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Corona in VietnamMusterknabe wird zum Problemfall

Lange kam Vietnam glimpflich durch die Pandemie. Nun steigt die Zahl der Infizierten. In Hanoi und im Südens wurde ein strenger Lockdown verhängt.

Erst vier Millionen Geimpfte: in einem Impfzentrum in Hanoi Foto: Hau Dinh/ap

Berlin taz | Schotten dicht in Vietnam: Seit knapp einer Woche gilt sowohl in der Hauptstadt Hanoi als auch im gesamten Süden des Landes ein strenger Lockdown. Damit reagiert die Regierung auf die erste große Coronawelle. Am Mittwoch wurden landesweit 5.400 neue Fälle gemeldet. Erst vor rund zwei Wochen hatte die Zahl der täglichen Neuinfektionen erstmals die die Grenze von 1.000 überschritten.

Auch Todesfälle im Zusammenhang mit Corona nehmen seit einer Woche deutlich zu. Während die Pandemielage in der südlichen Metropole Ho-Chi-Minh-Stadt – mit neun Millionen Einwohnern die größte Stadt im Land – außer Kontrolle geraten ist, habe man sie in Hanoi nach Angaben des Stadt­oberhaupts Chu Ngoc Anh noch „im Griff“.

Vietnam entwickelt sich vom Musterknaben in der Bewältigung der Coronapandemie zum Problemfall. Das 96-Millionen-Einwohner-Land ist bisher glimpflich durch die Pandemie gekommen. Dreimal war das Land mehrere Monate völlig coronafrei. Während viele europäische Länder unter einem Lockdown standen, wurde in Vietnam gearbeitet und gefeiert.

Länger als ein Jahr hatte Viet­nam erfolgreich auf Prävention gesetzt und seine Stärken ausgespielt: eine disziplinierte Bevölkerung, die Anweisungen der Behörden widerspruchslos folgt und gegen Coronaauflagen nicht vor Gerichten klagen kann. Die Maskenpflicht war nicht gewöhnungsbedürftig, trägt man doch dort als Schutz vor Abgasen seit Jahren Masken.

Drei Wochen Quarantäne

Dazu die Abschottung: Seit dem Frühjahr 2020 ist die Einreise nur sehr wenigen Menschen gestattet. Diese müssen drei Wochen Quarantäne in staatlichen Isoliereinrichtungen absitzen. Gab es Infektionsfälle, wurden ganze Gemeinden oder Straßenzüge von der Außenwelt abgeriegelt. Nach Kontaktpersonen wurde öffentlich gefahndet. Schulen und Universitäten blieben trotz geringer Infektionszahlen über Monate geschlossen.

Kontaktpersonen von Infizierten werden bis zum vierten Grad isoliert, wobei Infizierte und deren Kontakte ersten Grades diese Zeit in speziellen staatlichen Einrichtungen verbringen müssen. Als autoritär regierter Staat hat es Vietnam leichter als Demokratien, in die Freiheitsrechte der Bürger einzugreifen. Wer sich nicht an die Regeln hält, riskiert hohe Haftstrafen – so wie unlängst ein Flugbegleiter. Er hatte seine Quarantäne nicht vollständig abgesessen.

Doch in einer globalisierten Welt hat die Null-Covid-Strategie der Regierung Grenzen, seit die besonders ansteckende Deltavariante in vielen südostasiatischen Nachbarstaaten wütet. Es ist nicht mehr möglich, so viele Infizierte und ihre Kontaktpersonen in staatlichen Einrichtungen zu isolieren oder eine Millionenstadt abzuriegeln.

Die inzwischen hoffnungslos überfüllten Unterkünfte haben sich längst selbst zu Hotspots der Übertragung entwickelt. Jetzt rächen sich die zahlreichen Mängel des Gesundheitssystem, wo katastrophale hygienische Bedingungen herrschen. Film- und Fotoaufnahmen in Krankenhäusern und Isoliereinrichtungen sind seit einigen Tagen streng verboten. Ein Video, das an diesem Mittwoch dennoch ins Internet gelangte, zeigt Menschen, die dicht an dicht auf den Gängen schlafen.

