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Coronalage vor EM-Klassiker in LondonUefa übernimmt Pandemiepolitik

London lockert trotz verschärfter Lage die Zuschauerbegrenzungen für das Spiel am Dienstag. Der Druck der Uefa ist zu groß.

Zu nachlässig? Englische Fans ohne Distanz und Mundschutz im Wembleystadion Foto: Frank Augstein/ap/dpa

Die Zahlen steigen in Großbritannien. Einerseits die Zahl der zugelassenen Zuschauer beim EM-Turnier im Londoner Wembleystadion, andererseits die von der Delta-Variante in die Höhe getriebenen Corona-Inzidenzzahlen. Einerseits dürfen statt 21.500 Besuchern im Achtelfinale zwischen Italien und Österreich nun zum Klassiker zwischen Deutschland und England – anders als zuvor geplant – 45.000 Fans den Spielern zujubeln. Andererseits haben sich die Inzidenzzahlen dank der Delta-Variante innerhalb einer Woche im Vereinigten Königreich verdoppelt.

Wie Lockerungen zu einer sich verschärfenden Coronalage passen, lässt sich gesundheitspolitisch nur schwer nachvollziehen. Zwar wird der binneneuropäische Reisebetrieb durch eine 14-tägige Quarantänepflicht für Einreisende auf die Insel eingeschränkt, und Einlass ins Wembleystadion bekommen nur die deutschen Anhänger gewährt, die einen Wohnsitz in Großbritannien oder Irland vorweisen können – ausgenommen davon aber sind die zahlreichen VIP-Gäste der Uefa.

Inklusive der Medienschaffenden und der Verbandsfunktionäre zählt die Uefa 2.500 wichtige Gäste, für die sie sich vor allem mit Blick auf die Halbfinals und das Endspiel in London Sonderregelungen ausbedungen hat. Sie müssen nicht in Quarantäne, sollen sich jedoch ausschließlich im Hotelzimmer und im Stadion aufhalten dürfen. Kontrollieren wird man das aber vermutlich weder wollen noch können.

Dass die englische Regierung Mitte vergangener Woche die außerplanmäßige Anhebung der Stadionauslastung im Wembleystadion nach Gesprächen mit der Uefa ankündigte, hatte natürlich handfeste Gründe. Der europäische Fußballverband hatte zuvor durchblicken lassen, dass man notfalls die wichtigsten Spiele des Turniers in ein anderes Land vergeben könnte, sollte man in London Schwierigkeiten haben, die EM wie von der Uefa gewünscht zu organisieren.

Neuer Hotspot in St. Petersburg

Weil es keine einheitliche Coronapolitik in Europa gibt, kann die Uefa die Ausrichterländer leicht gegeneinander ausspielen und offenbart wenig Skrupel dabei, auf diese Weise die europäische Pandemiepolitik mitzubestimmen. Neben London steht nun aktuell St. Petersburg im Blickpunkt. Am vergangenen Samstag waren 107 Coronatote innerhalb von 24 Stunden in der russischen Küstenstadt gemeldet worden.

Am Freitag (18 Uhr) treffen dort die Schweiz und Spanien aufeinander. Auch die sich zuspitzende Coronalage in St. Petersburg setzt man bei der Uefa nicht in Beziehung mit dem eigenen Turnier. Ein Uefa-Sprecher bestätigte, dass „es keine Pläne gibt, den Austragungsort zu ändern“. Die gesundheitliche Situation in Russland ändere „nichts für die Teams“. Im Stadion von St. Petersburg ist für das anstehende Viertelfinale wie beim Spiel der Deutschen in London eine 50-prozentige Auslastung des Stadions, also 30.500 Zuschauer, vorgesehen.

