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Corona in TschechienWiderstand mit der Nähmaschine

Die Infektionszahlen explodieren, aber viele TschechInnen ignorieren die neuen Regeln. Dies ist auch Ausdruck der Verachtung gegenüber der Regierung.

Proteste gegen die Corona-Maßnahmen in Prag Mitte Oktober 2020 Foto: Roman Vondrouö/dpa

Prag taz | Die Tschechen, so urteilte der Schriftsteller Karel Čapek vor knapp 100 Jahren, leben in einem ganz besonderen Zwiespalt: sie verachten jede Form von Autorität und sind daher äußerst einfallsreich darin, sie zu umgehen. Gleichzeitig aber erwarten sie, dass all ihre Probleme von denen da oben gelöst werden.

Damit beantwortete Čapek, dessen literarisches Werk der Zwischenkriegszeit die kommenden Katastrophen des 20. Jahrhunderts düster voraussah, eine der gewichtigen Fragen unserer Zeit: Wie kam es, dass Tschechien innerhalb weniger Monate vom Musterschüler bei Anti-Corona Maßnahmen zum gesamteuropäischen Schmuddelkind der Pandemie wurde?

Ganz einfach: Der Wandel vom Paulus zum Saulus spiegelt das gespaltene Verhältnis der Tschechen gegenüber Autoritäten wider. Besonders anschaulich wird das in Prag, wo Ministerpräsident Andrej Babiš samt Regierung so gut wie gar keine Legitimität genießen.

Denn nichts anderes war der Auslöser dafür, dass die Prager im Frühjahr längst vergessene Nähmaschinen hervor kramten und wie wild begannen, Gesichtsmasken zu nähen. Es war nicht die Angst vor dem Virus oder der Pandemie, nicht die Sorge um Nächste und Nachbarn, die die Prager an die Nähmaschinen trieben. Sondern die Tatsache, dass die Regierung verpennt hatte, die aufkommende Krise zu erkennen und dementsprechend lax bei der Besorgung von Masken gehandelt hatte.

Lausiger Krisenmanager

Als sie dann eine allgemeine Maskenpflicht einführte und gleichzeitig einen Maskenotstand zugab, der auf einer falschen Einschätzung der Situation beruhte, gab sie den Pragern grünes Licht, um ihre Verachtung so richtig zur Schau zu stellen.

Die plötzliche Leidenschaft der Hauptstädter fürs Nähen war eine Form des Protests: schaut her, was für ein lausiger Krisenmanager Ministerpräsident Andrej Babiš doch ist, der das Land wie eine Firma führen will.

Irgendwann mal, Mitte April, hatte man in Prag genug von der Pandemie. Die erwarteten Leichenberge waren ausgeblieben, man galt international als Klassenbester und freute sich darüber, dass das Corona-Virus nicht nur die Regierung als unfähig entblößt, sondern, zumindest für eine kurze Zeit, auch die sonst so verfeindeten Gesellschaftsschichten zueinander gebracht hatte.

Außerdem war gerade die Biergartenzeit angebrochen und die Maske somit lästig geworden. Wie können wir Bier trinken oder kiffen, wenn wir so ein Ding auf dem Mund haben, lautete die Begründung, wann immer der Staat den Pragern die frühsommerliche Biergarten-Laune durch Polizeikontrollen zu vermiesen suchte.

Resignierte Antwort

Ein Totschlag-Argument, selbst für die Vertreter der uniformierten städtischen Ordnungspolizei, die sonst nicht gerade für ihre Zimperlichkeit bekannt ist. “Ziehen Sie halt die Maske auf, bis ich weg bin, damit es wenigstens den Anschein hat, dass Sie uns ernst nehmen“, lautete meist die resignierte Antwort.

Mit Öffnung der Biergärten beschloss Prag, dass die Corona-Krise gemeistert sei. Am ersten Juli feierte das Prager juste milieu das Ende der Pandemie mit einer ausladenden öffentlichen Dinnerparty auf der Karlsbrücke. Und natürlich sich selbst.

Düstere Voraussagen, eine zweite Welle sei wahrscheinlich, waren da egal. Die Prager haben die Krise gemeistert – trotz der Regierung, die sie zudem vorführen konnten, indem sie sich an die Nähmaschinen setzten.

