piwik no script img

Corona und DatenschutzDie falsche Erzählung

Kommentar von Svenja Bergt

Für die Coronabekämpfung müssen wir auf Datenschutz verzichten, heißt es oft. Doch das ist ein Kurzschluss: Man kann beides verbinden.

Friseurbesuch: nur mit Angabe von persönlichen Daten bei Terminbuchung und Schnelltest möglich Foto: Bernd Weissbrod/dpa

E in Friseurbesuch vor der Pandemie sah so aus: Hingehen, Haare schneiden lassen, zahlen, fertig. Wer dabei einen Salon ohne Terminbuchung wählte und die Summe in bar beglich, bekam eine neue Frisur ohne persönlichen Daten zu hinterlassen.

Heute dagegen muss man einen Termin buchen, unter Angabe von Telefonnummer und/oder E-Mail-Adresse. Beim Schnelltesttermin muss man zudem auch noch Postadresse und Geburtsdatum angeben. Und außerdem noch den Personalausweis vorlegen, damit sich niemand den Test für eine andere Person organisieren kann.

All diese Daten akkumulieren sich auf Servern, bei Cloud-Diensten oder auf unternehmenseigenen Rechnern. Wie lange sie dort liegen, wie sie geschützt und mit welchen anderen Daten verknüpft sind und ob eine auf Papier geführte Kontaktliste oder ein Ausdruck je einen Aktenvernichter von innen sehen wird – das ist für Betroffene kaum zu erkennen.

In den vergangenen Monaten war in Sachen Datenschutz vor allem eine Erzählung vorherrschend: Der Schutz der Privatsphäre in Europa im Allgemeinen und in Deutschland im Speziellen schwäche die Bekämpfung der Pandemie.

Doch wenn man genauer hinschaut, entpuppen sich die angeführten Argumente als haltlos. So würde etwa, um ein häufig bemühtes Beispiel zu nennen, eine Überwachung sämtlicher Bür­ge­r:in­nen per GPS oder Mobilfunkzellen keineswegs dazu führen, Infektionsketten schneller zu unterbrechen. Denn die damit gewonnenen Standortdaten wären zu ungenau.

Luft nach oben

Und doch hat sich diese Erzählung durchgesetzt. Dabei ist das Problem eher umgekehrt. Diverse Maßnahmen im Rahmen der Pandemiebekämpfung führen zu einer Aushöhlung des Datenschutzes. Dabei bauen Datenschutz-Kritiker:innen gern Fallen, die dazu führen sollen, den Schutz der Privatsphäre und die Bekämpfung der Pandemie gegeneinander zu stellen. Dabei sollte die Frage doch lauten: Wie kann man beides so gut wie möglich miteinander vereinbaren? Da ist aktuell noch Luft viel nach oben.

Erstes Beispiel: Schnelltests. Die Testzentren erheben bei der Terminbuchung oder Anmeldung in der Regel folgende Daten: Vor- und Nachname, Wohnadresse, E-Mail-Adresse, Telefonnummer und Geburtsdatum. Das ganze Paket also, und niemand scheint sich in den betroffenen Zen­tren mal gefragt zu haben, ob sie all diese Daten brauchen.

Diese Frage wäre aber nicht nur sinnvoll, sondern auch Pflicht. So schreibt die europäische Datenschutzgrundverordnung in Artikel 5 den Grundsatz der Datensparsamkeit vor. Was also ist davon wirklich nötig? Die E-Mail-Adresse, um das Testergebnis zu schicken. Name und Geburtsdatum, um die Identität der getesteten Person zu verifizieren. Der Rest ist überflüssig.

Datensparsamkeit nutzt

Zudem könnten die erhobenen Daten spätestens nach Ablauf der Gültigkeit des Tests, also 24 Stunden nach der Durchführung, gelöscht werden. Das in Kombination mit Datensparsamkeit hätte noch einen weiteren Vorteil: Ein Angriff oder ein Datenleck wären weniger gravierend.

Das ist keine Theorie. Es gab schon Fälle, in denen Unbefugte auf die Daten aus Testzentren zugreifen konnten. Mitunter waren gleich mehrere Städte betroffen, in denen Zentren die gleiche Software einsetzten. Dabei wurden die Sicherheitslücken teilweise durch dilettantische Fehler verursacht.

Zweites Beispiel: die Impfdokumentation. Ärz­t:in­nen müssen Impfungen, genau wie andere Behandlungen, dokumentieren. Während ein Patient bei seiner Hausärztin zumindest davon ausgehen kann, dass die persönlichen Daten in der Praxis verbleiben, ist im Fall der Impfzentren in der Regel nicht erkennbar, was mit den eigenen Daten passiert.