Der Druck auf die Uefa, die Halbfinals und das Endspiel vielleicht doch nicht in einem Coronahochrisikogebiet wie London austragen zu lassen, wird mit den Inzidenzzahlen vermutlich weiter steigen. Budapest hat sich als Hauptstadt von Ungarn und der Bedenkenlosigkeit bereits in den letzten Wochen als mögliche Alternative in Stellung gebracht. Dies würde wiederum der Uefa andere Probleme bescheren. Am Sonntag wurden in einer Budapester Fanzone, die von 10.000 niederländischen Anhängern bevölkert wurde, diesen beim Eingang von Sicherheitskräften die Regenbogenflaggen abgenommen. Die Uefa erklärte, dafür seien die ungarischen Behörden verantwortlich. Es kündigen sich weitere Probleme an.

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21 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Mein Vorschlag an die UEFA: Wenn man schon so profitgierig ist und unverantwortbar volle Stadien will, dann sollte man, um wahre soziale Verantwortung zu zeigen, folgende Gewinnverwendung vorsehen,:



    1/3 des Gewinns für sich selbst (die UEFA)



    1/3 des Gewinns für das Gesundheitssystem des Gastgeberlandes eines EM-Spiels und



    1/3 des Gewinns für das Gesundheitssystems des Gästelandes



    Es kann nicht angehen, dass die UEFA das Stattfinden der Spiele durchsetzt und wirtschaftlich davon profitiert, aber nicht für die volkswirtschaftlichen Folgen ihres Handelns einsteht!!!

  • Kleines Update aus Finnland:

    yle.fi/uutiset/osa...returnees/11999546

    -Mittwoch vor einer Woche, also am 22. Juni, sind 800 Leute aus St. Petersburg vom EM Spiel nach Finnland zurück gekommen

    - Sie wurden nicht getestet, aus Mangel an Kapazitäten

    - Die meisten, rund 90% sind aus Helsinki

    - bis letzten Donnerstag, dem 24. Juni, wurden schätzungsweise 100 Infektionen festgestellt

    - Montag, am 28 Juni, waren bereits 202 Infektionen bekannt

    Das sind jetzt schon die Hälfte aller Corona-Infektionsfälle in Finnland.

    • @jox:

      Hallo Jox,



      weißt Du, wieviele dieser "202 Infektionen" nicht nur positiv getestet sind, sondern unangenehme Symptome haben oder gar im Krankenhaus sind?

      • @Bruno The Ludwig:

        Auf welchem Mist ist eigentlich die Idee gewachsen, dass positiv getestet und infiziert unterschiedliche Dinge seien? Oder wie soll man ihre Anführungsstriche deuten?

        Wenn durch PCR Test Virenbestandteile nachgewiesen werden, dann ist das, weil es genügend davon auf der Schleimhaut gibt. Und das gibt es dann, wenn sich die Viren dort vermehrt haben. Und um sich zu vermehren, müssen die Viren in Zellen eindringen. Und nichts anderes ist eine Infektion.

        Es ist dann völlig irrelevant, ob die positiven "unangenehme Symptome haben oder gar im Krankenhaus sind", weil sie mit entsprechender Viruslast das Virus weitertragen oder weitergetragen haben. Und selbst wenn sie symptomlos sind: Unter den von ihnen angesteckten sind sicher welche, die sich über das Geschenk nicht freuen können.

  • Die naiven Bürger seit Jahren mit Fußballveranstaltungen vom "Denken" abzuhalten, rächt sich wohl jetzt. Die Delta-Variante wird sich darüber aber sicherlich sehr freuen. Danach kommt sicherlich die Epsilon- und Zeta-Variante.

    "Dem Sport ist zu aller Zeit und vor allem von allen Regierungen aus gutem Grund immer die größte Bedeutung beigemessen worden: er unterhält, benebelt und verdummt die Massen." [Thomas Bernhard (1931 - 1989), österreichischer Schriftsteller]

    ***Warum der Profifußball rollt – trotz Pandemie! | ZDF Magazin Royale (Jan Böhmermann)*** www.youtube.com/watch?v=gEbx_0dBjbM

    • @Ricky-13:

      Kommentar entfernt. Bitte beachten Sie die Netiquette.