Alles Weitere, auch die zweite Welle, die dank der Sorglosigkeit der Prager umso heftiger durch das Land rollte, ist nun Sache der Regierung: Verachtung hat man ja durchs Nähen zur Genüge gezeigt, jetzt sind die Herrschenden dran.

Gesundheitsminister ertappt

Die allerdings geben ihr Bestes, um zu zeigen, warum Autorität in Prag per se als verachtenswert gilt. Ein gutes Beispiel: Der Gesundheitsminister. Er lässt Gaststätten schließen, um kurz darauf gegen Mitternacht erwischt zu werden, wie er mit Lobbyisten in einem Restaurant verhandelt und so seine eigenen Maßnahmen umgeht. Das trägt nicht unbedingt zur Legitimität von Autorität bei. Wenn er sich nicht an die eigenen Regeln hält, wer dann?

So spielen die Prager seit Wochen eine Art „Covid-Ping-Pong“ mit den Herrschenden. Inzwischen steigt aber auch die Zahl der Covid-Toten, die bei 4330 (Stand: 06.11.20) liegt. Die Sterberate war im Oktober so hoch wie seit 15 Jahren nicht mehr. Das Virus scheint eine Autorität, der man mit Verachtung nur schwer beikommt.

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2 Kommentare

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  • ...und so stimme ich meinem VorrednerIn zu. Darüber hinaus können auch die Menschen aus Tschechien Zahlen duten und feststellen das Regierungshandeln und -reden mit der Realität kaum zusammenpaßt. Aber das ist ja ein Dank Covid-19 deutlich hervorgetretenes Menschheitsproblem. Und das werden wir lösen. Die taz, früher mal Kämpferin für die mehr oder weniger Entrechteten, braucht wohl noch etwas...

  • Zitat: „Die Tschechen [...] leben in einem ganz besonderen Zwiespalt: sie verachten jede Form von Autorität und sind daher äußerst einfallsreich darin, sie zu umgehen. Gleichzeitig aber erwarten sie, dass all ihre Probleme von denen da oben gelöst werden.“

    Schriftsteller Karel Čapek, scheint mir, ist ein Mann seiner Zeit gewesen, ein Nationalist. So, wie man(n) halt wird, wenn fremde „Nationen“ der „eigenen“ das Existenzrecht absprechen.

    Nicht mal „vor knapp 100 Jahren“ hat es „die Tschechen“ gegeben. Und hätten „die Tschechen“ tatsächlich „jede Form der Autorität [missachtet]“, würde der Name Karel Čapek heute niemandem mehr etwas sagen. Davon ganz abgesehen, kann ich nicht recht erkennen, in wiefern Leute, die ihre alten Nähmaschinen wiederbeleben, weil die Regierung einen „Maskennotstand“ ausgerufen hat, erwarten, „dass all ihre Probleme von denen da oben gelöst werden.“ Schade, dass Alexandra Mostyn das nicht näher ausgeführt hat.

    Im Übrigen frage ich mich: Kann es vielleicht sein, dass es für „die da oben“ (ob nun in Tschechien oder in Deutschland) nur so aussieht, als würden alle anderen die Lösung all ihrer Probleme von ihnen erwarten? Weil sie es selber tun - zur Begründung dafür, dass sie unbedingt bis ganz nach oben wollten? Und wenn sie das dann nicht zur allgemeinen Zufriedenheit hinkriegen, weil das völlig unmöglich ist, sind sie vergnatzt und fühlen sich missachtet?

    Autorität ist was für Eltern kleiner Kinder, finde ich. Menschen, deren Lebenserfahrung sich aufs Reden halten und Interviews geben beschränkt, sollten sich hüten, mit Macht in die Leben von Erwachsenen hinein zu regieren, die deutlich breiter aufgestellt sind und glauben, ohne diese „Hilfe“ ganz gut klar zu kommen. Es sei denn, sie brauchen jemanden, der sich mit ihnen anlegt. Zum Beispiel, um sich und anderen zu beweisen, dass sie trotz allem die Größten sind.

    Das, allerdings, wäre echt armselig. Autorität? Hat so jemand in meinen Augen jedenfalls keine.