Corona in Bayern: Ein Bürgermeister denkt quer
Er ist selbst an Covid-19 erkrankt. Jetzt veröffentlicht Bergheims Bürgermeister Tobias Gensberger impfkritische Texte im örtlichen Gemeindeblatt.
Landrat Peter von der Grün aus Oberbayern merkt man die Fassungslosigkeit über den Vorfall auch am Montagnachmittag am Telefon noch an. In dem Landkreis, für den er verantwortlich zeichnet, hat einer der zwei ehrenamtlichen kommunalen Bürgermeister am Heiligabend im Gemeindeblatt einen Appell veröffentlicht, der es in sich hat. Von einer „Hexenjagd“ auf Ungeimpfte ist darin die Rede und der Verfasser setzt den Begriff Impfstoff zweifelnd in Anführungszeichen. Bergheims Bürgermeister Tobias Gensberger äußert sich so im Vorwort des Blattes, das in weihnachtlicher Aufmachung direkt auf der Titelseite zu finden ist.
Nicht einmal die aktuelle Impfquote des Landkreises (Stand Montag: 60,93 Prozent vollständig geimpft) hat Gensberger offenbar recherchiert, denn er behauptet, dass diese nicht viel höher als 50 Prozent liege. Das ist der angebliche Anteil der Geimpften, die er angetroffen habe, als er selbst mit Covid-19 im Krankenhaus lag. Er und seine Frau seien ungeimpft, sie würden bald als Genesene nicht mehr „ausgegrenzt“ werden, heißt es außerdem.
„Er reproduziert hier ganz eindeutig die Narrative der Coronaleugner“, resümiert von der Grün. Ein Screenshot des Texts wird in Telegramkanälen und auf Twitter von Menschen geteilt, die sich erfreut darüber zeigen, dass endlich ein weiterer Bürgermeister „aufgewacht“ sei. Ein Foto eines leicht zerknitterten Papiers mit einem Ausdruck der Titelseite wurde laut App-internem Zählwerk zum Zeitpunkt des Telefonats mit dem Landrat bereits 22.500-mal angeschaut.
„Auf diese Art von Bekanntheit hätten wir gern verzichtet“, kommentiert von der Grün. Dass die Gemeinde Bergheim so überregional Bekanntheit erreicht, ist ihm unangenehm. Noch Mitte Februar hätten sich überregionale Medien bei ihm gemeldet, da der Landkreis bundesweit zu jenen mit der niedrigsten Inzidenz gehört habe: „Das war natürlich ein schöneres Thema.“
Zusammenarbeit war zuvor positiv
Damals hatte der Kreis einen Inzidenzwert von unter 35 vorweisen können und von der Grün war gefragt worden, wie sie das erreicht hätten. Auch heute betont er, dass bei der Umsetzung der Maßnahmen gerade auch die Bürgermeister eine entscheidende Rolle spielten. Bisher habe er die Zusammenarbeit mit Gensberger als positiv erlebt.
Von der Grün bedauert, dass er ihn noch nicht telefonisch erreichen konnte, um etwas über seine Motivation zur Veröffentlichung zu erfahren: „Ich habe es auf allen Nummern versucht, die ich von ihm kenne und das sind immerhin fünf Stück. Leider ist auch sein Rückruf ausgeblieben, um den ihn seine Frau bitten wollte.“ Auch von anderen Kontakten wisse er, dass sie ihn vergeblich versucht hätten zu erreichen.
So zeigt er sich ratlos: „Das ist absolut befremdlich und unverständlich. Ich hätte nie damit gerechnet, dass ausgerechnet er so denkt.“ Der Bürgermeister habe in den letzten Monaten sämtliche staatlichen Coronamaßnahmen nicht bloß mitgetragen: „Wenn wir die Gemeinden gefragt haben, wohin wir mobile Impfteams schicken sollen, war er nicht nur dabei, sondern immer der Erste.“
So hätten seit Sommer zwei Sonderimpfaktionen stattfinden können. „Es hat mich also nicht nur überrascht, ich finde es auch traurig und schade, dass er nun dieses Vorwort so verfasst hat“, erklärt von der Grün, „das konterkariert all unsere Bemühungen.“
Erfahren habe er von dem Text im Gemeindeblatt am Vortag durch eine Whatsappnachricht seines Gesundheitsreferenten: „Er verlieh darin seiner Fassungslosigkeit Ausdruck.“ Gefolgt seien seitdem weitere besorgte Nachrichten von unterschiedlichen Bürger*innen und auch Landrät*innen.
Gensberger sei nämlich nicht nur ehrenamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Bergheim sondern obendrein auch als Kreisrat für Neuburg-Schrobenhausen aktiv. Daher hätten seine Äußerungen besonders viele Menschen betroffen gemacht, sagt von der Grün.
Am Montagmorgen habe er sich dann direkt im Landratsamt zur weiteren Vorgehensweise besprochen. „Die Besprechung hat dann ergeben, dass ich sogar verpflichtet bin, aktiv zu werden und die Sache der zuständigen Stelle zu melden, der Landesanwaltschaft“, schildert der Landrat. Da Gensberger die Äußerungen in einem offiziellen Medium der Gemeinde getätigt habe, werde nun dienstrechtlich geprüft, ob eine Verletzung der Dienstpflicht gegeben sei.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!