessen in Seuchenschutzanzügen Foto: Fabian Kretschmer

AUS PEKING taz | Während der Ming-Dynastie wurde die Chinesische Mauer errichtet, um ausländische Invasoren vom Reich der Mitte fernzuhalten. Seit Beginn der Pandemie ist die Volksrepublik China erneut zur Festung geworden: die vielleicht letzte „Null Covid“-Bastion der Welt.

Als ich die Gangway zur Boeing 737 betrete, verlasse ich endgültig jene „Leben mit dem Virus“-Realität, wie ich sie in den vergangenen Wochen in Deutschland schätzen gelernt habe; eine nahezu postpandemische Wirklichkeit, in der die Leute am Wochenende wieder in Fußballstadien gehen und über die Sommerferien in den Strandurlaub fahren.

Nun beginnt meine Odyssee zurück nach China. Hier sehen die Stewardessen aus wie Marsmenschen, deren weiße Seuchenschutzanzüge ihre Körper vom Haaransatz bis zu den Fingerspitzen be­decken. Sie laufen durch den Flieger mit riesigen Desinfektionssprays, die wie Flammenwerfer um ihre Hüften geschnallt sind.

Der Kontrast zwischen den zwei Welten könnte größer nicht sein: Erstmals seit Ausbruch der Pandemie habe ich diesen Sommer meine Berliner Heimat besucht. Ich war auf Familienfeiern, habe in Redaktionskonferenzen debattiert und in lärmenden Eckkneipen alte Schulfreunde wiedergetroffen. In Peking hingegen stand ich täglich für PCR-Tests an und habe aus Angst vor einem drohenden Lockdown Reis, Pumpernickel und Tomatendosen gehortet.

Coronadiktatur in echt

Während sich die Deutschen leidenschaftlich über die Maskenpflicht in der Bahn beschweren, stand vor meiner Wohnung rund um die Uhr ein Mann in schwarzer Uniform und roter Binde, der den Gesundheitscode auf meinem Smartphone verlangt hat. In Deutschland mögen einige Verklärte von einer angeblichen Coronadiktatur faseln. Ich habe sie tatsächlich erlebt.

Die Volksrepublik China, wie viele Ausländer derzeit, zu verlassen, ist tatsächlich kein Problem. Doch zurückzukehren bringt selbst den härtesten Stoi­ker an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. Man fühlt sich wie die Comicfigur Asterix, die im „Haus der Verrückten“ verzweifelt den „Passierschein A38“ besorgen möchte: Dutzende bürokratische Hürden müssen überwunden werden, jede einzelne mutet an wie der Aufstieg zum Mount Everest.

Die erste Herausforderung ist das Ticket. Nach wie vor hat die Volksrepublik China ihre internationalen Flugverbindungen um über 95 Prozent gedrosselt. Die riesige Nachfrage bei winzigem Angebot hat die Preise derart in die Höhe getrieben, dass ein Direktflug zwischen Frankfurt und Shanghai mittlerweile so viel wie ein japanischer Kleinwagen kostet: Für unter 10.000 Euro war im Sommer nichts mehr zu haben. Transitflüge nach China wurden jedoch im Zuge der Pandemie verboten.

Es sei denn, und dafür habe ich mich entschieden, man bleibt zuvor drei Wochen lang in einem Drittland. Meine Wahl fiel auf Südkorea, eine der wenigen Destinationen, die noch über regelmäßige Flüge in die Volksrepublik verfügen. Die Grundvoraussetzung für diese Marathonodyssee ist jedoch, jederzeit negativ zu bleiben: Wer sich mit Covid infiziert, hat seine Rückkehrchancen auf Monate verspielt – und Tausende von Euro in den Sand gesetzt.

Noch aber genieße ich die Freiheit, die ich in China so vermisst habe: In Seoul besuche ich Museumsausstellungen, öffentliche Proteste und Live­konzerte. Ich stelle fest, dass mich die letzten Monate in der „Null Covid“-Bastion Peking ziemlich traumatisiert haben: Ohne negativen Covidtest konnte ich zuletzt nicht einmal den Supermarkt um die Ecke betreten, und selbst vor meiner eigenen Wohnung hat das Nachbarschaftskomitee eine Kamera installiert, um die Körpertemperatur eines jeden Bewohners zu erfassen.

An Reisen, selbst ins direkte Umland, war nicht zu denken: Die Gefahr, unverhofft in einen Lockdown zu geraten, schwebte wie ein Damoklesschwert über unseren Köpfen.

