piwik no script img

Corona verändert die WeltwirtschaftGrenzen der Globalisierung

Die Coronakrise belastet den Welthandel massiv. Das trifft vor allem die exportlastige Wirtschaft der Deutschen. Ist das nicht eine Chance?

In Zukunft vielleicht ein seltener Anblick: ein chinesisches Frachtschiff im Hamburger Hafen Foto: Markus Scholz/dpa

Berlin taz | Seit Montagmorgen laufen die Produktionsbänder wieder. Nach fast sechs Wochen Zwangspause können rund 8.000 MitarbeiterInnen im Wolfsburger Stammwerk von Volkswagen an ihre Arbeitsplätze zurückkehren. „Es geht jetzt wieder los“, freut sich VW-Markenchef Ralf Brandstätter.

Die Freude könnte aber nur kurz währen. Denn Probleme gibt es weiter bei vielen Zulieferern. „Alle unsere Partner haben uns signalisiert, dass sie anlaufbereit sind“, versichert Brandstätter. Doch garantieren kann er das nicht. Zu komplex und engmaschig sind die globalen Lieferketten.

In Norditalien etwa, einem Zentrum der europäischen Zuliefererindustrie, sind wegen der Coronapandemie viele Betriebe auch weiterhin dicht. Hinzu kommt: Der Automarkt ist rund um die Welt um mehr als die Hälfte eingebrochen. Es wird Monate brauchen, bis sich die Branche erholt – wenn überhaupt. Experten rechnen damit, dass die Krise exportlastige Industriezweige nachhaltig verändern wird.

Kaum ein Land hat in den vergangenen drei Jahrzehnten so sehr von der Globalisierung profitiert wie Deutschland. Sie hat vor allem die Industrien beflügelt, in denen die Deutschen stark sind: Autoindustrie, Maschinen- und Anlagenbau. Die Exportquote liegt in beiden Branchen bei über 80 Prozent. Die Deutschen machen nicht einmal 1 Prozent der Weltbevölkerung aus, ihr Land ist aber die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Ohne Globalisierung wäre das nicht möglich gewesen. Umso heftiger ist nun der Einbruch.

Der Seeverkehr ist im März im Vergleich zu den Vormonaten um 48 Prozent eingebrochen, der Eisenbahnverkehr sogar um 67 Prozent. Ökonomen rechnen damit, dass die deutsche Wirtschaft im zweiten Quartal um 7 Prozent schrumpfen wird, das dickste Minus seit dem Krieg.

Keine Deglobalisierung

Gabriel Felbermayr, Chef des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, geht zwar davon aus, dass sich die hiesige Konjunktur in der zweiten Jahreshälfte erholen wird. Doch an der Art des Wirtschaftens werde sich einiges ändern. „Als eine Folge der Coronakrise werden deutlich mehr Produktionsstätten direkt in Abnehmerländern entstehen“, vermutet der Ökonom. „Die Strukturen werden regionaler.“

Plötzlich haben Länder wie Indien, die in der Old Economy chancenlos waren, viel bessere Karten. Das wird Deutschland wehtun

Gabriel Felbermayr, Chef des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel

Diese Entwicklung setzte zwar schon vor der Krise ein. Der von den USA ausgelöste Zollstreit hat bereits dazu geführt, dass der globale Handel zurückgeht. Die Viruskrise beschleunigt diesen Trend aber, sagt Felbermayr. „Sie zeigt, wie groß das Problem ist, wenn systemrelevante Produkte wie Atemschutzmasken oder Penicillin nur noch in China hergestellt werden, dieser Warenstrom aber plötzlich unterbrochen ist.“ Viele Länder dürften ihre Lehren daraus ziehen und Industrien zurückholen.

Ein Ende der Globalisierung muss das aber nicht bedeuten. Für die Digitalwirtschaft könnte die Krise sogar zum Trendbeschleuniger werden. Viele Unternehmen machen Erfahrungen mit Homeoffice und der Nutzung digitaler Arbeitsplattformen. Das werde sich dauerhaft auswirken, vermutet Felbermayr. „Wir kommen nicht in eine De­globalisierung, sondern könnten aus der Krise sogar globalisierter hervorgehen.“

Für die deutsche Wirtschaft sind beide Entwicklungen schlecht. Der Standort Deutschland punktete bislang mit einer guten Infrastruktur, dem dualen Ausbildungssystem und der zentralen Lage in der Mitte Europas. Diese Vorteile spielen nun aber eine geringere Rolle. „Plötzlich haben Länder wie Indien, die in der Old Economy chancenlos waren, viel bessere Karten“, sagt Felbermayr. „Das wird Deutschland wehtun.“