  • > Der europäische Fußballverband hatte zuvor durchblicken lassen, dass man notfalls die wichtigsten Spiele des Turniers in ein anderes Land vergeben könnte, sollte man in London Schwierigkeiten haben, die EM wie von der Uefa gewünscht zu organisieren.

    Warum haben wir eigentlich ein demokratisch gewähltes Parlement, ein von der Öffentlichkeit finanziertes Gesundheitsministerium, Polizei und so weiter, wenn da irgendwelche Firmen und For-Profit-Organizations wie Volkswagen mit ihren Giftdieseln oder die UEFA meinen, sie hätten das Recht, ihre Profite auch über die Leichen der Bevölkerung zu vergrößern?

    Es ist ganz klar absehbar, dass das Tote gibt, bei der hohen Ansteckungsrate der Delta-Variante kann das auch eine neue Welle mit Zehntausenden Toten sein, ein Drittel der Bevölkerung ist noch nicht geimpft und wird auch noch nicht geimpft sein, wenn diese Welle kommt.

    Wie heißt es noch gleich, wenn ich bewusst den Tod von Menschen in Kauf nehme durch organisierte Handlungen, die mir selber monetären Gewinn bringen? Das romantischste Wort, was mir dazu einfällt, ist "Mafia".

    Das sollte Grund für die Behörden sein, die Stadien einfach dicht zu machen, und für die Bevölkerung, auch die Fernsehübertragungen komplett zu boykottieren, mit denen die UEFA Geld einnimmt. Das darf sich für die einfach nicht lohnen.

    • @jox:

      "und für die Bevölkerung, auch die Fernsehübertragungen komplett zu boykottieren"

      Geben Sie mir doch mal einen Näherungswert, für wie realistisch Sie das halten?

      • @Sven Günther:

        Es muss kein Boykott durch die gesamte Bevölkerung sein, 5 bis 10% die boykottieren können sich sehr wohl schon bemerkbar machen und Veränderungen motivieren.

        • @jox:

          Die TV Quoten in Deutschland sind bisher um 18,5% niedriger als bei dem letzten Turnier 2016, sind Ihnen schon irgendwelche Veränderungen aufgefallen?

          I"n Zahlen heißt das: Durchschnittlich 8,805 Millionen schauten beim laufenden Turnier die Gruppenspiele bei ARD und ZDF nach 10,797 Millionen 2016. Das ist ein beachtliches Minus von 18,5 Prozent. Fußball-Begeisterung sieht anders aus."

          m.faz.net/aktuell/...lich-17406964.html

  • Gibt es ein besseres Beispiel für die Machtlosigkeit von Politik, wenn es um Kapitalinteressen geht? Fußball war doch mal ein Spiel, ein Spaß, eine Freude für Jung und Alt und kein Tummelplatz für milliardenschwere Oligarchen, Konzerne (Sponsoren) und die Organisierte Kriminalität zur Geldwäsche über Sportwetten.



    "Brot und Spiele" funktionierte schon im Alten Rom nicht ohne einen gewissen Schwund an Menschenleben.



    Die Beine der Fußballer sind aber gut versichert, den Versicherungen zuliebe!

  • "Und was soll der Staat dagegen machen [...]"

    Verursacherprinzip. UEFA mit Schadensersatzklagen ausbluten.

    • @tomás zerolo:

      Wie weisen Sie nach, wo die Leute sich angesteckt haben und dass das nicht vor oder nach dem Stadionbesuch war?

      Nehmen wir in Zukunft alle Veranstalter, also z.B. auch Demos etc. so in Haftung, das Gleichbehandlungsgebot gilt ja immer?

      Und nehmen wir mal Corona raus, der Veranstalter wird auch nicht haftbar gemacht, wenn sich die Leute da mit Grippe anstecken oder wenn eine betrunkene Person einen anderen Menschen verletzt, mit dem Strafrecht oder Zivilrecht gegen den Veranstalter vorzugehen, stelle ich mir schwierig vor, aber ich lasse mich gerne eines

      • @Sven Günther:

        > Wie weisen Sie nach, wo die Leute sich angesteckt haben und dass das nicht vor oder nach dem Stadionbesuch war?