Testen, testen, testen

Eine Woche vor dem Abflug trübt die Covidparanoia meine letzten Tage in Freiheit. Die bürokratischen Anforderungen der chinesischen Behörden sind derart komplex, dass wir uns in Selbsthilfegruppen auf der App „Wechat“ zu Hunderten zusammentun, um uns Ratschläge und Mut zuzusprechen.

Sieben Tage vor Abflug muss ich jeden Morgen der Fluglinie meine Temperatur, vier Tage vor Abreise den ersten autorisierten Antigen-Test schicken. 48 Stunden vor Abflug folgt der erste PCR-Test, 24 Stunden später der zweite – in unterschiedlichen Kliniken durchgeführt, mit jeweils anderen Reagenzverfahren.

Ich staune selbst am meisten darüber, dass ich am Ende alle Dokumente habe. Am Flughafen angekommen, schickt mir die chinesische Botschaft endlich den „Gesundheitscode“.

Nur mit ihm darf ich das Flugzeug betreten. Dass der nervenaufreibendste Teil meiner Rückreise erst noch vor mir liege, ahnte ich damals noch nicht.

In der südchinesischen Küstenstadt Xiamen werden wir Einreisenden wie Aussätzige behandelt. Vom Flughafen über die Busfahrt bis zum Quarantänehotel bekommen wir niemand ohne Seuchenschutzanzug und medizinische Handschuhe zu Gesicht.

Die nächsten elf Tage verbringe ich auf 15 Quadratmetern in einem in die Jahre gekommenen Hotelzimmer. Meine Tür darf ich nur einen Spalt weit öffnen, um das Essenstablett abzuholen – und das auch nicht zu lange. Sonst heult ein automatischer Alarm auf.

Jeden Morgen werde ich von einem der weißen Marsmenschen zum täglichen PCR-Test aus dem Bett geklingelt. Das Ritual erinnert mich an einen Gottesdienst: Ich knie mich hin, doch bekomme statt Oblate einen Stab in den Mund – stets derart tief in den Rachen, bis mein Würgereflex einsetzt. Auch mein Handy, Koffer und Kissen werden mehrfach mit einem Wattestäbchen auf das Virus überprüft. Als die elftägige Quarantäne schließlich zu Ende geht, bin ich ein knappes Dutzend Mal negativ getestet.

Doch vorbei ist der Spuk noch lange nicht. Die Stadt Xiamen, in der ich gelandet bin, hat in den letzten Tagen einen Infektionsausbruch der Omikron-Subvariante BA.2 gemeldet.

Ausnahmezustand fast ohne Grund

Trotz nur knapp 40 Fällen innerhalb einer Woche herrscht Ausnahmezustand: Alle der über vier Millionen Einwohner werden zum täglichen Massentest bestellt, selbst die importierten Fische müssen sich PCR-Tests unterziehen.

Was zunächst nach einer Paro­die klingt, bestätigten die Zollbehörden mit patriotischem Stolz als notwendige Schutzmaßnahme. Erst als chinesische Internetnutzer unter Häme und Spott anmerkten, dass Fische über Kiemen verfügen und sich nur schwer mit einer Atemwegs­erkrankung infizieren können, löschten die Zensoren sämtliche Meldungen.

Mir entlockt die kollektive Psychose namens „Null Covid“ längst kein Gelächter mehr. Der persönliche Albtraum seit meiner Ankunft scheint kein Ende zu nehmen: Erst nach stundenlangen Telefonaten kann ich die Behörden in Xiamen dazu überreden, mich zumindest zum Hauptbahnhof zu lassen.

Doch bereits im Zug nach Peking werde ich von drei freundlichen Polizisten abgefangen – und, da Xiamen mittlerweile zum Hochrisikogebiet erklärt wurde, 24 Stunden später erneut in Quarantäne gesteckt: Das Nachbarschaftskomitee hat kurzerhand einen Sensor vor meiner Tür installiert, der jede Öffnung registriert.

Nach 30 Tagen, drei Flügen, zwei Quarantänezentren, 14 PCR-Tests und einer Zugfahrt habe ich Peking erreicht. Wann ich jedoch in die Freiheit entlassen werde, entscheidet der Algorithmus. Erst wenn der Gesundheitscode auf meinem Handy grün leuchtet, darf ich meine Wohnung verlassen. Die nächsten fünf Tage wird er weiterhin in alarmierendem Rot blinken.

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