Weniger Welthandel durchaus Positives abgewinnen kann Thomas Eberhardt-Köster, Handelsexperte des globalisierungskritischen Netzwerks Attac. Solange sich es um Produkte mit fairen Löhnen geht, die nur in bestimmten Gegenden angebaut werden können, seien längere Transportstrecken in Kauf zu nehmen, sagt Eberhardt-Köster. Wenn aber gehandelt werde, weil Lohnstückkosten in anderen Ländern wegen schlechter Arbeitsbedingungen oder niedriger Umweltstandards geringer sind, habe das gesamtgesellschaftlich keinen Mehrwert: „Man muss nicht“, betont Eberhardt-Köster, „einen Joghurt um die halbe Welt transportieren.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Gruß an Felix Lee alles Gute als heutiger Presseclub Gast 12.03.2020

    Deutschland Standortvorteil nimmt mit Covid19 Pandemie andere Richtung, wenn es kein Vorteil mehr ist durch asymmetrisches Weltwährungssystem Handelsbilanzüberschüsse zu generieren, dafür Lohnniveau, Lebensstandard, Arbeitsschutz, Gesundheitssystem, Bildung, Kaufkraft, Klimaschutz, Support UNO, WHO, UNHCR, UNESCO, Konfliktforschung zum systemrelevanten Faktor werden, weil Globalisierung fortbesteht durch regionale Produktion. Wenn Corona Krise Chance genutzt wird, Weltwährungssystem zu reformieren, z. B. durch den Bancor, einer von Maynard Keynes, Ernst Friedrich Schumacher entworfenen Verrechnungseinheit, Weltwährung, die Post War 1945 mit einer neuer International Clearing Union (ICU) ohne Leitwährung, abgesichert durch Goldreserven in nicht konvertierbarem Bancor hinterlegt, an USA in Bretton Wood 1944 scheitert mit $ als Leitwährung, konvertierbar abgesichert durch nationale Goldreserven aller Länder in Ford Knox jederzeit konvertierbar Unze Gold=35 $. 1971 kündigt Nixon wg Vietnamkrieg Kosten Bretton Wood Abkommen.

    Ab 1969 gab IWF Sonderziehungsrechte (Special Drawing Rights SDR) raus. Diese SDRs basieren auf US-Dollar, Euro, Pfund, Yen Währungskorb, Unwuchten im System wie Handelsbilanzüberschuss , Defizite auszubalancieren.



    In Weltfinanzkrise ab 2007 wurde Idee zentraler Bancor Verrechnungseinheit als globaler Reservewährung aufgegriffen. Präsident Chinesischen Volksbank Zhou Xiaochuan schlug, unterstützt von Russland März 2009 vergeblich vor, SDR Rolle auszubauen als einzige globale Reservewährung zu etablieren.



    Anders als Keynes vorsah, sollte dieser Bancor nicht durch klimaschädliche Goldreserven der Vertragspartnerländer sondern durch Clearing Stellen über bestimmte Standard Wahrung in Lohn, Arbeitsschutz, Lebensstandard, Gesundheitswesen, Bildung, Mobilität, Kaufkraft, Klimaschutz Support UNO, WHO, UNHCR, UNESCO, Konfliktforschung Innen, Außen in Ländern abgesichert werden.

    • @Joachim Petrick:

      Ja, Ihr Kommentar trifft m. E. den Punkt den Herr Lee impliziert, aber nicht nennt!

      Naja... diese Überschrift des Artikels?...



      .. die Idee der 'Globalisierung' war/ist doch formuliert im Sinne unbegrenzten Wachstums?



      Das solches Jedoch in unserer begrenzten Welt (siehe "Club of Rome"



      1972)unmöglich ist ist doch bereits Allgemeinwissen? Corona so als gesunde Denkpause für einen globalökologischen



      gesunden Umbau /Reduktion des Wachstumswahnsinns?



      Zudem : corona als (Menschgemachter Feind des Menschen?..) "Feind Nr. 1" der Welt...



      zwingt doch allgemein das Militär in der Welt in überflüssige Lächerlichkeit?

  • In dem Artikel wird doch nur beschrieben, warum das alles schlecht ist. Wo ist denn "die Chance für Deutschland"?



    Selbst eine gesteigerte Inlandsnachfrage nach einigen Produkten wird die Exporterlöse nicht erreichen. Auch wenn Produktion zurückgeholt wird, wird immer noch für den Export produziert. Und die Produktion von Atemmasken wird hoffentlich auch nicht immer auf hohem Level benötigt.



    Kurz, wenn die Auto- und Werkmaschinenindustrie wegbricht, wird es spannend was dann noch für die EU Zahlungen übrig bleibt.

    • @fly:

      Besonders der letzte Abschnitt ihres Kommentars ist von prickelnder Brisanz.



      Was werden wir machen, wenn das Lachen über den ungeliebten Riesen in der Mitte Europas abgeklungen ist und es alle schon immer gewusst, oder sogar gehofft haben, noch mehr Geld drucken?