Noch kein eigenes Vakzin

Betriebe mit infizierten Mitarbeitern mussten die Produktion einstellen. Dort, wo der Lockdown gilt, wurden die Betriebe angewiesen, die Beschäftigten in der Fabrik übernachten zu lassen oder ebenfalls zu schließen. Da es in Vietnam keine Sozialhilfe gibt, die Lohnverluste auffängt, sind die sozialen Auswirkungen für die Bevölkerung enorm.

In Vietnam sind nach offiziellen Angaben erst 4 Millionen Bürger einmal geimpft, wenige Hundert zweimal. Experten melden Zweifel an, ob bis zum Jahresende eine Herdenimmunität realistisch ist, die die Regierung anstrebt.

Das Land hatte lange Zeit auf die Entwicklung eines eigenen Vakzins gesetzt, dieses steckt aber noch in der Testphase. Es ist nach Regierungsangaben unklar, ob der Impfstoff noch 2021 zur Verfügung steht. Sollte das der Fall sein, braucht Vietnam für die Produktion Unterstützung von der WHO. In den letzten Wochen hat das Land Verträge über den Ankauf von 124 Millionen Impfdosen verschiedener Hersteller unterzeichnet. Hanoi muss sich aber hinter Staaten einreihen, die früher bestellt haben.

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6 Kommentare

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  • Die Zero-Covid-Strategien scheitern doch alle reihenweise. Der Virus wird bleiben und kann nirgendwo auf Dauer ferngehalten werden. Ohne Impfung wird das nix. Vielleicht sollte man das in der öffentlichen Diskussion mehr herausstellen.

    • @TazTiz:

      Die Impfung wird sicher gebraucht aber die Impfung alleine bringt es auch nicht. Dafür ist der R-Wert der Delta-Variante zu hoch. Um es mit der Impfung allein zu machen, bräuchten wir eine 98% Impfquote *und* eine 98% Effektivität des Impfstoffs gegen Übertragung.

      Auf der anderen Seite vermindern z.b. die FFP2 Masken die Übertragung erheblich, in bestimmten Fällen besser als Impfstoffe.

  • Es ist wichtig, anzuerkennen, dass eine Covid-Suppressionsstrategie auch in Ländern möglich ist, die nicht autoritär sind. Beispielsweise in Australien und Neuseeland. Bei diesen kann man einwenden, dass es Inseln sind, und es somit leicht ist Grenzen ganz zu schließen. Aber auch Israel hat Grenzen für Tourismus geschlossen und auch Thailand verfolgt eine Covid-Suppressionsstrategie.

    Sicherlich gibt es keine einfachen Lösungen, aber es gibt auch Alternativen zwischen "alles drakonisch abschotten" und "Grenzen um jeden Preis offenhalten, damit Tourismusunternehmen, Fußballverbände und Flughäfen nur ja keine Verluste machen".

    • @jox:

      Neuseeland hat sich doch drakonisch abgeschottet.

      Selbst Ausländer_innen mit festem Wohnsitz in Neuseeland und einem einjährigen Arbeitsvisum durften mehrere Monate nicht mehr einreisen, wenn sie sich zufällig gerade außerhalb Neuseelands aufhielten.

      Das wäre in Deutschland politisch nicht möglich gewesen.

      • @rero:

        Nicht drakonisch sondern konsequent. De facto haben Neuseeländer aufgrund dieser Konsequenz weniger Einschränkungen als wir. Dasselbe galt zumindest bisher für Australien.

        • @jox:

          Ok. :-)

          Ich gebe gern zu, dass die Maßnahmen in ihrer Konsequenz sehr effektiv waren.

          Was wäre für Sie dann "drakonisch"?