        Wenn man will, kann man das nachweisen durch Gensequenzierung. Die wird z.B. in Australien benutzt, um Fälle von Übertragungen exakt nachzuvollziehen.

  • "Zu nachlässig? Englische Fans ohne Distanz und Mundschutz im Wembleystadion"

    Und was soll der Staat dagegen machen, die Uniformierten in den Block schicken und die Fans ohne Maske rausholen?

    Natürlich kann man Geisterspiele veranstalten, das ändert aber überhaupt nichts daran, das sich die Leute weiter treffen, ggf. zusammen feiern.

    Hier mal eine kleine Impression, was gestern Nacht hier in Genève los war und das war in der ganzen Schweiz ähnlich.

    www.20min.ch/fr/vi...-nati-259487137955

    Natürlich sollte man sich nicht von der UEFA am Nasenring durch die Manege ziehen lassen, aber man sollte sich auch im klaren darüber sein, dass das nur ein Teilaspekt ist.

    • 1G
      164 (Profil gelöscht)
      @Sven Günther:

      Wenn es darum geht junge Leute, die nachts im Park feiern, zu "disziplinieren", fällt dem Staat immer was ein. Üblicherweise etwas aus der Kategorie "erst provozieren und dann schön verdreschen". Wo ist also das Problem?

      • @164 (Profil gelöscht):

        Bei Spielen der Nationalmannschaft geht ja ein etwas anderey Publikum ins Stadtion als in der BuLi, aber da ist das Publikum teilweise erheblich resilienter als Jugendliche im Park, aber auch beim Coca Cola DFB Fanclub Fähnchenschwenker stell ich mir einen Spielabruch spannend vor.

    • @Sven Günther:

      > Und was soll der Staat dagegen machen, die Uniformierten in den Block schicken und die Fans ohne Maske rausholen?

      Spiel abbrechen, EM canceln. Was für einen Grund sollte es geben, weitere zehntausende Tote im Spätsommer und Herbst zu riskieren? Gerade mal die Hälfte der Bevölkerung ist geimpft, und für ältere Leute ist die Delta-Variante immer noch gefährlich, selbst wenn sie geimpft sind.

      Ich meine, Fußball ist ja für viele Leute schön, wer möchte schon wirklich Party machen auf den Leichen anderer Leute? Der rheinische Karneval und das Oktoberfest wurden ja auch abgesagt, aus den nämlichen Gründen.

    • @Sven Günther:

      Spiel abbrechen?

      Und sorry, Leidenschaft hin oder her: Fangesänge und Jubelrufe wie Schmerzensschreie sind einfach massive Aerosolbeschleuniger.

      Und ob die Fans in Russland, GB und anderswo nun im Stadion rumschreien oder auf der Straße: Das Infektionsrisiko ist enorm.

      Wenn das die jeweils Einheimischen tun – nun, da wird dann ja mindestens nicht viel am Virusmix gedreht.

      Aber wenn Reisetätigkeit dazu kommt, und neue Varianten bunt verteilt werden. Dann wird das ein "schöner" Herbst.

      Diese EM ist in dieser Phase der Pandemie reine Idiotie.

      • @Helmut Fuchs:

        Die Reisetätigkeit besteht schon seit Monaten, ich war in den letzten Monaten in der VRC, wieder in Deutschland, in Frankreich, in Spanien, nächste Woche fahre ich zu Kunden nach Lettland, tun wir doch nicht so, als würden alle Zuhause sitzen und nur durch die EM würden jetzt Menschen durch Europa reisen.

        Natürlich sind die Reisen erheblich weniger geworden, aber sie haben doch nicht aufgehört.

        Letztes Jahr hatte der Flughafen Zürich, über den ich öfters fliege, 8,3 Mio Fluggäste, klar sind das viel weniger als 2019, wo es 31,5 Mio waren, aber es bleiben eben 8,3 Millionen.

        Das die EM so in ihrer Form nicht clever ist, ist natürlich vollkommen richtig.