Berlin – ein negatives Beispiel

Mit schlechtem Beispiel voran geht hier etwa die Hauptstadt. Berlin hat nicht nur die Buchung der Termine an einen externen Anbieter ausgelagert (wie etwa auch Schleswig-Holstein an das Unternehmen Eventim), sondern auch die Dokumentation. Das betrifft beispielsweise die kompletten Anamnesebögen – inklusive Daten zu schweren und chronischen Vorerkrankungen oder Allergien. Die landen über den Anbieter Doctolib auf Servern von AWS, Amazon Web Services.

Drittes Beispiel: Kontaktnachverfolgung. Hier ist in den vergangenen Monaten vor allem die Luca-App negativ aufgefallen. Die soll dazu dienen, die bislang nur teildigitalisierte Kontaktnachverfolung der Gesundheitsämter schneller zu machen. Ob die App für dieses Ziel taugt, ist schon angesichts von Konzeptionsfehlern fraglich. Dazu kommen zahlreiche Sicherheitslücken und Datenschutzverstöße.

Dass dennoch diverse Kommunen und Bundesländer sie einsetzen wollen oder das bereits tun, hat – neben gutem Marketing der App-Unternehmer:innen – einen politischen Grund. Die Infektionsschutzverordnungen der Bundesländer sahen standardmäßig vor, bei dem Besuch eines Veranstaltungsorts oder Res­tau­rants die persönlichen Daten von Be­su­che­r:in­nen erfasst werden müssen.

Es ist noch nicht vorbei

Angelehnt war diese Vorschrift an die Bedürfnisse der Gesundheitsämter. Doch das lässt außer Acht, dass Kontaktnachverfolgung spätestens mit der Corona-Warn-App auch ohne die Angabe persönlicher Daten machbar ist.

Diese Erkenntnis kommt jedoch erst langsam in den entsprechenden Landesverordnungen an. Die Folge ist: Es wurden Gelder ausgegeben und politische Weichen gestellt für die Nutzung einer mutmaßlich nicht legal nutzbaren, weil datenschutzverletztenden App. Diese Weichen – Stichwort Pfad­ab­hän­gig­keit – werden wiederum die Grundlage dafür legen, dass weitaus mehr Datensammlungen entstehen werden, als für die Pandemiebekämpfung notwendig wäre.

Die Pandemie wird nicht morgen vorbei sein. Die Maßnahmen, von Schnelltests bis zur Kontaktnachverfolgung, werden noch eine Weile erhalten bleiben. Um so wichtiger ist es, den Schutz der Privatsphäre mitzudenken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
schreibt über vernetzte Welten, digitale Wirtschaft und lange Wörter (Datenschutz-Grundverordnung, Plattformökonomie, Nutzungsbedingungen). Manchmal und wenn es die Saison zulässt, auch über alte Apfelsorten. Bevor sie zur taz kam, hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet. Autorin der Kolumne Digitalozän.
Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Danke! Diesen Kommentar finde ich wesentlich inhaltsreicher als den vorhergehenden Kommentar "lehrreiches Debakel".

    Ich bin hinsichtlich Datenschutz und NachverfolgungsApp komplett ohne Hintergrundwissen. Deshalb meine Frage: Wie sicher ist es, dass man mittels Corona-Warn-App eine deutlich bessere Nachverfolgung machen könnte als mit Luca-App oder ausgelagerten Datensammelstellen?

  • Gemessen an der Komplexität des "Datenschutzproblems" ist die Coronakrise fast ein Kinderspiel.



    Und wenn man sich jetzt mal vor Augen führt wie "gut" die Politik mit dieser Krise fertig wird weiß man, dass wir von einer intelligenten Lösung des Datenschutzproblems weiter entfernt sind als von Alpha Centauri.

  • Danke! Die unsinnige Erzählung der Datenschutz verhindere die Pandemiebekämpfung von Leuten wie Söder und Co. zeigt nur, dass sieden Datenschutz prinzipiell weg haben wollen und vor allem, dass sie ihn nicht verstanden haben.

    Es gibt reichlich Datanschutz-kompativle Möglichkeiten, auch waren vor dieser Schrott-App namens luca schon datensparsame und datenschutzfreundliche Alternativen vorhanden. Leider eben nicht durch Hopp-Schützlinge und eben damit mit dem politischen Makel keine zentrale Speicherung zu haben.

    Apropos Hopp das Zocken auf CureVac ist ja auch ein Grund für den Mangel an Impfstoff.

    • @J_CGN:

      Ein akutes Problem derzeit ist, dass „Datenschutz“ sehr gerne vorgeschoben wird, wenn es an Kompetenz und Strukturen fehlt, etwas überhaupt umzusetzen. Da ist das eine immer wieder sofort bereitliegende Ausrede, mit der man alles sofort abklatschen kann.