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Corona in GeorgienEin Löffel für alle

Trotz strenger Ausgangssperren ruft die orthodoxe Kirche die Gläubigen auf, am Ostergottesdienst teilzunehmen. Die Regierung ist dagegen machtlos.

Eine Gläubige in Marneuli, Georgien Foto: reuters

Tiflis taz | Weihwasser und Gottes Segen vertreiben den Coronavirus“ ruft Diana eine ältere Frau, aus und bekreuzigt sich. „Man kann sich doch nicht im Gotteshaus anstecken“ gibt ihr ihre Begleiterin Nana Recht und hält ein kleines Gebetbuch in die Höhe. Die beiden sind gerade auf dem Weg in die Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit, dem größten orthodoxen Gotteshaus in der georgischen Hauptstadt Tiflis.

In der Nacht zum 19. April wurde in allen großen Kirchen Georgiens der Ostergottesdienst gefeiert. Und viele Gläubige lassen sich weder vom Coronavirus noch den fehlenden öffentlichen Verkehrsmitteln vom Gottesdienstbesuch abbringen.

Den ersten Coronavirus-Fall in Georgien gab es am 26. Februar. Und dann ging es los mit den Einschränkungen von Wirtschaft und öffentlichem Leben. Sukzessive wurden diese Einschränkungen verschärft. Derzeit sind nur noch Apotheken und Lebensmittelgeschäfte geöffnet, Treffen von mehr als drei Personen sind nicht erlaubt.

Ebenfalls verboten ist der PKW-Verkehr. Zwischen 21 Uhr und 6 Uhr herrscht Ausgangssperre. Mittlerweile (Stand vom 19. April) gibt es 394 Coronavirus-Fälle, 86 Menschen sind genesen, vier Personen sind an der Erkrankung verstorben.

Ein einziger Löffel

Dieses verglichen mit anderen Ländern noch relativ günstige Bild könnte sich jedoch bald zu einer Katastrophe wandeln. Die einflussreichste Institution des Landes, die orthodoxe Kirche, weigerte sich vor dem orthodoxen Osterfest beharrlich, diesen Einschränkungen nachzukommen.

Die Gläubigen gehen weiterhin in großer Zahl in die Kirchen und was noch schlimmer ist, sie nehmen auch am Abendmahl teil. Dabei wird den Gläubigen mit einem einzigen Löffel die Hostie, ein in Wein getauchtes Brot, gereicht.

Mehr als einen Monat hatten Regierung und die Kirche über das Wie des Ostergottesdienstes verhandelt. Und offensichtlich hat sich die Regierung mit ihrem Anliegen, den Ostergottesdienst hinter verschlossenen Türen zu feiern, bei diesen Verhandlungen nicht durchsetzen können.

Zwar hatte Premierminister Giorgi Gacharia der Gesellschaft mit seiner Äußerung, vor dem Gesetz seien alle gleich, Hoffnung gemacht. Aber, wie sich nun herausstellt, ist das nur Theorie. Die Verhandlungen der Regierung mit der Kirche endeten am 15. April mit einem für den größten Teil der Gesellschaft schockierenden Ergebnis.

Steiler Anstieg

Denn dieses Verhandlungsergebnis ermöglichte den Gläubigen in der Osternacht bis 21 Uhr abends Zutritt zu den Kirchen die sie jedoch erst wieder um 6 Uhr morgens verlassen durften. Und den Geistlichen erlaubte man sogar eine Anfahrt mit dem PKW. Epidemiologen fürchten einen steilen Anstieg der Coronavirus-Erkrankungen in den nächsten zwei Wochen.

So mancher fragt sich, ob man nach diesen Verhandlungen überhaupt noch von einer Vorherrschaft des Gesetzes in Georgien sprechen kann und ob nicht gar Georgien als säkularer Staat aufgehört hat zu existieren.

Viele Menschen, so berichtet Salome Chwadagiani, geschäftsführende Direktorin der NGO „Liberty Institute“, hätten in den vergangenen Wochen ihre Arbeit verloren, mit der Wirtschaft des Landes gehe es bergab. „Und jetzt sollen all diese Opfer umsonst gewesen sein? Sind wirklich alle vor dem Gesetz gleich? Ich glaube, Gleichheit vor dem Gesetz kann die Regierung nicht garantieren.“

Wenn es um die Einschränkung von bürgerlicher Rechten von Aktivisten und Oppositionellen geht, sind die Machthaber um den informellen Herrscher des Landes, Bidsina Iwanischwili, nicht gerade zimperlich. Ein brutales Vorgehen gegen friedliche Demonstrationen und die Verfolgung Oppositioneller sind inzwischen schon fester Bestandteil des politischen Lebens geworden.

Hinter verschlossenen Türen

Und da stellt sich die Frage, warum die Regierung ausgerechnet in ihren Verhandlungen mit der Kirche so nachgiebig geworden ist. Nun, verhandelt worden war hinter verschlossenen Türen. Nichtregierungsorganisationen gehen davon aus, dass die Kirche bei diesen Verhandlungen auch wirklich ihre Muskeln hat spielen lassen. Nicht auszuschließen, dass die Kirchenführer auch eine Beeinflussung der Wählerschaft oder gar eine weitere Mobilisierung von aggressiven rechtsradikalen Gruppen ins Spiel gebracht haben.

„Das ist nicht das erste Mal, dass sich die Machthaber, vor die Wahl gestellt, den Menschenrechten oder dem Patriarchat den Vorzug zu geben, sich für letztere Möglichkeit entschieden haben“ sagt Michail Benidse, Direktor der International Society for Fair Elections.

Der Kirche nahestehende Theologen und Politologen sind der Auffassung, dass eine loyale Kirche für die Regierung eine wichtige Stütze ist. Jedes Jahr gibt der Staat dem Patriarchat finanzielle Mittel, Immobilien und Land. Damit wolle man, so heißt es, in der Sowjetzeit erlittenen Schaden wiedergutmachen.

Im Gegenzug mischt sich die Kirche aktiv in das politische und gesellschaftliche Leben des Landes ein. Auch mit homophoben und xenophoben Äußerungen. Am 17. Mai 2013 fielen mehrere tausend Menschen über Aktivisten her, die anlässlich des internationalen Tages des Kampfes gegen Homophobie auf die Straße gegangen waren.

Nie bestraft

Die Schuldigen sind nie bestraft worden. Vielmehr hat das Patriarchat Georgiens einen Feiertag ausgerufen, einen Tag der Heiligen Familie. Und der ist ausgerechnet am 17. Mai. Und gerade an diesem Feiertag wird kräftig gegen die LGBT-Gemeinschaft gehetzt.

Die Kirche hat auch Widerstand gegen das Antidiskriminierungsgesetz geleistet. Besonders vehement hat sie sich gegen die Verwendung der Begriffe „sexuelle Orientierung“ und „Gender“ in diesem Gesetz ausgesprochen. Und aggressive rechtsradikale Gruppen stellen sich, angeblich weil sie ihre religiösen Gefühle verletzt sehen, Aktivisten immer wieder mit Gegendemonstrationen Aktivisten in den Weg.

Im Oktober wählt Georgien ein neues Parlament. Im Ergebnis von Vereinbarungen zwischen Opposition und Machthabern und auch einem teilweisen Übergang auf ein Verhältniswahlsystem stehen die Chancen der Regierungspartei auf einen Sieg nun etwas schlechter. Wenn die Partei von Iwanischwili gegen den Coronavirus erfolgreich ist, hat sie den Sieg bei diesen Wahlen jedoch in der Tasche.

Doch die politische Impotenz der Regierung und ein weiteres Ansteigen der Coronavirus-Kurve, so glauben viele Aktivisten, dürfte dem Ansehen der Machthaber erheblichen Schaden zufügen.

Wesentlich weniger Anhänger

Verglichen mit den Osterfeierlichkeiten der vergangenen Jahre waren dieses Mal deutlich weniger Gottesdienstbesucher in den Kirchen. Doch einige hunderte haben die Gotteshäuser aufgesucht.

Wie es weitergehen wird in Georgien werden die nächsten Wochen zeigen. Nicht auszuschließen, dass die Regierung sich dann auf wesentlich weniger Anhänger wird stützen können. Das wird nicht nur ideologische Gründe haben. Auch eine medizinische Tragödie könnte zu einem einschneidenden Vertrauensverlust führen.

Aus dem Russischen Bernhard Clasen

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2 Kommentare

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  • Jede "Weltreligion" ist ein sinnloser, irrationaler Gott-Kult mit einem perfekten Regelwerk zur Gängelung und Unterdrückung.



    Würden die sich nur untereinander anstecken, könnte es mir egal sein aber nur aus "religiösen Gründen" jegliche Abstands- und Pandemieregeln zu ignorieren, ist schlicht fahrlässig und rücksichtslos. Glauben macht anscheinend völlig blind.

  • Wenn es nur "einige hunderte" unvernünftige unter den gläubigen waren ,die die sicherheitsvorschriften missachtet haben dürfte es möglich sein sie alle und alle personen mit denen sie seit ostern kontakt hatten zu testen .wenn dies sehr zeitnah geschieht kann ein mögliches risiko für die bevölkerung vielleicht noch begrenzt werden.die aufklärung der infektionsketten durch konsequentes testen ist das worauf es bei der bekämpfung der corona-virus-pandemie ankommt